
Den Fachkräftemangel sollen sie im besten Fall aufhalten und die Zukunft Deutschlands voranbringen: In die „Generation Z“ werden große Hoffnungen gesetzt, wie beim gestrigen Fachkräftekongress von Niedersachsen-Metall und dem niedersächsischen Wirtschaftsministerium bei der Ideen-Expo deutlich wurde. Deutschlands Unternehmen warten auf den heißersehnten Nachwuchs. Schon in drei Jahren gäbe es in Niedersachsen mehr Ausscheidende aus dem Berufsleben als Berufseinsteiger, so Wirtschaftsminister Bernd Althusmann. Die große Nachfrage an Fachkräften sei der Jugend dabei deutlich bewusst.
„Seit Jahrzehnten gab es keine Generation, die so sehr ihren persönlichen Neigungen nachgehen konnte wie die der heute 15- bis 25-Jährigen“, sagte Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer von Niedersachsen-Metall und Aufsichtsratsvorsitzender der Ideen-Expo. Das spiegelt sich auch in den Ergebnissen einer Befragung des Institutes für Demoskopie Allensbach wider, die im Auftrag von Niedersachsen-Metall diese sogenannte „Generation Z“ zur Attraktivität der MINT-Berufe befragt hat. 60 Prozent bewerten ihre beruflichen Zukunftsaussichten als gut, weitere 19 Prozent sogar als sehr gut. Die Folge sind hohe Ansprüche an den Beruf. Am wichtigsten ist den 15- bis 25-Jährigen, dass der Job Spaß macht, ihren Fähigkeiten entspricht, ihre Leistungen anerkannt werden und die Arbeitskollegen nett sind. Themen wie digitales Arbeiten spielten hingegen nur untergeordnet eine Rolle.

„Insbesondere MINT-Berufe werden als Zukunftsgestalter gesehen“, fasste Prof. Renate Köcher, Geschäftsführerin des Institutes für Demoskopie Allensbach, eine wesentliche Erkenntnis der Befragung zusammen. Auch das Image des Ingenieurberufes sei aus Sicht beider Geschlechter an sich positiv. So würden dem Beruf ein gutes Gehalt und hohe Zukunftschancen attestiert. Zeitgleich kämpfe der MINT-Bereich stark mit dem Fachkräftemangel. Dabei müsse regional differenziert werden, betonte Prof. Michael Hüther, Direktor des Institutes der deutschen Wirtschaft. So werde in die Energieproduktion vor allem in den neuen Bundesländern investiert, dort gäbe es viel freie Fläche und eine gute Anbindung an Berlin. „Berlin wird zum Vulkan, zum Impulsgeber. Dort sprüht es vor Innovationen“, sagte Hüther. Verlierer des Strukturwandels seien Baden-Württemberg und Bayern.
„Ohne die Zuwanderung wäre die Lücke an Fachkräften noch größer. Schon jetzt sehen wir einen dynamischen Anstieg von Ausländern in MINT-Berufen“, betonte Hüther. Ein Problem seien allerdings nach wie vor die Ausländerbehörden. „Wir haben gerade wieder zwei Studentinnen aus Stanford bei uns für drei Monate. Ich habe meiner Personalabteilung gesagt: Wir gehen nicht mehr zur Ausländerbehörde. Das führt zu gar nichts. Da soll mal einer klagen“, ärgerte sich Hüther. Es könne nicht sein, dass es bereits ein Problem darstelle, wenn der Mietvertrag auf Englisch verfasst ist. „Dass wir die Kommunen nicht gesteuert kriegen, Herr Althusmann, ist unser größtes Problem.“ Kommunale Selbstverwaltung im 21. Jahrhundert müsse moderner und aufgeschlossener sein als im 20. Jahrhundert. „Die können doch ihre Friedhofsordnung alleine bestimmen, aber der Rest muss einheitlich von oben geregelt werden.“ Auch Althusmann betonte, dass Einwanderer essentiell für Deutschland seien, um den Fachkräftemangel in den Griff zu bekommen. Qualifikationen von Ausländern müssten in Deutschland schneller anerkannt werden.
Der Anteil an männlichen und weiblichen Erwerbstätigen hat sich in Deutschland in den vergangenen 30 Jahren immer weiter angeglichen. Mittlerweile sind von den 15- bis 65-Jährigen 79 Prozent der Männer und 72 Prozent der Frauen erwerbstätig. Von der steigenden Erwerbstätigkeit der Frauen spüren die MINT-Berufe bisher allerdings wenig, heißt es dazu in der Allensbach-Befragung. „Frauen erobern sukzessiv alle Berufe, wo sie mit Menschen in Kontakt treten“, erklärte Köcher. Der Arztberuf sei längst weiblich, der Frauenanteil im Studium der Humanmedizin habe bereits 2020 bei 63,2 Prozent gelegen und auch die Schulen seien immer mehr in Frauenhand. Besonders gravierend ist es laut dem Statistischen Bundesamt an den Grundschulen, wo der Anteil an weiblichen Lehrkräften bei 89,3 Prozent liegen soll. Auch Jura werde immer mehr zur Frauendomäne.

In den MINT-Berufen bleibe der Frauenanteil hingegen seit Jahren auf einem niedrigen Niveau. So sei der Anteil an Studentinnen in der Fächergruppe Ingenieurwissenschaften in den vergangenen 22 Jahren nur um fünf Prozentpunkte auf insgesamt 25 Prozent gestiegen. Grund hierfür sei unter anderem ein Gendergap bei den Interessen, so Köcher. Während bei den beruflichen Interessen der jungen Männer Informatik, Maschinenbau und Handwerk auf den oberen drei Plätzen rangieren, sind es bei den Frauen mit weitem Abstand soziale Berufe. Insbesondere die Erwartungshaltung, mit der Frauen an die Berufswahl gehen, ist entscheidend für die Diskrepanz. „Frauen möchten helfen, etwas für die Gesellschaft bewirken. Sie denken anwendungsbezogener“, sagt Köcher. Männer auf der anderen Seite seien von der Technik im Allgemeinen fasziniert. „Die Mehrheit der Männer möchte wissen, wie etwas funktioniert. Wohingegen Frauen sagen: Hauptsache, es funktioniert.“

Verbessern ließe sich die Situation vor allem dann, wenn Frauen in technischen Berufen andere Frauen werben und ihnen die Sinnhaftigkeit der technischen Berufe besser vor Augen führen könnten. „Wir müssen konkreter werden, um zu begeistern“, so Köcher. Nach Meinung der Schülerin Martha Zimmermann ist da bei vielen Unternehmen noch deutlich Luft nach oben. „Viele Firmen könnten sich in der Schule noch besser präsentieren und den Spaß in diesem Beruf mehr in den Vordergrund stellen“, sagte Zimmermann in der an die Fakten anschließenden Talkrunde, moderiert vom Wirtschaftsjournalisten Ranga Yogeshwar.
Ein wichtiger Bestandteil im Kampf gegen den Fachkräftemangel ist das Thema Bildung, da sind sich alle Redner und Talkrunden-Gäste einig. „Der Lehrer ist die zentrale Figur, um für MINT-Berufe zu begeistern“, so Hüther. Eine weitere Chance böten Berufsmessen, insbesondere die Ideen-Expo. „Vor 15 Jahren haben wir die Jugendmesse ins Leben gerufen, um dem sich am Horizont abzeichnenden Fachkräftemangel vorzubeugen“, sagte Schmidt. Damals sei man mit den Kassandrarufen noch belächelt worden, heute hätten sich längst weitere Probleme zum Fachkräftemangel hinzugesellt. Zusätzlich sollten die Unternehmen präsent im Internet sein, denn ein Großteil der Jugend suche auf Google nach dem nächsten Job, so die Recruiting-Expertin Felicia Ullrich. Außerdem könnten die Unternehmen verstärkt Mitarbeiter für ihren Beruf werben lassen, so ein Vorschlag von Talkrunden-Gast Beatrix Henseler, Global Head of Human Resources bei Sartorius.
In der Talkrunde zeigte sich Wirtschaftsminister Bernd Althusmann skeptisch mit dem aktuellen deutschen Bildungswesen. „Ich habe damals als Präsident der Kultusministerkonferenz auch immer den Bildungsföderalismus hochgehalten“, sagte der ehemalige Kultusminister zu Anfang, um sich dann für ein Überdenken der staatlichen Strukturen auszusprechen. Der Großteil der Bevölkerung habe große Bedenken, „ob wir wirklich in 16 verschiedenen Bundesländern im mittleren Bildungsbereich 16 verschiedene Schulformen mit 16 unterschiedlich ausgerichteten Curricularen Grundlagen brauchen.“ Deshalb müsse man das Bildungssystem in Deutschland noch einmal überdenken. „Ich glaube wir wären stärker, wenn wir in Deutschland das Thema angehen, was dieses Land maßgeblich wirtschaftlich prägen wird, nämlich die Frage, welche Bildung wir zukünftig brauchen.“