Viel spricht derzeit für einen großen Erfolg der Landesregierung – vor allem von Umweltminister Olaf Lies (SPD) und Agrarministerin Barbara Otte-Kinast (CDU). Beide scheinen es geschafft zu haben, die politische Sprengkraft eines laufenden Artenschutz-Volksbegehrens zu entschärfen. Mit der Vereinbarung von Umwelt- und Agrarverbänden mit der Landesregierung, dem sogenannten „Niedersächsischen Weg“, sollen weitgehende Änderungen im Wasser- und Naturschutzgesetz festgelegt werden. Das Ziel ist mehr Artenschutz. Mittlerweile deutet vieles darauf hin, dass der Landtag diese Gesetzesänderungen am 11. oder 12. November endgültig beschließen wird.

Kurz vorm Ziel: Die Akteure des „niedersächsischen Weges“ stellen ihre Ergebnisse vor. – Foto: kw

Das beeindruckt nun auch die Initiatoren des Volksbegehrens, zu deren stärksten Stützen der Naturschutzbund (Nabu) und der Landesverband der Grünen gehören. Der Nabu-Landesvorsitzende Holger Buschmann sagte gestern: „Wenn es zu dem geplanten Gesetz kommt, wird das Volksbegehren überflüssig werden.“ Der Grünen-Landesvorsitzende Hanso Janßen erklärte: „Wenn der Landtag dieses Gesetzespaket jetzt im November-Plenum beschließt, werden wir das Volksbegehren beenden.“

Die Initiatoren des Artenschutz-Volksbegehrens freuen sich über ihren Erfolg – Foto: kw

Obwohl sich gestern Lies, Otte-Kinast, die Vertreter von Nabu, BUND, Landvolk und Landwirtschaftskammer öffentlichkeitswirksam vor einem Plakat des „Niedersächsischen Weges“ präsentierten, gibt es allerdings noch einige nicht unerhebliche Hürden, die den letztlichen Erfolg auf den allerletzten Metern doch noch gefährden könnten:

Bedenken der Landtagsjuristen: Da die Kontakte zwischen Umweltministerium und Gesetzgebungs- und Beratungsdienst (GBD) des Landtags offenbar nicht reibungslos waren und die Juristen von dem schon für November geplanten Gesetzesbeschluss überrascht wurden, muss nun der GBD mit Hochdruck an einer Vorlage arbeiten und die geplanten Änderungen am Wasser- und Naturschutzgesetz rechtlich bewerten. Buschmann sagte gestern, es seien „verfassungsrechtliche Bedenken“ aufgetaucht. Diese dürften die Frage betreffen, ob man Landwirten bei der Festschreibung von geschützten Gewässerrandstreifen (drei Meter) einen zu starken Eingriff in ihr Eigentum aufgibt – oder ob die Sozialpflichtigkeit des Eigentums ausdrücklich betont werden muss.

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Ausnahmen noch ins Gesetz? Offen ist die Frage, ob die Ausnahmen vom drei Meter breiten Gewässerrandstreifen nicht nur wie bisher vorgesehen in einer Regierungsverordnung verankert werden, sondern direkt im Gesetz. Nur in jenen Gemeinden, in denen der Gewässerrandstreifen mehr als drei Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Fläche ausmacht, soll eine Reduzierung von drei auf einen Meter erlaubt sein, heißt es in den vereinbarten „Eckpunkten“. Dadurch soll klargestellt werden, dass diese Regel auf Gebiete wie etwa die Wesermarsch beschränkt ist, wo die Landschaft durch viele eng beieinander liegende Entwässerungsgräben charakterisiert ist. Würde das direkt ins Gesetz geschrieben, wäre den Naturschutzverbänden stark entgegengekommen – denn Gesetze können anders als Verordnungen nicht einfach mit einer ministeriellen Weisung verändert werden.

Warten auf einen Vertrag: Lies und Otte-Kinast betonten gestern das Vertrauen zwischen Politik, Umwelt- und Agrarverbänden: „Aus Kritikern sind Partner geworden.“ Die Eckpunkte der Verordnungen seien „geeint“, hob Lies hervor und versprach: „Es wird keine Verordnung geben, die nicht gemeinsam in diesem Team verabschiedet wird.“ Nabu und BUND pochen jedoch darauf, dass sich die Regierung förmlich in einem Vertrag zu dieser engen Abstimmung auf Dauer verpflichtet – auch mit der Unterschrift des Ministerpräsidenten. Noch aber ist ein solcher Vertrag nicht aufgesetzt worden – trotz der gemeinsamen Pressekonferenz gestern.

Volksbegehren überaus erfolgreich: Anfang September war die Zahl von 72.000 Unterschriften in der ersten Stufe des Volksbegehrens förmlich von der Landeswahlleiterin mitgeteilt worden. Wie die Grünen-Vorsitzende Anna Kura schätzt, sind es inzwischen wohl 100.000. Das heißt, die in der ersten Stufe des Plebiszits nötige Mindestzahl von 25.000 wurde um das Vierfache überschritten. Würde man das Volksbegehren fortsetzen, müssten bis Mitte 2021 noch einmal rund 510.000 Unterschriften hinzukommen. Das Volksbegehren geht in einigen Punkten über die Einigung im „Niedersächsischen Weg“ hinaus – beim Verbot von Pestizideinsatz im Naturschutzgebieten oder beim Verbot der Umwandlung von Grün- in Ackerland. Bei den finanziell unterlegten Schutzprogrammen für Insekten, bei Biotop-Verbünden, Ökolandbau-Förderung und beim Erschwernisausgleich für Bauern geht der „Niedersächsische Weg“ indes weiter.