Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) hat im Landtag vor einer „dramatischen Lage der Inflationsentwicklung in den kommenden drei bis vier Wochen“ gewarnt. „Die Geldentwertung liegt jetzt bei sieben Prozent, sie könnte bald zwölf Prozent erreichen“, sagte der CDU-Politiker in einer von seiner Landtagsfraktion beantragten aktuellen Plenardebatte. Der Bund müsse jetzt gemeinsam mit den Ländern „entschlossen gegensteuern“ und drastische Schritte vereinbaren. Drei Viertel der Niedersachsen hätten Sorge vor einem massiven Wohlstandsverlust und einer „davongaloppierenden Inflation“. Die Reaktion vieler Menschen sei Kaufzurückhaltung, und es könne ein schwerer Fehler sein, darauf mit weiteren Schulden des Staates zu reagieren. „Wenn eine steigende Nachfrage nicht mit mehr Angebot beantwortet werden kann, weil viele Produkte gar nicht hergestellt werden können, dann verschlimmert das die Lage noch.“
Nach Althusmanns Schätzung beträgt die Inflationslast für einen Vier-Personen-Haushalt durchschnittlich 240 Euro monatlich. Er schlage daher eine Reihe von drastischen Schritten vor. Man müsse überlegen, die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel (bisher 7 Prozent) kurzfristig ganz auszusetzen. Der ermäßigte Mehrwertsteuersatz (für Lebensmittel, Futtermittel oder auch Bücher und Zeitungen) solle dauerhaft von 7 auf 5 Prozent sinken. Die Gastronomie müsse steuerlich entlastet werden. Die vom Bund geplante Energiekostenentlastung spare bisher die Klein- und Mittelbetriebe aus, dies sei ein Fehler. Eine Anhebung der Pendlerpauschale sei ebenfalls nötig. CDU-Fraktionsvize Ulf Thiele hatte die Bestandsaufnahme in der Debatte noch ergänzt: Viele kommunale Stadtwerke klagten bereits über Lieferengpässe. Bürgermeister berichteten, Bauinteressierte würden reservierte Bauplätze zurückgeben, da ihre private Baufinanzierung zusammenbreche. Es sei falsch, dass die Ampel-Regierung in Berlin das 300-Euro-Energieentlastungsgeld nicht für Rentner und Studenten, sondern nur für Erwerbstätige vorsehe. Thiele sagte, auch die „Erweiterung des Warenangebotes“ sei nötig – indem die Handelsabkommen mit den USA, Großbritannien, Neuseeland und Australien so rasch wie möglich in Kraft treten. Dass die Europäische Zentralbank die Leitzinsen nicht schon deutlich angehoben habe, zeige, wie wenig diese „ihrer Aufgabe gewachsen ist“. Althusmann meinte, die Zentralbankpolitik sei gegenwärtig „nicht vertretbar“.
Der Grünen-Abgeordnete Detlev Schulz-Hendel rügte, Althusmann solle nicht „die Ängste der Menschen schüren und damit die Inflation weiter anheizen“. Aus seiner Sicht zeige sich gegenwärtig mit der Corona- und der Ukraine-Krise eine Schwäche des Handelssystems, das auf „Just in time“-Verfahren ausgerichtet sei. Überall auf der Welt habe sich die Wirtschaft Nischen für die Gewinnmaximierung gesucht, in denen ökologische oder soziale Standards keine Rolle spielten. Nun zeige sich an abgebrochenen Lieferketten, wie fragil dieses System sei und wie dringend ausgelagerte Produktionen „zurück nach Europa geholt“ werden müssten. Christian Grascha (FDP) nannte Althusmanns Vortrag „blanken Populismus“, da er Mehrausgaben in Milliardenhöhe verlange (etwa über die Mehrwertsteuer-Aussetzung) und die Entlastung nicht mehr gezielt bei den Bedürftigen ansetze. „Verantwortungslos“ wäre es aus Graschas Sicht allerdings, die Schuldenbremse zu lockern und damit „noch mehr Inflation zu erzeugen“. Der SPD-Wirtschaftsexperte Christoph Bratmann meinte, behutsame und wohlüberlegte Entlastungen vertrügen sich in Althusmanns Konzept nicht mit den Rufen nach „milliardenschweren Forderungen“ wie etwa einer Mehrwertsteuersenkung. Das von der Bundesregierung vorgelegte Entlastungspaket zur Inflation sei „noch nicht der Weisheit letzter Schluss“, fügte der SPD-Politiker hinzu. Ein weiteres müsse folgen, und Investitionen in die Infrastruktur seien ebenfalls wichtig. Die alte Losung der Handelspolitik, wonach die Lastwagen auf den Straßen oder die Container auf den Schiffen der beste Lagerraum seien, gelte nicht mehr.