Von Martin Brüning

Eine Insolvenzwelle, die Rückkehr der Massenarbeitslosigkeit, leere Staatskassen: das sind die Szenarien, auf die sich manche in diesen immer noch durch das Corona-Virus geprägten Zeiten vorsichtig einstellen. Und so konnte man für die Sommertour von Wirtschaftsminister Bernd Althusmann schon mal auf das Schlimmste gefasst sein. Jedoch: Abseits des Termins beim Braunschweiger Einzelhändler spielte Corona bei den Terminen in den Betrieben eine nur untergeordnete Rolle. „Nächstes Jahr kommt bestimmt ein Impfstoff“, sagte ein Firmenchef optimistisch. Und dann – konnte man im Kopf hinzudenken – sei alles so wie früher. Maskenpflicht, Reisebeschränkungen – war da was?

Erst mal die Maschine starten: Wirtschaftsminister Bernd Althusmann mit Christian Beer

Althusmanns Reise war ein Beleg dafür, wie die Unternehmen trotz Krise weiterplanen und wie weit sich „new economy“ und „old economy“ schon gekommen sind, wo auch beim mehr als 160 Jahre alten Maschinenbauunternehmen der CEO „der Dirk“ und die Managerin für die Digitalisierung des Unternehmens „die Kristin“ sind und man es mit einer „Wir haben das jetzt einfach schon mal schnell eingeführt“-Kultur der Start-up-Szene und ihrem Prinzip des „schöner Scheiterns“ nachmacht.

Die Sommertour beginnt in Wolfenbüttel, am Ende eines Industriegebiets. Kaum vorstellbar, dass sich hinter der blauen Wand des neuen, aber recht unscheinbaren Gebäudes ein sogenannter Hidden Champion versteckt, also ein weltweiter Marktführer, den aber viele gar nicht kennen. Ein Unternehmen mit 25 Mitarbeitern, das in mehr als 20 Länder exportiert. Die Lautsprecher der Firma Pan Acoustics hängen in der Gelehrtengesellschaft „Académie française“ in Paris, in Mekka, im Stockholmer Stadshus, wo die Nobelpreise vergeben werden, im Landtag von Magdeburg aber auch im Parlament von Angola. Wer den Ratsmitgliedern im Sitzungssaal des Neuen Rathauses in Hannover lauscht, hört deren Stimmen auch aus Lautsprechern des Wolfenbütteler Unternehmens.

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Fragt man Geschäftsführer Udo Borgmann, der das Unternehmen vor gut 18 Jahren gegründet hat, nach Konkurrenten auf dem Weltmarkt, muss er kurz nachdenken. „Eigentlich gibt es da nur das US-Unternehmen Bose, sonst ist da inzwischen niemand mehr“, erklärt er. Borgmann ist Berufsoptimist, er glaubt nicht daran, dass Corona ihm langfristig seine Geschäfte verhageln wird.

Und für den Standort Wolfenbüttel, wo das neue Gebäude die 7000 Quadratmeter Fläche bei weitem nicht ausfüllt, hat Borgmann noch große Pläne. Ein Amphitheater schwebt ihm vor, in dem Kulturveranstaltungen stattfinden könnten. Die Gäste dürften dann wohl aus allen Teilen der Welt kommen, Geschäftspartner aus Saudi-Arabien kommen jetzt schon immer wieder mal nach Wolfenbüttel, erklärt eine seiner Töchter, die auch im Unternehmen mitarbeitet.

Visitor Althusmann beobachtet die Arbeit bei der BMA – Foto: MB.

Das 7000 Quadratmeter-Gelände der Akustik-Firma in Wolfenbüttel wirkt gegen den Sitz der Braunschweigische Maschinenbauanstalt (BMA) wie eine Kleingarten-Parzelle. BMA braucht Platz, zwei Drittel des Geländes nimmt die Fabrik ein, in viele der insgesamt mehr als 700 Mitarbeiter an großen Maschinen für die Herstellung von Zucker schrauben. Für die BMA sind die Corona-bedingten Reisebeschränkungen ein Problem, nicht nur, weil das Unternehmen an 14 Standorten vertreten ist und man inzwischen zumeist per Videokonferenz in Kontakt tritt, sondern auch, weil Mitarbeiter überall auf der Welt beim Aufbau der Maschinen in den Raffinerien helfen müssen.

95 Prozent der Kunden sitzen außerhalb von Deutschland, erklärt CEO Dirk Steinbrink. Inzwischen wird kräftig durchdigitalisiert. Kristin Odörfer beschreibt, wie das Unternehmen zu einem „Full-Service-Digitalisierungs-Partner“ der Unternehmen werden soll. Und während in der modernen und sauberen Fabrikhalle an riesigen Zentrifugen gearbeitet wird, erklärt Odörfer in der Kantine, dass bei der neuen App, mit der Kunden die Funktion ihrer Anlagen jederzeit auf dem Smartphone im Auge behalten können, auch eine Bezahlung über „Apple Pay“ möglich ist.

Zwei Welten in einem Unternehmen. Was wird die Zukunft für ein Unternehmen bringen, das zu 95 Prozent auf den Welthandel angewiesen ist? „Die Verflechtung der weltweiten Wirtschaft wird durch Corona ein Stück weit zurückgehen, es wird etwas mehr Lokalisierung und etwas weniger Globalisierung geben“, glaubt Wirtschaftsminister Althusmann. Aber die Zentrifugen des Braunschweiger Unternehmens blieben weltweit an den Standorten, an denen Zucker hergestellt wird, auch weiterhin von größter Bedeutung. Daran ändert auch Corona nichts, meint Althusmann.

Den Jungunternehmern geht es nicht schnell genug

Auch in den ehemaligen Wichmann-Hallen, etwa 15 Gehminuten von der BMA-Fabrik entfernt, wurden vor vielen Jahrzehnten Maschinen  für die Zuckerindustrie produziert. Heute heißt das Gebäude „Trafo Hub“ und ist ein sogenannter „Co-Working-Space“ für Start-up-Unternehmer, die einen Platz zum Arbeiten benötigen. Die jungen Unternehmer, die hier in einer Runde mit Althusmann sitzen, wissen vielleicht gar nicht mehr, dass man neben Apple Pay auch noch mit Münzen und Scheinen bezahlen kann. Alte Welt – neue Welt. Hier werden die Wünsche, die an den Wirtschaftsminister herangetragen werden, sehr konkret. Es sei zwar genügend Geld da, um Start-ups zu fördern, die Förderanträge seien aber kompliziert und alles dauere lange. Am Ende gebe es Frust bei der Behörde und beim Jungunternehmer. „Ich will an meiner Idee arbeiten und nicht an einem Antrag“, so die Kritik.

Auch bei der N-Bank fehle es an Geschwindigkeit. „Dort heißt es: Wir kümmern uns im Oktober um den Antrag. Ich weiß aber gar nicht, ob es im Oktober überhaupt noch aktuell ist“, heißt es. Und die Start-up-Unternehmer wollen ernst genommen. Warum auf Delegationsreisen eigentlich immer nur Volkswagen und Siemens dabei seien, fragen sie. Althusmann verspricht, auch Jungunternehmer mitzunehmen – wenn es denn wieder möglich ist. Und er schlägt vor, auf den Reisen eine Broschüre über die Start-ups in Niedersachsen stets dabei zu haben. Eine Broschüre? Auf Papier? Da sind die jungen Leute im „Trafo hub“ doch eher skeptisch.

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Es ist eine Sommertour irgendwo zwischen gestern und heute. Die Themen, die die Unternehmen beschäftigen, sind dieselben geblieben. In allen Gespräch schwingt aber auch – mal mehr, mal weniger deutlich – ein Hauch von Unsicherheit mit. Was passiert morgen? Althusmann, der so gerne optimistisch wäre, kann sich der Realität nicht entziehen. „Es wird ein heißer Herbst. Es werden in diesem Jahr noch viele Unternehmen in Schwierigkeiten kommen, und wir werden viele Insolvenzen erleben“, meint der niedersächsische Wirtschaftsminister.

Bis dahin kann man sich mit ein bisschen Musik ablenken. Pan Acoustics-Chef Udo Borgmann spielt im Vorführraum mit modernster Lautsprechertechnik zur Auflockerung eine Live-Version von „Hotel California“ von den Eagles ab. Althusmann wippt für vier Minuten entspannt mit dem Fuß mit.