Alles, was die Polizei erlaubt
Wie geht es nun weiter mit der Polizei? Im Landtag wird derzeit gehörig gestritten über die Rechtsgrundlage, auf der die Beamten arbeiten sollen. Rot-Grün will das „Gesetz für Sicherheit und Ordnung“ (SOG), wie es derzeit heißt, umwandeln in ein „Gefahrenabwehrgesetz“. Aber der Entwurf gärt schon seit Monaten in der Landtagsverwaltung, die Parlamentsjuristen und das Innenministerium tauschen sich über viele Details aus – und ein Ergebnis lässt weiter auf sich warten. Gleichzeitig prescht nun die CDU vor, sie will ein eigenes Gesetz durchsetzen, das wieder den Namen SOG tragen soll. Solange nun das Parlament über keinen der Entwürfe entschieden hat, bleibt es beim alten Gesetz – und das könnte noch einige Zeit so bleiben.
Der Streit dreht sich um mehrere Punkte:
Wann wird der rot-grüne Gesetzentwurf fertig? Das kann noch dauern. Der juristische Dienst des Landtags wird ein Gutachten zum Regierungsentwurf abgeben und hat sich deshalb an das Innenministerium gewandt, erstmals im November. Inzwischen habe man „eine erste Tranche Antworten erhalten“, vieles aber sei noch unbeantwortet, sagte gestern ein Vertreter der Parlamentsjuristen im Innenausschuss. Das liegt auch daran, dass der vom Kabinett 2016 beschlossene Entwurf mehrfach abgeändert wurde. Auf Wunsch der Polizei wurde die erst gestrichene Vorschrift zu den „verdachtsunabhängigen Kontrollen“ wieder eingefügt, nach dem Anschlag von Anis Amir in Berlin kurz vor Weihnachten kündigten Innen- und Justizministerium an, die Videoaufzeichnungen zu erleichtern und auch eine Vorschrift einzufügen, dass Gefährder mit einer Fußfessel ausgestattet werden können. Gefährder sind Menschen, von denen potenziell eine Gefahr ausgehen kann, die aber noch nicht straffällig geworden sind. Wenig später dann kam die dritte Änderung: Zunächst wollte Rot-Grün die maximale Zeit, in der Gefährder festgehalten werden können, von derzeit zehn auf vier Tage verkürzen. Dann aber gab die Koalition dieses Vorhaben wieder auf. Dass der mehrfach umgeformte Entwurf für das Polizeigesetz immer noch nicht fertig ist, liegt auch daran, dass in Berlin derzeit über eine Fußfessel-Regel im BKA-Gesetz diskutiert wird. Wie die Grünen-Landesvorsitzende Meta Janssen-Kucz gestern sagte, wolle man sich die Bundesregeln genau anschauen – und womöglich in das neue Landesgesetz einarbeiten. Hier gebe es ein politisches „Minenfeld“. Der Vertreter der Landtagsjuristen meinte, es sei „noch nicht absehbar“, wann er und seine Kollegen eine eigene Stellungnahme vorlegen. Wegen einer Flut von Gesetzesvorhaben seien alle Mitarbeiter des juristischen Dienstes derzeit überlastet.
Was zeichnet den CDU-Entwurf aus? Der Kern ist die Dauer, in der eine gefährliche Person (die kein Straftäter ist) festgehalten werden kann. Die CDU will das auf 18 Monate ausweiten, auch wenn Thomas Adasch (CDU) sagt, man könne über den Zeitpunkt noch reden. Derzeit im Gesetz vorgesehen sind zehn Tage, Rot-Grün will das mittlerweile auch dabei belassen. In der Anhörung zum CDU-Entwurf im Innenausschuss wurde gestern Kritik geäußert. Die Datenschutzbeauftragte, der Bund der Kriminalbeamten, die Deutsche Polizeigewerkschaft und die Gewerkschaft der Polizei sahen Bedenken, ob ein derart langer Freiheitsentzug verfassungsrechtlich zulässig wäre. Auch SPD und Grüne teilen diese Bedenken, ebenso die FDP. Immerhin ein Strafrechtler, der Augsburger Professor Michael Kubiciel, hält die 18-Monate-Regel für verfassungsrechtlich „nicht zu beanstanden“, da zuvor die unmittelbare Gefahr einer „besonders schwerwiegenden Straftat“ vorliegen müsse. Außerdem knüpfe man an das Aufenthaltsgesetz an, und es gebe keinen zwingenden Grund, zwischen in- und ausländischen Gefährdern zu unterscheiden. Der CDU-Entwurf wird an einigen Stellen konkreter als der rot-grüne Entwurf, wenn es etwa um Meldeauflagen und Kontaktverbote für Gefährder geht oder um die Voraussetzungen für die Videoüberwachung. „Je konkreter die Vorschrift, desto besser ist es für die Polizei“, lobt Alexander Zimbehl von der Deutschen Polizeigewerkschaft. Außerdem will die CDU, anders als Rot-Grün, am Begriff der „öffentlichen Ordnung“ festhalten. Widerspruch kommt hier von Karsten Becker (SPD): Das Ordnungswidrigkeitengesetz gebe Polizei und Kommunen schon heute die Gelegenheit, gegen Vandalismus oder grob ungehörige Handlungen vorzugehen. „Dazu braucht man keine Bestimmung im Gefahrenabwehrrecht.“
Was sagen die Datenschützer? Volker Klauke, Mitarbeiter der Datenschutzbeauftragten Barbara Thiel, ist mit vielen Bestimmungen im CDU-Entwurf durchaus einverstanden. Dort ist etwa davon die Rede, bestimmte neue Projekte zu befristen und zu überprüfen. Dies sei sinnvoll, meint Klauke und verbindet das mit einer aktuellen Kritik an der Arbeit des Landes-Innenministeriums. Derzeit fehlten Rechtsgrundlagen etwa zum Betrieb von Bodycams, also Kameras, die Polizisten am Körper tragen. Inzwischen sei der Pilotversuch beendet, angeblich seien die Kameras aber weiter im Einsatz. Dies führte im Innenausschuss zu heftigen Rügen der Opposition – Adasch und Jan-Christoph Oetjen (FDP) sprachen von „Missachtung des Parlaments“, da der Ausschuss die Bewertung des Pilotversuchs noch nicht vorgenommen habe. Ulrich Watermann (SPD) teilt die Aufregung nicht, denn aus Sicht der Parlamentsjuristen gebe es sehr wohl eine Rechtsgrundlage für die Bodycams. Klauke berichtete, nun wollten auch Ordnungsamtsmitarbeiter, etwa im Heidekreis, solche Kameras zum Selbstschutz nutzen: Mehrere Kontrolleure seien nach Geschwindigkeitskontrollen von aufgebrachten Autofahrern angegriffen worden. Der Vertreter der Datenschutzbeauftragten bemängelte außerdem weitere „Merkwürdigkeiten“: Die Polizeidirektionen Göttingen und Osnabrück würden Gefängniszellen, in denen etwa Gefährder untergebracht werden, mit Videokameras überwachen. Die Rechtsgrundlage dafür, meint Klauke, gebe es nicht. Sorge hat er auch wegen der „intelligenten Videoüberwachung“, also einem automatischen System der Gesichtserkennung. „Für all diese Dinge braucht man Normen im Gesetz“. Aber, so sagt der Vertreter der Datenschutzbeauftragten, Vorsicht sei geboten: „Meine Chefin hat verstanden, wie kreativ der Innenminister mit dem vorhandenen Recht umzugehen pflegt.“ (kw)