Von Niklas Kleinwächter

Der Borkenkäfer bedroht Niedersachsens Wälder. Erst kam der Sturm, dann die Hitze – zusammen schufen sie beste Bedingungen für die Insekten. Denn ohne ausreichend Wasser konnten die von den Käfern bevorzugten Fichten kein Baumharz produzieren, mit dem sie sich sonst schützen. Der milde Winter setzte der Baumschädlingsplage noch die Krone auf, denn so überdauerten – aller Voraussicht nach – mehr Tiere als gewöhnlich den Jahreswechsel. Wenn die Förster nun keine Maßnahmen ergreifen, drohe eine Borkenkäfer-Plage, heißt es. Diese könnte nicht nur wirtschaftlich erheblichen Schaden verursachen, sondern auch eine ökologische Herausforderung darstellen. Waldbesitzer, Naturschutzverbände und Politik ringen nun um den richtigen Umgang mit dem Borkenkäfer.

Und die Zeit drängt, denn spätestens im April, wenn die Sonne länger scheint und die Temperaturen mehrere Tage am Stück über 17 Grad Celsius klettern, wird wohl die erste Generation der krabbelnden Tiere ausschwärmen. Bei den aktuellen Umweltbedingungen können in einem Jahr gut drei Borkenkäfer-Generationen das Licht der Welt erblicken. Das Wachstum der Population steigt dabei exponentiell: Auf jeden befallenen Baum in der ersten Generation kommen Schätzungen zufolge 25 in der zweiten, und schließlich 625 Bäume in der dritten Generation. Pro Baum tummeln sich locker 10.000 Jungtiere unter der Borke, wo die Muttertiere der Rindenbrüter Eier in eigens angelegte Gänge gelegt haben. Nach der Geburt fressen die Käfer das Bastgewebe des Baumes und töten ihn so ab.

Klein, aber oho: der Borkenkäfer – Foto: Jiri Prochazka

Das Verfahren, das nun in der Forstwirtschaft einsetzt, ist gut choreografiert und besteht aus vier Akten: Zunächst, Akt eins, begutachten die Forstwirte die Waldränder, wo der Borkenkäfer-Befall in der Regel beginnt. Ist ein befallener Baum ausgemacht, zweiter Akt, betritt der Harvester die Bühne: Mit diesem schweren Gerät wird der Baum umfasst, gefällt und automatisiert von Ästen und Rinde befreit. So nehmen die Forstwirte dem Borkenkäfer seine Brutstätte. Anschließend, Akt drei, werden die Hölzer chemisch begiftet, damit sie keine weiteren Käfer anlocken. „Würden wir ohne chemische Mittel an solche Herausforderungen herangehen, würden wir große Teile der Wälder verlieren“, sagt Constantin von Waldthausen, Betriebsleiter des Klosterkammerforstbetriebs und damit zuständig für 26.600 Hektar Wald in Niedersachsen.

Würden wir ohne chemische Mittel an solche Herausforderungen herangehen, würden wir große Teile der Wälder verlieren.

Auch im vierten und letzten Akt kommt Chemie zum Einsatz: In der Nähe des Waldes werden mit Insektengiften getränkte feine Netze über Dreibeinen aufgestellt. Pheromone locken die erste ausschwärmende Generation der Borkenkäfer an und eliminieren sie, bevor sie sich ausbreiten können. Andere Insektenarten sollen davon unberührt bleiben. Gelingt das Manöver, ist der Rest Schweigen – im Walde.

Per App gegen den Borkenkäfer

Dieses Verfahren wird in dieser Form von allen forstwirtschaftlichen Betrieben angewandt. 1,1 Millionen Hektar Wald gibt es in Niedersachsen. Etwas über die Hälfte davon ist in Privatbesitz, der Rest gehört Städten, Gemeinden, Kirchen oder der Klosterkammer. Neue Wege bei der Borkenkäferbekämpfung schlägt nun die Landwirtschaftskammer ein. Thomas Ahrenholz leitet dort die Task Force Waldschäden, die als Reaktion auf die verheerenden Stürme im vergangenen Jahr gegründet wurde. Aktuell lässt die Sondereinheit eine App entwickeln, um dem Borkenkäfer beizukommen.

Wenn man es sieht, ist es schon zu spät: befallene Fichten in Niedersachsens Wäldern – Foto: Landwirtschaftskammer Niedersachsen.

Die landläufig als „Borkenkäfer-App“ bezeichnete Anwendung soll Waldläufer bei der Schadenaufnahme, also dem ersten Schritt der Borkenkäfereindämmung, unterstützen: Wird ein befallener Baum entdeckt, kann der Forst-Mitarbeiter die Koordinaten vermerken und der Baum später entnommen werden. Die moderne Technik hat allerdings eine Tücke: „Wir leben im Jahr 2019 in der Bundesrepublik Deutschland und wir haben im Wald verlässlich kein Internet“, beklagt Ahrenholz. Die App müsse also auch offline laufen. Weil GPS zwischen den Bäumen ebenfalls nicht besonders gut funktioniert, werden in der Anwendung direkt Landkarten hinterlegt.

Mitfinanziert wird die Entwicklung der App vom Landwirtschaftsministerium. Dort arbeitet man zurzeit auch an der Erarbeitung einer neuen Richtlinie, die die Waldbesitzer bei der Borkenkäferabwehr unterstützen soll. Ende 2018 hatte dazu der Planungsausschuss für Agrarstruktur und Küstenschutz unter Vorsitz der Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner einen neuen Unterpunkt in den Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz (GAK) aufgenommen.

Wir leben im Jahr 2019 in der Bundesrepublik Deutschland und wir haben im Wald verlässlich kein Internet.

Der Waldbesitzerverband Niedersachsen, der die Interessen der 60.000 nicht-staatlichen Waldbesitzer vertritt, wartet nun händeringend auf die Umsetzung auf Landesebene. Das Ministerium werde demnach es unterstützen, wenn die Forstwirte Fangholzhaufen anlegen und diese chemisch behandeln. Außerdem solle bruttaugliches Restholz beseitigt und Derbholz entrindet werden. Finanzielle Mittel stellt das Landwirtschaftsministerium außerdem dafür bereit, dass Holzlagerplätze angelegt und das Holz dorthin transportiert wird.

Eine App allein macht aber noch keinen Borkenkäfer-Jäger und bevor der Baum ins Lager kommt, muss der Schädlingsbefall erst einmal erkannt werden. Dafür hat die Nordwestdeutsche Forstliche Versuchsanstalt in Göttingen seit Beginn des Jahres alle Forstfachkräfte in Niedersachsen geschult. Zurzeit stellt die Landwirtschaftskammer ein Konzept auf, um dieses Schulungsangebot auch auf weitere Waldläufer auszuweiten.

Es steht die Möglichkeit im Raum, auch geringer ausgebildete Wald-affine Menschen in den Kampf gegen den Borkenkäfer einzubinden. Constantin von Waldthausen sieht dafür in seinem Zuständigkeitsbereich allerdings keine Notwendigkeit, denn die Klosterforsten können einfach Personal aus dem Norden in den Süden beordern. „Wir haben zwölf Reviere mit 25 Forstwirten und setzten jetzt auf ein rotierendes System: Die Kollegen aus den nördlichen Kiefernwäldern kommen zur Unterstützung in die südlichen Fichtenwälder.“

Monokulturen machen es dem Borkenkäfer leicht

Für die Klosterforsten ist die Aufteilung in Kiefern- und Fichtenreviere nun von Vorteil. Die Naturschutzverbände Nabu und BUND sehen darin allerdings erst den Ausgangspunkt der aktuellen Notlage: Die Forstwirtschaft setze aus ökonomischen Gründen auf Monokulturen und verhindere damit eine natürliche Entwicklung. Miriam Staudte, landwirtschaftspolitische Sprecherin der Grünen im Landtag, pflichtet den Verbänden bei: „Naturnahe Laub- und Mischwälder sind deutlich widerstandsfähiger gegen Hitze, Stürme und Schädlingsbefall. Landwirtschaftsministerin Otte-Kinast blockiert jedoch den unter Rot-Grün begonnenen ökologischen Waldumbau. Wir müssen aber weg von Nadelholz-Monokulturen, um Risikovorsorge für den Klimawandel zu leisten.“

Constantin von Waldthausen sorgt sich zwar auch vor dem Klimawandel, widerspricht aber dem pauschalen Vorwurf der Naturschützer. Hochlagenbestände, beispielsweise im Harz, seien nun einmal typische Nadelholzbestände. Nun ist gerade das Naturschutzgebiet Harz auch für die Umweltschützer ein Beispiel, das zeige, dass weniger Einflussnahme oft mehr bewirke. Friedhart Knolle etwa, zuständig für den Nationalpark Harz, habe positive Langzeiterfahrungen im Umgang mit Naturkatastrophen im Wald. Der Harz zeige, wie erstaunlich die Entwicklungen sein können, wenn man der Natur freien Lauf lasse, sagt Susanne Gerstner, Landesgeschäftsführerin des BUND: „Der Mensch denkt in Jahren – der Wald ist da langfristiger.“


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Besonders kritisch sehen die Umweltschützer deshalb nun die gemeinsame Empfehlung des Umwelt- und des Landwirtschaftsministeriums von Anfang März, die Holzentnahme in den Natura-2000-Gebieten auch in der Schutzzeit von März bis Ende August zu ermöglichen. „Es stimmt traurig, dass nun ausgerechnet das Umweltministerium die jahrzehntelange aufklärende Öffentlichkeitsarbeit des eigenen Nationalparks Harz durch fachlich eindeutig unzutreffende Aussagen konterkariert“, sagt Carsten Böhm, Vorstand Nabu Niedersachsen. Buchdrucker und Kupferstecher, wie die vermeintlich gefährlichen Borkenkäferarten heißen, würden weder Holz noch andere Insekten fressen. Das Totholz aus den Schutzgebieten zu entnehmen, habe also gar keinen Effekt, da die Borkenkäfer ohnehin junge Bäume bevorzugten. „Sollte tatsächlich in den wichtigen Natura-2000-Schutzgebieten wider besseren Wissens Alt- und Totholz entnommen werden, behält sich der Nabu eine EU-Beschwerde vor“, erklärt Holger Buschmann, Nabu-Landesvorsitzender. Das Umweltministerium ist derweil zurückgerudert: Eine Entnahme von Tot- und Altholz sei in dem Erlass vom 28. Februar ausdrücklich nicht geregelt, diese seien „wichtige Bestandteile des naturschutzfachlichen Konzepts“.

Das ist für den Forstwirt natürlich erst einmal schwer zu verkraften.

Ließe man die Natur stattdessen gewähren, würden die Borkenkäfer zwar zunächst großen Schaden anrichten. Doch in der dann brachliegenden Gegend würden schon bald Staudenfluren den Boden bedecken, erklärt Susanne Gerstner vom BUND. Anschließend kämen erste Pionier-Baumarten und schließlich würden auch langfristige Baumarten sich wieder ansiedeln und der Waldbestand natürlich durchmischt. „Das ist für den Forstwirt natürlich erst einmal schwer zu verkraften“, gesteht Gerstner ein. Doch durch den Einsatz von Pestiziden werde immer wieder der Punkt verzögert, an dem eine Population auf natürliche Weise zusammenbreche. In einer größeren Dimension gedacht verlängere also der menschliche Einsatz die Borkenkäferbelastung nur, anstatt sie tatsächlich einzudämmen.