21. Jan. 2022 · 
Umwelt

Atomkraftgegner machen gegen russischen "Außenposten" in Lingen mobil

Vladimir Putins langer Schatten reicht bis nach Lingen, wo in der Nähe des Atomkraftwerks eine Brennelementefabrik unter russischen Einfluss geraten soll. | Foto: Kreml, AgiEL, Famatome/Thomas Keuter

Der Atomausstieg läuft. Das AKW Grohnde ist vor wenigen Wochen vom Netz gegangen. Das letzte Kernkraftwerk in Niedersachsen wird zum Ende des Jahres abgeschaltet. Dennoch werden in Lingen am Sonnabend wieder Atomkraftgegner demonstrieren. Der Protest richtet sich gegen die bundesweit einzige Brennelementfertigungsanlage ein paar hundert Meter nordöstlich des Kernkraftwerks Emsland. In der Anlage wird gasförmiges Uran in Pulver umgewandelt, in Tabletten gepresst und in Rohren verschweißt. Die fertigen Brennstäbe werden danach ins Ausland exportiert. Im letzten Quartal 2021 wurden von hier 114 Brennelemente mit insgesamt 44.058 Kilogramm Uran an Kunden in Westeuropa ausgeliefert. „Lingen beliefert zahlreiche Hochrisikoreaktoren – von Tihange und Doel (Belgien) über Borssele (Niederlande), Cattenom (Frankreich) und Leibstadt (Schweiz) bis zum neuen AKW-Sorgenreaktor Olkiluoto 3 in Finnland“, kritisiert das Bündnis AgiEL. Zusätzlich bringt eine Kooperation zwischen dem Betreiberkonzern Framatome und der russischen Rosatom-Gruppe die Atomkraftgegner aus dem Emsland auf die Palme. „Kein Atomdeal mit Russland“, proklamiert die Bürgerinitiative und möchte einen „Atomkraft-Außenposten im Land des Atomausstiegs“ verhindern.

Frankreich und Russland verbünden sich in Niedersachsen

Auf der „World Nuclear Exhibiton“ in Paris hatten sich Framatome und Rosatom im Dezember 2021 auf eine strategische Partnerschaft verständigt. „Heute hat die Welt endlich erkannt, dass es unmöglich ist, CO2-Neutralität ohne Kernkraft zu erreichen. Deswegen müssen wir unsere gemeinsamen Bemühungen zum Erreichen der weltweiten Dekarbonisierungsziele beschleunigen“, sagte Rosatom-Generaldirektor Alexey Likhachev bei dieser Gelegenheit. Vier Monate vorher hatte Russlands Präsident Wladimir Putin den Rosatom-CEO zum offiziellen Rapport einbestellt. Laut dem offiziellen Transkript aus dem Kreml lautete Putins erste Frage an Likachev: „Ist die Zahl an Auslandsbestellungen gestiegen?“ Der russische Staatskonzern, der 2007 von Putin gegründet wurde, will bis Ende des Jahrzehnts bis zu 70 Prozent seines Umsatzes im Ausland machen.

Atomkraftgegner kritisierten "Greenwashing von Atom und Gas"

Die Atomkraftgegner aus dem Emsland ärgern sich über das „Greenwashing von Atom und Gas“ und über den wachsenden Einfluss der russischen Regierung. Die Gründung eines russisch-französischen Gemeinschaftsunternehmens auf niedersächsischem Boden kann allerdings noch verhindert werden. Das Bundeskartellamt hat dem Joint Venture zwar bereits grünes Licht gegeben, doch die Bundesregierung kann den Deal noch verhindern. „Das Joint Venture sollte nicht erlaubt werden, denn diese Industrie kann nicht dabei helfen, das Klima zu retten, und produziert Atommüll“, twitterte am Mittwoch der russische Klimaaktivist Vladimir Slivyak aus Lingen, wo er mit einem Fernsehteam des NDR vorm Framatome-Betriebsgelände stand. Slivyak ist Gründer der Umweltorganisation Ecodefense und wurde 2021 mit dem „Alternativen Nobelpreis“, dem Right Livelihood Award, ausgezeichnet.

Während die Atomkraftgegner die Durchsetzung des Atomausstiegs fordern, verweist Framatome auf die Bedeutung des „nuklearen Kompetenzerhalts in Deutschland“. „Auch über den Kernenergieausstieg hinaus wird nukleare Kompetenz erforderlich sein, etwa um Anlagenrückbau und Endlagerung mit heimischen Ressourcen zu meistern“, argumentiert das Unternehmen. Zudem gilt das Tochterunternehmen ANF als einer der größten Arbeitgeber in der Region und als ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in Lingen. Die Betriebserlaubnis für das Werk läuft unabhängig vom Atomausstieg weiter. „Die Brennelementefabrik muss geschlossen werden“, fordern die Atomkraftgegner von AgiEL. Rechtlich dürfte das allerdings schwer durchsetzbar sein.

Das AKW Lingen ist immer wieder das Ziel von Protesten gewesen. Bis Ende 2022 geht es vom Netz. | Foto: AgiEL

Zum Hintergrund: 1979 wurde die Brennelementefabrik in Lingen von Exxon Nuclear in Betrieb genommen. 1987 firmierte die Betreibergesellschaft um und heißt seitdem Advanced Nuclear Fuels (AFN). Damals war sie noch eine 100-prozentige Siemens-Tochterfirma, 2001 übernahm jedoch der französische Nukleartechnik-Konzern Areva. Nach diversen Umstrukturierungen heißt das Unternehmen heute Framatome und befindet sich zu 75,5 Prozent im Besitz des staatlich dominierten Energieversorgers Électricité de France (EDF). Weitere Aktionäre sind Mitsubishi (19,5 Prozent) und der französische Technologie- und Beratungskonzern Assystem (5 Prozent). Nach eigenen Angaben hat Framatome 14.000 Beschäftigte an 64 Standorten. Die Deutschland-Tochter des Unternehmens beschäftigt rund 3000 Mitarbeiter, darunter allein 2300 am Hauptsitz in Erlangen. Bei ANF sind 420 Mitarbeiter im Lingener Werk und in bei der Abstandhaltefertigung in Karlstein angestellt.

Die Brennelementefabrik in Lingen ist ein wichtiger Arbeitgeber in der Region. | Foto: Framatone/Thomas Keuter
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #012.
Christian Wilhelm Link
AutorChristian Wilhelm Link

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