
Würden wir ohne chemische Mittel an solche Herausforderungen herangehen, würden wir große Teile der Wälder verlieren.
Auch im vierten und letzten Akt kommt Chemie zum Einsatz: In der Nähe des Waldes werden mit Insektengiften getränkte feine Netze über Dreibeinen aufgestellt. Pheromone locken die erste ausschwärmende Generation der Borkenkäfer an und eliminieren sie, bevor sie sich ausbreiten können. Andere Insektenarten sollen davon unberührt bleiben. Gelingt das Manöver, ist der Rest Schweigen – im Walde.
Per App gegen den Borkenkäfer
Dieses Verfahren wird in dieser Form von allen forstwirtschaftlichen Betrieben angewandt. 1,1 Millionen Hektar Wald gibt es in Niedersachsen. Etwas über die Hälfte davon ist in Privatbesitz, der Rest gehört Städten, Gemeinden, Kirchen oder der Klosterkammer. Neue Wege bei der Borkenkäferbekämpfung schlägt nun die Landwirtschaftskammer ein. Thomas Ahrenholz leitet dort die Task Force Waldschäden, die als Reaktion auf die verheerenden Stürme im vergangenen Jahr gegründet wurde. Aktuell lässt die Sondereinheit eine App entwickeln, um dem Borkenkäfer beizukommen. [caption id="attachment_39050" align="alignnone" width="585"]
Wir leben im Jahr 2019 in der Bundesrepublik Deutschland und wir haben im Wald verlässlich kein Internet.
Der Waldbesitzerverband Niedersachsen, der die Interessen der 60.000 nicht-staatlichen Waldbesitzer vertritt, wartet nun händeringend auf die Umsetzung auf Landesebene. Das Ministerium werde demnach es unterstützen, wenn die Forstwirte Fangholzhaufen anlegen und diese chemisch behandeln. Außerdem solle bruttaugliches Restholz beseitigt und Derbholz entrindet werden. Finanzielle Mittel stellt das Landwirtschaftsministerium außerdem dafür bereit, dass Holzlagerplätze angelegt und das Holz dorthin transportiert wird.
Eine App allein macht aber noch keinen Borkenkäfer-Jäger und bevor der Baum ins Lager kommt, muss der Schädlingsbefall erst einmal erkannt werden. Dafür hat die Nordwestdeutsche Forstliche Versuchsanstalt in Göttingen seit Beginn des Jahres alle Forstfachkräfte in Niedersachsen geschult. Zurzeit stellt die Landwirtschaftskammer ein Konzept auf, um dieses Schulungsangebot auch auf weitere Waldläufer auszuweiten.

Monokulturen machen es dem Borkenkäfer leicht
Für die Klosterforsten ist die Aufteilung in Kiefern- und Fichtenreviere nun von Vorteil. Die Naturschutzverbände Nabu und BUND sehen darin allerdings erst den Ausgangspunkt der aktuellen Notlage: Die Forstwirtschaft setze aus ökonomischen Gründen auf Monokulturen und verhindere damit eine natürliche Entwicklung. Miriam Staudte, landwirtschaftspolitische Sprecherin der Grünen im Landtag, pflichtet den Verbänden bei: „Naturnahe Laub- und Mischwälder sind deutlich widerstandsfähiger gegen Hitze, Stürme und Schädlingsbefall. Landwirtschaftsministerin Otte-Kinast blockiert jedoch den unter Rot-Grün begonnenen ökologischen Waldumbau. Wir müssen aber weg von Nadelholz-Monokulturen, um Risikovorsorge für den Klimawandel zu leisten.“ Constantin von Waldthausen sorgt sich zwar auch vor dem Klimawandel, widerspricht aber dem pauschalen Vorwurf der Naturschützer. Hochlagenbestände, beispielsweise im Harz, seien nun einmal typische Nadelholzbestände. Nun ist gerade das Naturschutzgebiet Harz auch für die Umweltschützer ein Beispiel, das zeige, dass weniger Einflussnahme oft mehr bewirke. Friedhart Knolle etwa, zuständig für den Nationalpark Harz, habe positive Langzeiterfahrungen im Umgang mit Naturkatastrophen im Wald. Der Harz zeige, wie erstaunlich die Entwicklungen sein können, wenn man der Natur freien Lauf lasse, sagt Susanne Gerstner, Landesgeschäftsführerin des BUND: „Der Mensch denkt in Jahren – der Wald ist da langfristiger.“Lesen Sie auch: Alarm im Wald: Auch 2019 droht wieder eine Borkenkäfer-Plage Neuer Bericht gibt Auskunft über Dürreschäden in den Wäldern
Besonders kritisch sehen die Umweltschützer deshalb nun die gemeinsame Empfehlung des Umwelt- und des Landwirtschaftsministeriums von Anfang März, die Holzentnahme in den Natura-2000-Gebieten auch in der Schutzzeit von März bis Ende August zu ermöglichen. „Es stimmt traurig, dass nun ausgerechnet das Umweltministerium die jahrzehntelange aufklärende Öffentlichkeitsarbeit des eigenen Nationalparks Harz durch fachlich eindeutig unzutreffende Aussagen konterkariert“, sagt Carsten Böhm, Vorstand Nabu Niedersachsen. Buchdrucker und Kupferstecher, wie die vermeintlich gefährlichen Borkenkäferarten heißen, würden weder Holz noch andere Insekten fressen. Das Totholz aus den Schutzgebieten zu entnehmen, habe also gar keinen Effekt, da die Borkenkäfer ohnehin junge Bäume bevorzugten. „Sollte tatsächlich in den wichtigen Natura-2000-Schutzgebieten wider besseren Wissens Alt- und Totholz entnommen werden, behält sich der Nabu eine EU-Beschwerde vor“, erklärt Holger Buschmann, Nabu-Landesvorsitzender. Das Umweltministerium ist derweil zurückgerudert: Eine Entnahme von Tot- und Altholz sei in dem Erlass vom 28. Februar ausdrücklich nicht geregelt, diese seien "wichtige Bestandteile des naturschutzfachlichen Konzepts".
Das ist für den Forstwirt natürlich erst einmal schwer zu verkraften.
Ließe man die Natur stattdessen gewähren, würden die Borkenkäfer zwar zunächst großen Schaden anrichten. Doch in der dann brachliegenden Gegend würden schon bald Staudenfluren den Boden bedecken, erklärt Susanne Gerstner vom BUND. Anschließend kämen erste Pionier-Baumarten und schließlich würden auch langfristige Baumarten sich wieder ansiedeln und der Waldbestand natürlich durchmischt. „Das ist für den Forstwirt natürlich erst einmal schwer zu verkraften“, gesteht Gerstner ein. Doch durch den Einsatz von Pestiziden werde immer wieder der Punkt verzögert, an dem eine Population auf natürliche Weise zusammenbreche. In einer größeren Dimension gedacht verlängere also der menschliche Einsatz die Borkenkäferbelastung nur, anstatt sie tatsächlich einzudämmen.