Ärztekammer: Dringlichkeit und Erfolgsaussicht entscheiden
Wenker sieht daher grundsätzlich auch Diskussionen, wie sie zu Beginn der Corona-Pandemie geführt wurden, als sinnvoll an – nämlich die ethische Frage, welcher Patient im Fall eines Engpasses im Zweifel eher behandelt werden solle. „Kollegen aus Italien hatten uns dringend gebeten, diese Frage zu klären, bevor es ernst wird.“ Gott sein Dank, sagt Wenker, sei die Lage in Deutschland entspannt gewesen, das Gesundheitssystem habe sich als stabil und hoch leistungsfähig erwiesen. Trotzdem habe über Ostern die Bundesärztekammer die Frage geprüft, welche Patienten im Zweifel an ein Beatmungsgerät angeschlossen werden sollten, wenn nur noch ein einziges vorhanden ist, aber zwei Patienten darauf warten.Lesen Sie auch: Krankenhäuser fordern einen Kurswechsel Das Zitat der Woche
Wenker spitzte die Frage zu: Wenn ein 70-jähriger Patient, der schon seit drei Wochen am Gerät hängt und dessen Gesundungsaussichten gering sind, auf einen neu eingelieferten 30-jährigen Familienvater trifft, der das Gerät eigentlich benötigt. Solle man dann den älteren Patienten abkoppeln und den jüngeren anschließen? „Die Entscheidung wird in jedem Fall falsch sein, weil ein Mensch sterben wird.“ Während es Rechtsphilosophen gebe, die meinten, im Zweifel müsse immer der Vorrang bekommen, der zuerst ins Krankenhaus kam, sei der Vorstand der Bundesärztekammer der Ansicht, es müsse zwei Kriterien geben – die Dringlichkeit und die Erfolgsaussicht der Behandlung.
Wenker kritisiert mangelnde Vorsorge vor Pandemie
Die Ärztekammer zieht aus der Corona-Pandemie mehrere Schlussfolgerungen: Erstens hätten die Gesundheitsämter der Kreise und kreisfreien Städte „hervorragend gearbeitet und ungeheuer viel geleistet“. Dieses System verdiene noch eine weitere Stärkung, zumal viele Mitarbeiter derzeit allein mit Covid19 befasst seien und viele andere Fragen nicht behandeln könnten. Auch die hohe Zahl an verfügbaren Klinikbetten hält die Ärztekammer für richtig – „einen stumpfen Abbau lehnen wir ab“. Es sei nötig, für den Notfall einen hohen Bestand vorzuhalten. Das gelte etwa auch für einen möglichen Atomunfall, bei dem man wahrscheinlich viel mehr Betten für Brandopfer benötigen werde. Kritik übte Wenker an der mangelnden bundesweiten Vorsorge für die Pandemie, zumal schon im Januar 2013 ein Expertenbericht auf einen solchen möglichen Fall und die negativen Folgen hingewiesen habe. Schon damals habe man erwähnt, dass es Lieferengpässe für Schutzmaterial geben werde. „Ich hätte mir gewünscht, dass man wenigstens im Januar 2020 sich daran erinnert hätte – und nicht erst im März erkannt hätte, dass die Vorräte nicht reichen.“ Daher sei das Verhalten mancher Ärzte verständlich, die wegen des Mangels an Schutzausrüstung sich weigerten, Corona-Patienten zu behandeln. Wenker zitiert hier einen Berufskollegen, der auch ohne ausreichenden Schutz Covid19-Patienten behandelt habe, selbst erkrankt sei und wegen der Spätfolgen nun dauerhaft berufsunfähig sei. Elf Prozent der Covid19-Infizierten in Deutschland seien Mitarbeiter von Kliniken und Pflegeheimen – während der Anteil der Gesamtbevölkerung an den Infektionen bei 0,6 Prozent liege.