Auf der Suche nach Sündern: Neue Behörde spürt Verpackungsmüll auf
Von Isabel Christian
Mit Beginn des neuen Jahres arbeitet eine neue Bundesbehörde in Osnabrück. Ihr Ziel: Die Hersteller von Verpackungen sollen sich möglichst gerecht an den Kosten für die Entsorgung beteiligen. Dazu ist ein Register nötig, und das wird nun sorgfältig gepflegt. 220 Kilogramm Müll produziert jeder Deutsche pro Jahr. Zusammengepresst brächte der Ballen etwa das Gewicht eines ausgewachsenen Gorillas auf die Waage. Statistischen Angaben zufolge werden 66 Prozent dieses Mülls recycelt – Spitzenwert in Europa. Doch was Wiederverwertung genau bedeutet, wird hierzulande recht großzügig ausgelegt. Achtet man nur darauf, was nicht verbrannt oder kompostiert, sondern tatsächlich zu neuen Produkten verarbeitet wird, so betrifft das lediglich ein Drittel des Müllhaufens. Um diesen Wert langfristig zu steigern, gilt seit Anfang des Jahres ein neues Verpackungsgesetz. Die sogenannten Dualen Systeme sollen die Preise für die Entsorgung des Verpackungsmülls künftig an die Wiederverwertbarkeit des Materials koppeln. Das Problem: Viele Unternehmen zahlen bislang überhaupt nicht für die Entsorgung des von ihnen auf den Markt gebrachten Verpackungsmülls. Auch, weil es kompliziert war, sie dafür zu bestrafen. Doch das soll die neue Zentralstelle Verpackungsregister (ZSVR) mit Sitz in Osnabrück jetzt ändern.
Jedes Unternehmen muss sich bei einer Zentralstelle registrieren lassen
Seit 1993 müssen alle Verpackungen, die für einen Verbraucher vorgesehen sind, am dualen System teilnehmen. Dabei handelt es sich um eine Dienstleistung, die derzeit neun Unternehmen anbieten, etwa „Der Grüne Punkt“. Sie garantieren den Hersteller-Unternehmen, dass sie ein flächendeckendes System zur Rücknahme und Verwertung des von ihnen in Umlauf gebrachten Verpackungsmülls vorhalten. Im Gegenzug aber müssen die Unternehmen zahlen, um die Entsorgung zu finanzieren. Doch viele Herstellerfirmen nehmen die Dienste des Systems in Anspruch, ohne ihren Anteil zu bezahlen. „Studien haben ergeben, dass bei Leichtstoff-Verpackungen bspw. aus Plastik nur maximal zwei Drittel der Firmen zahlen, bei Papier und Pappe sind es sogar nur die Hälfte“, sagt Gunda Rachut, Leiterin der neuen Zentralen Stelle. 2014 wäre das System sogar fast kollabiert, denn es gab zeitweise mehr Verweigerer als Beitragszahler, sodass die Entsorgung nur knapp und unter Finanzierung durch die rechtskonform handelnden Unternehmen aufgefangen werden konnte.
Die ehemalige Bundesumweltministerin Barbara Hendricks hat daraufhin die Notbremse gezogen und ein neues Verpackungsgesetz auf den Weg gebracht. Seit Anfang 2019 muss sich jedes Unternehmen bei der Zentralen Stelle Verpackungsregister registrieren und die Menge des von ihm in Umlauf gebrachten Verpackungen angeben. Darunter fallen Produkthersteller ebenso wie Verkäufer und Onlinehändler. „Jeder, der eine Verpackung gewerbsmäßig erstmalig in den Handel bringt, die im Abfall des privaten Endverbrauchers landet ist seit 1993 verpflichtet, die Kosten für die Entsorgung zu tragen“, sagt Rachut. Das trifft den Fleischfabrikanten ebenso wie den Bäcker mit der Brötchentüte oder den Pizzabringdienst. Mehr als 120.000 Unternehmen haben sich seit Freischaltung des Systems im August 2018 schon im Verpackungsregister LUCID angemeldet, täglich kommen zwischen 1000 und 3.000 Firmen hinzu. „Das ist im Vergleich zu vormals 60.000 Kunden bei dualen Systemen schon ein ordentlicher Start“, sagt Rachut. Doch sie geht davon aus, dass insgesamt mehrere 100.000 Unternehmen zahlungspflichtig sind. Neben den Daten der Unternehmen bekommt die Zentrale Stelle auch von den Anbietern de dualen Systems Daten, ob und für wie viel Verpackungen das jeweilige Unternehmen bezahlt hat. Daraufhin werden die Marktanteile der Systeme durch die ZSVR berechnet. Systeme mit vielen Kunden und hohen Verpackungsmengen müssen dementsprechend mehr für die Entsorgung der gelben Säcke, Glascontainer und der Papierentsorgung zahlen als Systeme mit weniger Kunden.
Diese Neuerung ist entscheidend, denn bisher konnten sich die Unternehmen vor allem deshalb ihrer Zahlungspflicht entziehen, weil niemand einen Überblick hatte. Die Aufsicht über die diejenigen, die Ware verpacken, ist in jedem Bundesland unterschiedlich geregelt. In der Regel sind die Städte und Landkreise verantwortlich, doch die 445 Kommunen in Deutschland erfassten bisher unterschiedliche Daten und waren auch nicht immer in der Lage, sich grenzübergreifend austauschen zu können. Eine ernsthafte Verfolgung von Zahlungsverweigerern war damit quasi unmöglich. Um den Kommunen die Arbeit zu erleichtern und Zahlungsverweigerer zur Kasse zu bitten, gibt es nun die Zentrale Stelle. „Wir klären zunächst die Sachlage und schauen, welche Unternehmen sich in welchem Umfang an der Abfallentsorgung beteiligen und welche nicht“, sagt Rachut. „Daraus erstellen wir eine Akte mit Beweismaterial, die wir den Behörden quasi mundgerecht für den Vollzug übergeben.“ Die Zentrale Stelle Verpackungsregister mit ihren mittlerweile 40 Mitarbeitern ist als Stiftung aufgebaut und wird von den dualen Systemen finanziert. Vorfinanziert wurde der Aufbau der Institution über Darlehen durch die vier Stifterverbände: Bundesvereinigung der deutschen Ernährungsindustrie (BVE), Handelsverband Deutschland (HDE), Industrievereinigung Kunststoffverpackungen (IK) und dem Markenverband.
Onlineshops fühlen sich vor dem Zugriff der Behörden sicher
Damit die Kosten für die Stiftung möglichst niedrig bleiben, darf die Zentrale Stelle nur die im Gesetz genannten Aufgaben übernehmen. Dazu gehört das Informieren der Firmen und Berufsverbände, nicht aber deren Beratung. „Beratung wollen allerdings viele der Firmen, die sich bei uns melden“, sagt Rachut. Denn viele wussten bisher nicht, dass sie überhaupt verpflichtet sind, für die Entsorgung und das Recycling ihres Verpackungen zu bezahlen. „80 Prozent der Anfragen, die bei uns eingehen, kommen Selbstanzeigen gleich.“ Das betrifft vor allem kleinere Unternehmen und Händler. Doch es gibt auch eine große Gruppe, die eine andere Art von Unwissen pflegt. „Diese Unternehmen haben schon geahnt, dass es im Bereich Verpackungen eine Pflicht geben könnte, schieben diese aber dem Hersteller des Verpackungsmaterials zu“, sagt Rachut. „Wobei das unsinnig ist, denn ein Hersteller von Plastikfolien kann ja nicht im Vorfeld wissen, dass sein Produkt zum Einschweißen von Nahrung genutzt wird.“ Besonders verbreitet sei dieses Halbwissen im Bereich der Onlineshops. Hier habe man sich stets darauf verlassen, dass das Internet einen schon vor dem Zugriff der Behörden schützen werde. „Doch dem ist nicht so“, sagt Rachut.
Denn die Erfahrung beim Elektrogerätealtregister, welche Vorlage für die ZVSR, habe gezeigt, dass die Unternehmen keine Scheu haben, ihre zahlungsverweigernden Mitbewerber anzuzeigen. „Wer sich registriert hat, lässt sich schließlich auf unserer Webseite öffentlich einsehen“, sagt Rachut. Auch Verbraucher können daher Anzeige erstatten. Für das säumige Unternehmen bedeutet das zunächst ein Vertriebsverbot. „Dazu kommt ein Bußgeld bis zu 200.000 Euro, die genaue Höhe orientiert sich an den Einsparungen, die das Unternehmen durch die Zahlungsverweigerung hat“, sagt Rachut. Bei großen Herstellern, für die das Bußgeld günstiger wäre als die das Geld für die Systembeteiligung, greift eine andere Regel. „HIer greifen die Vollzugsbehörden auch auf das Instrument der Gewinnabschöpfung ergänzend zum Bußgeld zurück. Das ergibt schon eine empfindliche Summe.“ Rachut geht davon aus, dass demnächst viele Bußgeldbescheide verschickt werden. „Die Welle der gegenseitigen Anzeigen hat schon begonnen.“
Die Leiterin der ZSVR beschäftigt daher ein anderes Problem: die Datenqualität. „Wir müssen im ersten Schritt analysieren, ob die Firmen korrekte Angaben gemacht haben“, sagt Rachut. So kommt es beispielsweise vor, dass bei der ZSVR zehn Tonnen Abfall gemeldet, den dualen Systemen aber lediglich fünf Tonnen bezahlt werden, damit der Marktanteil und damit die zu bezahlende Gebühr geringer ausfällt. „Viele haben noch nicht begriffen, dass wir auch die Daten des dualen Systems zum Vergleich haben und Abweichungen daher aufdecken können“, sagt Rachut. Es werde gut zwei Jahre dauern, bis sich das neue System eingespielt habe und valide Daten biete, damit die Verpackungsentsorgung gerechter und umweltfreundlicher wird.