Ärztekammer setzt Schwerpunkte in der Medizinethik
(rb) Hannover. Für die Stärkung einer „fürsorglichen Medizin“ am Lebensende hat sich die Präsidentin der Ärztekammer Niedersachsen (äkn) und Vizepräsidentin der Bundesärztekammer, Dr. Martina Wenker, ausgesprochen. Im Vorfeld eines Symposiums der äkn in Hannover zu aktuellen Fragen der Medizinethik am 24. September bekräftigte die Lungenärztin am Montagabend ihre Überzeugung, dass die Medizin „Hilfe beim Sterben, aber nicht zum Sterben“ leisten sollte. Mit Blick auf die seit dem vergangenen Jahr im Bundestag und in den Medien intensiv geführte Debatte um entsprechende gesetzliche Regelungen betonte Wenker, dass der Wille des Patienten entscheidend sei und dieser in jedem Behandlungsstadium neu ermittelt werden müsse. Die Zwänge der Pauschalabrechnung ließen gerade in den Kliniken wenig oder keinen Raum für einen behutsamen Umgang mit Todkranken, für ein Abweichen von entsprechenden Routinen, für ein Weglassen. Der Abbruch einer Behandlung oder der Verzicht auf weitere Eingriffe seien aber das Recht eines jeden Patienten bzw. der bevollmächtigten Angehörigen, betonte Wenker. Sie fordert flächendeckend Möglichkeiten der ethischen Beratung und des Austausches sowohl für schwerstkranke und sterbende Patienten sowie deren Angehörige als auch für die Mediziner/innen in Kliniken und Praxen. Nach wie vor herrsche große Unsicherheit auch innerhalb der Ärzteschaft über das rechte Maß des Unterlassens bzw. des Zulassens. In Zweifelsfällen sei eine Ethikberatung immer sinnvoll. Dies setze aber voraus, dass es überall entsprechende Strukturen gebe, meint Wenker. Vor einer Zwei-Klassenmedizin am Lebensanfang, also in der vorgeburtlichen Diagnostik und der künstlichen Fortpflanzung, warnt äkn-Vizepräsident Dr. Gisbert Voigt. Der Kinder- und Jugendarzt ist u.a. stellvertretender Vorsitzender der Ethikkommission für Präimplantationsdiagnostik (PID) der norddeutschen Länder, die nach dem einschlägigen PID-Bundesgerichtshofurteil von 2010 im vergangenen Jahr als erste dieser Art an die Arbeit ging. Die Frauen bzw. Paare, die nach der neuen Rechtslage bei hohem Risiko auf eine schwerwiegende Erkrankung ihrer Nachkommen den Embryo vor dem Transfer in die Gebärmutter untersuchen lassen dürfen, seien ausschließlich gut gebildet und wohlhabend. Bei Bestand der aktuellen Regelungen – allein für den Antrag bei der Kommission sind bis zu 3000 Euro fällig, für die PID selbst bis zu 10 000 Euro – bleibe dies den meisten Frauen verwehrt, kritisiert Voigt. Gleiches gelte für das vom Arbeitgeber finanzierte Einfrieren von Eizellen im besten Alter, um Spitzenkräfte zu animieren, möglichst spät schwanger zu werden.Dieser Artikel erschien in Ausgabe #168.