Es wird eng für die AfD in Niedersachsen, der Druck von außen wächst. Mit starker medialer Begleitung ordnete die Staatsanwaltschaft Hannover vergangene Woche die Durchsuchung der Landesgeschäftsstelle an. Die Behörden gehen dem Verdacht einer „schwarzen Kasse“ nach, eines möglichen Verstoßes gegen das Parteiengesetz. Zentrale Figur ist der Bauunternehmer Ansgar Schledde (46) aus Schüttorf (Grafschaft Bentheim). Er war bisher Vize-Landesvorsitzender und Strippenzieher im Hintergrund. Am Wochenende beim Landesparteitag in Unterlüß (Kreis Celle) ist er zum neuen Parteichef gewählt worden. Nun ist er also auch ganz offiziell die Nummer eins des AfD-Landesverbandes. Einer, gegen den die Staatsanwälte gerade ermitteln.

Haben nun die Aktivitäten der Justiz einen Schatten auf den AfD-Landesparteitag geworfen? Rund 175 Delegierte sind in den kleinen Heideort gekommen, oft wegen der fast traditionellen Proteste mit erschwertem Anfahrtsweg. Der bisherige Vorsitzende Frank Rinck verlor gleich zur Begrüßung zwar kein kritisches Wort über die Staatsanwaltschaft, dafür aber hielt er umso stärker den Medien eine „widerwärtige Schmutzkampagne“ vor. Er sei „entsetzt und empört, diese Hexenjagd gegen Ansgar Schledde miterleben zu müssen“. Starker Applaus ertönt, im Saal sind sich hier alle einig. Eng wird es an diesem Tag für die AfD allerdings noch aus einem anderen Grund. Mehr Gruppen als je zuvor haben anlässlich des Parteitags zu Gegendemonstrationen aufgerufen, und das Podium für die Kundgebung der AfD-Kritiker wurde diesmal direkt vor der Tagungshalle in Unterlüß errichtet.
Man kann von dort quasi zur Halle hinüberschauen. So dicht ist das Zentrum von Protesten selten an den Tagungsort herangerückt. Ist das symbolisch für die Bedrängnis, in der sich die AfD momentan befindet? Die Organisatoren der Gegenproteste vermelden an diesem Tag eine sehr starke Beteiligung von Menschen, die sich auf den Weg nach Unterlüß begeben haben. Der DGB-Landesvorsitzende Mehrdad Payandeh zählt auf: Von den Deportationsplänen für Ausländer, die unter AfD-Beteiligung in Potsdam diskutiert wurden, über die rechtsradikalen Ausfälle von Björn Höcke bis eben zu Vorwürfen der illegalen Parteienfinanzierung: „Die Serie an Ereignissen belegt, dass diese Partei alles andere als eine harmlose, demokratische Partei ist, die sich Recht und Ordnung auf die Fahnen geschrieben hat. Sie schieben Kriminalität auf zugewanderte Menschen. Wenn diese Vorwürfe gegen die AfD Niedersachsen zutreffen, wäre sie selbst kriminell.“

Wie aber steht es bei näherer Prüfung um diese Vorwürfe? Schledde hatte zwischen 2020 und 2022 ein privates Konto angelegt, auf dem mehrere AfD-Funktionsträger, auch spätere Abgeordnete, Beträge eingezahlt hatten – zwischen 200 und 5800 Euro. Insgesamt soll es um mindestens 41.000 Euro mit AfD-Bezug gegangen sein. Im Herbst 2022 erhob der damalige AfD-Landtagsabgeordnete Christopher Emden den Vorwurf, Schledde habe ihm einen sicheren Listenplatz für die Landtagswahl angeboten, wenn er 4000 Euro auf ein Sonderkonto einzahle.
Schledde sagte später, diese Behauptungen seien Unsinn. Die Landeswahlleiterin prüfte nach einem Einspruch von FDP-Politikern, ob Emdens mittransportierter Vorwurf, Schledde habe Listenplätze an Bewerber „verkauft“, zutreffend sein könnte. Sie fand dafür, also für eine manipulierte Aufstellung der Landesliste zur Landtagswahl, keine Belege. Die Staatsanwaltschaft Osnabrück leitete in dieser Sache Ermittlungen wegen Untreue gegen Schledde ein, erkannte aber dafür keine belastbaren Anhaltspunkte. Das alles geschah schon im November 2022. Damals, heißt es, habe man auch bereits geprüft, ob ein Verstoß gegen das Parteiengesetz in Betracht kommen könnte – also die Annahme von Parteispenden, ohne dass diese offiziell auf Parteikonten registriert worden waren. Das Landeskriminalamt soll allerdings schon im Herbst 2022 zu dem Schluss gekommen sein, dass ein solcher Verdacht wohl nicht strafrechtlich relevant wäre.

Trotzdem wurde die Staatsanwaltschaft Hannover erst vor wenigen Wochen aktiv, beantragte im Februar 2024 die Aufhebung von Schleddes Immunität als Landtagsabgeordneter. Dabei ging es um diese Vorwürfe, die im Kern bereits seit anderthalb Jahren bekannt waren. Eine plausible Begründung für die Verzögerung gibt es zwar, denn man wartete erst den Rechenschaftsbericht der Bundes-AfD ab, und der lag erst im Dezember 2023 vor. Nur: Der Rechenschaftsbericht für 2021 war schon viel früher verfügbar, und die für die Ermittler interessante Frage, ob das Schledde-Konto im Partei-Rechenschaftsbericht erwähnt wurde, hatte sich schon im Bericht für 2021 ablesen lassen. Es war tatsächlich so, dass das Schledde-Konto dort ausdrücklich nicht erwähnt wurde.
Dies passt durchaus zur Argumentationslinie von Schledde: Es sei um die Ausgaben für Unterkünfte, Verpflegung und Fahrtkosten für AfD-Mitglieder gegangen, und dies seien keine Parteiausgaben gewesen, sondern „private Zuwendungen“. Dieser Zusammenhang lässt nun das aktuelle Vorgehen der Staatsanwaltschaft Hannover merkwürdig erscheinen – wenn es doch um bekannte Vorgänge geht, die vor anderthalb Jahren bereits abgewogen wurden und damals als nicht weiter strafwürdig erschienen.

Auf der anderen Seite ist der damalige Vorwurf von Christopher Emden, Schledde habe Listenplätze „verkauft“, juristisch noch nicht völlig vom Tisch. Schledde hatte nämlich gegen Emden auf Unterlassung geklagt. Wie die „Hannoversche Allgemeine Zeitung“ berichtet, unterlag Schledde nun in erster Instanz vor dem Landgericht Verden. Denn, so zitiert die Zeitung aus dem Urteil, Emdens Behauptung sei „plausibel, nachvollziehbar und überzeugend bekundet“ worden. Sogar als „wahr“ wird der Vorwurf angeblich in dem Urteil bezeichnet. Wie kann das sein? Schledde spricht von einem „merkwürdigen Prozess“ und davon, dass er gegen das Urteil Berufung einlegen wird. Dennoch dürfte der Vorgang Wasser auf die Mühlen derer sein, die von den Einsprüchen gegen die Landtagswahl, die im Herbst noch vor dem Staatsgerichtshof in Bückeburg verhandelt werden, Erfolge erwarten. Sollte es tatsächlich so gekommen sein, dass Mehrheiten für Kandidaten auf der Landesliste als Gegenleistung für erhebliche Spenden auf private Konten organisiert wurden, hätte das womöglich gar die Ungültigkeit der Landtagswahl vom Oktober 2022 zur Folge. Nur: Bisher gibt es lediglich unbelegte Vermutungen, die in diese Richtung weisen.
Eine andere Frage ist die, ob Schledde selbst nicht zu stark belastet ist, um glaubwürdig die AfD als „bürgerliche Alternative“, wie sich die Partei selbst bezeichnet, vertreten zu können. Viel wird über sein angeblich langes Register an Verfehlungen erzählt, es geht um mehrere Anzeigen, einige Vorermittlungen, abgeschlossene Strafverfahren und Gerüchte. Schledde sagt, seit seiner Jugendzeit gebe es abwegige Geschichten, als Fan des SV Meppen sei er einst gewalttätig gewesen. „Das stimmt nicht“, sagt Schledde. Nach einer Geburtstagsparty soll er mit Kumpels auf dem Grundstück eines Grünen-Ratsherren randaliert haben. Schledde meint heute, das sei eine Jugendsünde gewesen, er habe sich entschuldigt und den Schaden beglichen. Verurteilt wurde er später, als Bauunternehmer, weil er die Insolvenz seiner Firma um wenige Tage zu spät eingeleitet hatte. „Das hat mich viel Geld gekostet und ich habe daraus gelernt“, erklärt dazu Schledde. Heute ist er wieder Unternehmer einer neuen Bau- und Immobilienfirma, er hat 15 Mitarbeiter.
Seiner Popularität schadet das Gerede über seine Vergangenheit wenig. Bei der Vorstandswahl wird er mit 130 Ja-Stimmen gegen 33 Nein-Stimmen und 5 Enthaltungen gewählt. Das entspricht 79,75 Prozent. In seiner Vorstellung sagt er, die AfD müsse sich stärker professionalisieren, es müsse um Talentförderung gehen und die Kreisvorstände müssten gestärkt werden. Das große Ziel der AfD müsse sein, „in die Regierung zu kommen“. Es dürfe nicht mehr gelingen, „von außen einen Spalt in die Partei zu treiben“. Zu Vize-Vorsitzenden werden Jens Brockmann, Delia Klages und Stephan Bothe gewählt, Schatzmeister bleibt Peer Lilienthal.

Abgesehen vom aktuellen Ärger mit der Justiz geht es der AfD derzeit erstaunlich gut, wenn man die Situation mit der von vor zwei Jahren vergleicht. Damals war der Landesverband überschuldet, der neugewählte Schatzmeister Peer Lilienthal hatte 800.000 Euro an Verbindlichkeiten geerbt und konnte diese auf 260.000 Euro verringern. Bundesschatzmeister Carsten Hütter, der beim Parteitag anwesend ist, stellt in Aussicht: „Es gibt mehr Zuschüsse der Bundespartei, Ende 2024 kann der Landesverband schuldenfrei sein.“ Auch über die Mitgliederentwicklung gibt es positive Zahlen – 3600 waren es noch vor einem dreiviertel Jahr, inzwischen ist die Marke von 4000 übersprungen worden. Derzeit ist Niedersachsen der mitgliederstärkste AfD-Landesverband in Westdeutschland, und der mitgliederstärkste AfD-Kreisverband in Deutschland liegt auch in Niedersachsen, es ist Hannover-Land.