Allensbach-Umfrage belegt: Viele Niedersachsen blicken skeptisch in die Zukunft
Dem Kultusministerium fällt es von Jahr zu Jahr schwerer, die freien Lehrerstellen mit geeigneten Bewerbern zu besetzen. Viele Handwerker können Aufträge nicht erledigen, da ihnen die Fachleute fehlen. Wer Erspartes angesammelt hat, macht sich wegen der Inflation Sorgen um den Bestand seines Vermögens – und die steigenden Preise beim Einkauf machen vielen Leuten Angst. Von den Sorgen um die Zukunft der Energieversorgung in den eigenen vier Wänden ganz zu schweigen.
Das Institut für Demoskopie Allensbach (IfD) hat im Auftrag der Drei-Quellen-Mediengruppe (3QM) von Mitte Mai bis Mitte Juni 1101 volljährige Niedersachsen repräsentativ befragt – und zwar in Face-to-Face-Interviews, also mit intensiver Vorbereitung. Die Hälfte der Befragten gab an, dass sie für die kommenden Jahre Schwierigkeiten bei der Sicherstellung der Energieversorgung befürchten. Lediglich 34 Prozent hätten hingegen angegeben, sie glaubten an stabile Strom- und Wärmeangebote.
Der 3QM-Geschäftsführer Volker Schmidt bewertet die Resultate so: „Die Aneinanderreihung von Krisen – Corona, Ukraine, Energiepreise – hinterlässt nachhaltige Spuren in der Stimmungslage der Bevölkerung. Das Vertrauen in die Kompetenz der Politik geht zurück, die Verunsicherung wächst. Die Politik ist aufgefordert, dringend Klarheit zu schaffen und das Vertrauen der Leute zurückzugewinnen.“
Das IfD hat die Menschen auch gebeten, ihre drängendsten Probleme anzugeben. Auf Platz eins liegt mit 77 Prozent die Inflationsentwicklung. Mit einigem Abstand ist auf Rang zwei der Fachkräftemangel (62 Prozent), gefolgt vom Ärztemangel auf dem Land (59 Prozent). Je 57 Prozent haben die überbordende Bürokratie und die hohen Mieten angegeben. Der Unterrichtsausfall in den Schulen liegt mit 49 Prozent auf Position sechs, die Sorgen über die Energieversorgung schließt sich auf Rang sieben an.
Es ist nicht auszuschließen, dass das Energie-Thema im kalten Winter wieder einen deutlich höheren Stellenwert erreichen wird. Schmidt bewertet diese Reihenfolge der größten Sorgen so: „Die Inflation ist nach wie vor das Thema, welches die Niedersachsen am stärksten mit Sorge erfüllt. Die Niedersachsen sorgen sich zunehmend um ihren Wohlstand. Entspannung ist dabei nicht in Sicht, denn Fachkräftekrise, Engpässe in der Gesundheitsversorgung und weiter steigende Energiepreise werfen bereits ihre Schatten voraus.“
„Die Gesundheitspolitik steht vor der großen Herausforderung, der personellen Erosion des Gesundheitswesens entgegenzuwirken.“
Volker Schmidt
Näher untersucht hat das IfD unter anderem die Gesundheitsversorgung, wobei zunächst festzuhalten ist, dass 57 Prozent der Befragten die gegenwärtige Lage erst einmal als positiv beschreiben. Bei näherer Betrachtung schält sich dann aber, gerade mit Blick auf die Zukunft, eine Zweiteilung heraus: 73 Prozent der Menschen in Großstädten und Ballungsräumen beschreiben den Versorgungsstandard als gut oder sehr gut, 23 Prozent sehen das dort eher kritisch.
Anders ist die Lage in den Mittelstädten, dort identifizieren 55 Prozent die Ausgangssituation als gut, 40 Prozent als nicht so gut. In den Dörfern beurteilen 50 Prozent die Situation als gut, 49 Prozent als nicht gut. Schmidt sagt: „Die Umfrage zeigt also, dass sich das Versorgungsniveau von Stadt und ländlichem Raum in Niedersachsen entkoppelt.“
Insgesamt gehen 52 Prozent der Niedersachsen davon aus, dass sich die Gesundheitsversorgung in ihrer Region weiter verschlechtern wird, nur fünf Prozent erwarten eine Verbesserung. In dieser Beurteilung mischt sich die Debatte über die Reform der Krankenhausstruktur mit Berichten über einen Nachwuchsmangel bei Ärzten und mit dem Personalengpass in der Pflege. In den Großstädten liegt die Zahl derer, die eine Verschlechterung prognostizieren, bei 42 Prozent – in den Dörfern aber bei 57 Prozent. Insgesamt haben 56 Prozent der Befragten angegeben, dass sie am eigenen Leib schon die Auswirkungen des Fachkräftemangels im Gesundheitswesen erfahren haben. Zwei Drittel meinen, in ihrer näheren Lebensumgebung herrsche ein Mangel an Pflegepersonal. 25 Prozent erklären, sie wüssten von einem Mangel an Ärzten in ihrer Gegend.
Auch hier gibt es einen Stadt-Land-Unterschied. In den Großstädten und Ballungsräumen sehen 23 Prozent einen Ärztemangel, in kleineren Städten liegt der Wert bei 40 Prozent, in den Dörfern bei 48 Prozent. Schmidt sagt dazu: „Die Gesundheitspolitik steht vor der großen Herausforderung, der personellen Erosion des Gesundheitswesens entgegenzuwirken. Wichtig ist heute mehr denn je die Entlastung von Ärzten und Pflegekräften von Bürokratie und Dokumentationspflichten. Mehr Tempo bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen muss sein, damit Ärzte und Pflegekräfte sich wieder stärker ihrer eigentlichen Aufgabe zuwenden können – der Betreuung von Patienten.“
Was die Situation in den Schulen anbelangt, geben die Ergebnisse keinen Anlass zur Beruhigung bei den Bildungspolitikern. Nur 35 Prozent der Eltern von Schülern, also etwas mehr als ein Drittel, bewerten die personelle Ausstattung ihrer Schulen als positiv. 59 Prozent hingegen erklären, die Ausstattung sei unzureichend, 14 Prozent berichten sogar über schwerwiegende Mängel beim Angebot an Lehrern für den Unterricht. 38 Prozent der Eltern teilen mit, an den Schulen ihrer Kinder falle häufig Unterricht aus, 26 Prozent sagen, dies sei an den Schulen ihrer Kinder „teilweise“ der Fall. Fortschritte sind allerdings auch bemerkbar. Der Anteil der Eltern, die mit der digitalen Ausstattung der Schulen ihrer Kinder zufrieden sind, wuchs in den vergangenen beiden Jahren von 27 auf 47 Prozent. Die Beurteilung der Gesamtbevölkerung (also einschließlich der Eltern ohne schulpflichtige Kinder) ist eher noch etwas strenger als die der Eltern.
Von der Gesamtbevölkerung meinen 36 Prozent, die Schulen seien alles in allem gut aufgestellt. 43 Prozent meinen, das sei nicht so – und neun Prozent sagen, das sei überhaupt nicht so. Was die Eltern schulpflichtiger Kinder angeht, sind 40 Prozent der Ansicht, die Schulen stünden gut da. 55 Prozent sagen, das sei nicht so oder es sei sogar überhaupt nicht so. Der Lehrermangel wirkt sich in der aktuellen Situation besonders gravierend aus, weil viele Schulen durch Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine und einen wachsenden Anteil an Kindern mit unzureichenden Sprachfähigkeiten ohnehin schon besonders gefordert sind: 42 Prozent der Eltern berichten, dass in den Schulen ihrer Kinder der Unterricht durch Schüler mit mangelnden Deutsch-Kenntnissen erschwert wird, weitere 17 Prozent machen diese Erfahrung abhängig von der jeweils besuchten Schule. Auch in der übrigen Bevölkerung, die keine schulpflichtigen Kinder hat, sind 84 Prozent davon überzeugt, dass dies viele oder wenigstens einige Schulen vor ein Problem stellt, nur 4 Prozent glauben, dies sei nicht der Fall.
Schmidt kommentiert das so: „Die Ergebnisse der Umfrage sind alarmierend. Sie geben einmal mehr Anlass zu der Frage, warum Sprachunterricht für alle Kinder mit Migrationshintergrund nicht bereits im Vorschulalter verpflichtend vorgeschrieben wird. Deutschland ist ein Einwanderungsland. Den Erwerb der deutschen Sprache in den normalen Unterricht zu verlagern, ist für alle Beteiligten eine Belastung, weil sie eindeutig zu Lasten der Wissensvermittlung geht.“
Dieser Artikel erschien am 11.07.2023 in der Ausgabe #127.
Karrieren, Krisen & Kontroversen
Meilensteine der niedersächsischen Landespolitik
Jetzt vorbestellen