
Mit der Ankündigung eines 9-Euro-Tickets für den öffentlichen Nahverkehr hat die Bundesregierung alle überrascht und viele begeistert. Doch inzwischen hat sich auch Ernüchterung breit gemacht. Als „nicht zielsicher genug“ bemängelte der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) das Entlastungspaket. Der Effekt des befristeten Tickets werde „verpuffen“, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg. Der Fahrgastverband Pro Bahn wiederum warnte vor „chaotischen und abschreckenden Zuständen“ im Schienenverkehr, wenn nicht auf den bislang schon sehr ausgelasteten Strecken zusätzliche Regionalzüge eingesetzt werden.
Und auch aus Niedersachsen gibt es Kritik. „Wir begrüßen jeden Euro, der in den ÖPNV gesteckt wird. Aber das Geld wäre anders besser angelegt“, erklärt Michael Kaiser vom Gesamtverband Verkehrsgewerbe Niedersachsen (GVN) zum 9-Euro-Ticket im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick. „Der bürokratische Aufwand, der jetzt entsteht, ist viel zu groß“, ärgert sich Kaiser und bedauert, dass sich Verkehrsminister Bernd Althusmann (CDU) mit der Idee eines 0-Euro-Tickets im Bund nicht durchsetzen konnte.
Die Details zum 9-Euro-Ticket werden derzeit in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe geklärt, die wöchentlich tagt. Auch Niedersachsen nimmt an diesen Sitzungen teil. Laut dem niedersächsischen Verkehrsministerium gibt es aber weiterhin noch offene Fragen. „Der Bund muss jetzt kurzfristig die rechtlichen Voraussetzungen schaffen, damit die Länder das 9-Euro-Ticket pünktlich zum 1. Juni 2022 einführen können“, sagt Ministeriumssprecher Christoph Ricking.
Die Paketlösung, auf die sich Bund und Länder derzeit verständigt haben, hat demnach ein Volumen von 5,6 Milliarden Euro und setzt sich wie folgt zusammen: 1,6 Milliarden Euro für den ÖPNV-Rettungsschirm, weitere 2,5 Milliarden Euro als Finanzausgleich für das 9-Euro-Ticket – und 1,5 Milliarden als Mehrkostenausgleich für Tarif- und (kriegsbedingte) Kostensteigerung. Letzteres ist noch umstritten, wird von den Ländern aber vehement eingefordert. Rickling: „Die Länder sind dem Bund insoweit entgegengekommen, dass sie sich auf einheitliche Rahmenbedingungen verständigt haben. Jetzt muss der Bund seine Finanzierungszusage einhalten und die Regionalisierungsmittel um die von den Ländern zugelieferten Finanzierungsbausteine erhöhen.“
Die wesentlichen Forderungen der Omnibusunternehmen scheinen von Bund und Ländern erfüllt zu werden. „Um Liquiditätsengpässe zu vermeiden, muss ein Großteil des Geldes bereits vor dem 1. Juni an die Verkehrsunternehmen ausgezahlt werden, betonte der Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmer (BDO) kürzlich. Im vorläufigen Bund-Länder-Konsens, der dem Rundblick vorliegt, heißt es dazu: „Die Auszahlung der finanziellen Mittel an die Länder erfolgt fünf Tage nach Inkrafttreten des Gesetzes.“ Das Kabinett soll das Gesetz am 27. April beschließen, die Anhörung im Bundesrat ist für den 20. Mai vorgesehen.
Der Hamburger Verkehrsverbund (HVV), der auch umliegende Gebiete in Niedersachsen umfasst, rechnet schon jetzt im Angebotszeitraum mit Einnahmeausfällen von 131 Millionen Euro. Die anderen niedersächsischen Verkehrsverbünde halten sich mit Prognosen und Spekulationen noch zurück. Nach den üblichen Verteilungsschlüsseln müsste Niedersachsen etwa 10 Prozent der in Aussicht gestellten 2,5 Milliarden Euro zur Förderung des 9-Euro-Tickets erhalten. „Um zu sagen, ob das reichen wird, wissen wir noch zu wenig“, sagt Kaiser.
Das hänge letztlich auch mit der Frage zusammen, ob das 9-Euro-Ticket auch für den Schülerverkehr gilt oder nicht. „Schultickets, die durch Schulträger finanziert werden, werden vom 9-Euro-Ticket nicht ausgeschlossen“, heißt es dazu in der aktuellen Bund-Länder-Beschlussfassung. Zwei Varianten sind dabei noch im Gespräch: Entweder kaufen die Kommunen oder die Eltern die Schülertickets, wobei letztere die Kosten zurückerstattet bekommen. Bei Jobtickets wird noch um die Frage gestritten, ob es sich um steuerfreie oder steuerpflichtige Zuschüsse handelt. Semestertickets sollen ebenfalls berücksichtigt werden. Eine bundeseinheitliche Regelung halten Bund und Länder aber für unmöglich, weshalb es regional unterschiedliche Lösungen geben soll.
„Wir brauchen einen vollständigen Ausgleich der Einnahmeverluste“, sagt GVN-Geschäftsführer Kaiser und schlägt 2019 als Referenzjahr vor. Laut dem bisherigen Ergebnis der Bund-Länder-Arbeitsgruppe sollen allerdings die restlichen Monate des Jahres 2022 als Grundlage genommen werden. „Die Differenz zu den herkömmlichen Einnahmen bilden den Finanzbedarf für das 9-Euro-Ticket“, heißt es. Beim Ausgleich der Corona-Schäden sollen die Monate Januar bis Mai sowie September bis Dezember betrachtet werden. Der Ansatz, lediglich die Monate Mai und September zu berücksichtigen, sei verworfen worden.
Beim Vertrieb des 9-Euro-Tickets haben sich Bund und Länder in den wesentlichen Punkten bereits auf eine gemeinsame Linie verständigt. Laut Verkehrsministerium sollen die 9-Euro-Tickets immer nur einen Monat gelten, bundesweit gültig sein und sowohl für Neu- als auch für Bestandskunden gelten. Bei Abos soll die Differenz verrechnet werden. Dem Ergebnisbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe ist zudem zu entnehmen, dass keine Aufstockung zum 1.-Klasse-Ticket erlaubt und die Fahrradmitnahme nur für Bestandskunden kostenfrei möglich sein soll. Der Vorverkauf soll bereits Ende Mai beginnen. Das 9-Euro-Ticket soll ferner nicht nur auf den digitalen und analogen Vertriebskanälen der Verkehrsverbünde, sondern auch über eine bundesweite Plattform erhältlich sein. Die Smartphone-App „DB-Navigator“ ist ebenfalls als Vertriebskanal im Gespräch, aber nicht unumstritten.
Der von der Transport- und Logistikbranche geforderte „Gewerbediesel“ ist von Finanzminister Christian Lindner (FDP) zwar blockiert worden. Doch das Omnibusgewerbe hat die Hoffnung auf einen verbilligten Kraftstoff für Lastwagen und Busse noch nicht aufgegeben. Bei der Messe „Bus2Bus“ am 27. und 28. April in Berlin wollen die Transportunternehmer die Hauptstadtpolitik „vom Abgeordneten über den Tourismus-Ausschuss bis hin zu den Staatssekretären und dem Minister“ von ihrem Anliegen überzeugen. „Jeder von uns weiß, dass nicht nur allein die Dieselkosten die Existenz unserer Busunternehmen massiv gefährden. Wir brauchen den Dialog mit der Politik, und zwar jetzt“, ermahnt GVN-Geschäftsführer Kaiser die rund 300 mittelständischen und privaten Busunternehmer aus Niedersachsen in einem Rundschreiben und betont: „Nur krankheitsbedingte Absagen werden akzeptiert!“ Die Entlastung in Höhe von 14 Cent bei der Energiesteuer bezeichnete er als „einen Tropfen auf den heißen Stein“.
Um deutlich zu machen, wie ernst die Lage der deutschen Busunternehmer ist, hat der Bundesverband BDO seine diesjährige Konjunkturumfrage um eine Blitzumfrage im März ergänzt. „Der Ukraine-Krieg hat die vorsichtige Erholung größtenteils wieder zunichte gemacht. Die Unternehmen blicken sehr ängstlich in die Zukunft“, fasst Michael Kaiser das Ergebnis zusammen. Laut Umfrage bewerten 78 Prozent der ÖPNV-Unternehmen ihre Geschäftslage im März 2022 noch schlechter als im Corona-Jahr 2021.

Nur 11 Prozent der Betriebe glauben, dass sie noch an den Jahresumsatz aus der Vorkrisenzeit herankommen können. Der Rest rechnet mit teilweise deutlichen Umsatzeinbrüchen von 20 bis 80 Prozent. Nur 4 Prozent der ÖPNV-Unternehmen geben an, dass die Dieselpreisexplosion keine Auswirkung für sie hat. 39 Prozent berichteten, dass der Kostenanstieg ihre Gewinnmarge auffrisst. Rund die Hälfte der privaten ÖPNV-Anbieter (51 Prozent) sagen, dass sie „erhebliche Verluste“ machen und sogar in ihrer Existenz bedroht sein könnten.
