9. März 2022 · 
Justiz

80 Amtsgerichte sind zu viele: Landesrechnungshof fordert Reformen

Die Debatte flammt alle paar Jahre wieder auf – aber geschehen ist bisher wenig. Die allgemeine Gerichtsbarkeit gliedert sich in Niedersachsen in 80 Amtsgerichte, elf Landgerichte und drei Oberlandesgerichte. Das sind allesamt anerkannte, häufig traditionsreiche Einrichtungen, die von den Kommunalpolitikern ihrer Heimatgemeinden mit Vehemenz verteidigt werden. In einem kleinen Städtchen, auch wenn es an Ruf und Stärke eingebüßt hat, glauben viele Politiker immer noch an eine Bedeutungssteigerung, sobald dort ein Amtsgericht steht. Dabei führen der Bevölkerungsverlust (besonders im Süden des Landes) und der technische Fortschritt geradezu zwangsläufig in Richtung von Fusionen. Die Zahl der Sparkassen schrumpft beständig, kleine Krankenhäuser gelten vielerorts nicht nur als unwirtschaftlich, sondern auch wegen Mängeln in der Technik und der Expertise als Auslaufmodell. Der Einzelhandel zieht sich vielerorts zurück, Gemeindeverwaltungen werden verkleinert oder zusammengelegt. Nur die Amtsgerichte gelten als unantastbar.

Höhere Streitwert-Obergrenze soll Gerichte erhalten

Die Koalition aus SPD und CDU hat jüngst den Plan entwickelt, die Streitwert-Obergrenze bei Amtsgerichten, die bisher bei 5000 Euro liegt, etwas anzuheben. Da die Obergrenze bestimmt, dass die sie übersteigenden Verfahren automatisch direkt beim Landgericht landen, dient dieser Schritt auch zu mehr Arbeit bei den Amtsgerichten – und damit zu deren Bestandssicherung. Die SPD-Fraktionsvorsitzende Johanne Modder wandte sich auch direkt gegen Überlegungen, die Zahl der Amtsgerichte zu verringern. Ähnlich hatte sich Justizministerin Barbara Havliza (CDU) wiederholt geäußert. Sie tat das sehr deutlich vor vier Jahren im Landtag, als sie von der FDP-Fraktion gefragt wurde. Damals erklärte sie, man wolle „die historisch gewachsene Gerichtsstruktur“ erhalten, da sie sich bewährt habe.

Seinerzeit stand schon die Idee des hannoverschen Landgerichtspräsidenten Ralph Guise-Rübe im Raum, geäußert im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick, dass man eine Halbierung der Zahl der Amtsgerichte gut vertreten könne – vor allem mit Blick darauf, dass mit der Digitalisierung viele Abläufe weniger personalintensiv zu leisten wären und der Stellenbedarf der Justiz sich verringern könne. Das wäre ja auch erstrebenswert wegen des Fachkräftemangels.


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Landgericht-Präsident fordert: Zahl der Amtsgerichte in Niedersachsen halbieren


Bisher verhallten solche Rufe in der Politik ohne Reaktionen. Jetzt aber hat der Landesrechnungshof (LRH) eine Prüfmitteilung zu dem Thema vorgelegt, die es in sich hat. Auf 40 Din-A-4-Seiten nimmt die Prüfbehörde in Hildesheim die gegenwärtige Justiz-Struktur in Niedersachsen unter die Lupe, listet Mängel auf und gibt Empfehlungen. Die Kernaussage in dem Papier lautet: „In der Vergangenheit haben wir dem Justizministerium aus Gründen der Sicherheit, der Qualität und der Wirtschaftlichkeit mehrfach empfohlen, die Anzahl der kleinen Amtsgerichte zu reduzieren. Forderungen nach einer Reform der Amtsgerichtsstruktur kommen seit Jahren auch aus der Justiz.“ Die Digitalisierung mache das Thema dringlicher, aber auch einfacher umsetzbar.

Daher „bekräftigt“ der LRH seinen Vorschlag. Vor Jahren hatte die Empfehlung gelautet, die Mindestzahl der Amtsgerichte bei sechs vollen Richterstellen festzulegen – das gilt als ausreichende Größe für die nötigen Spezialisierungen und guten Vertretungsmöglichkeiten im Krankheits- oder Urlaubsfall. In Schleswig-Holstein liege die Untergrenze gar bei acht, in Mecklenburg-Vorpommern bei zehn Richterstellen. Wenn die Grundregel gilt, würden 29 der 80 niedersächsischen Amtsgerichte von der Schließung bedroht sein, da sie weniger als sechs volle Richterstellen haben. Dem LRH gilt das als vertretbar, da ein Erwachsener im Durchschnitt ein oder zweimal in seinem Leben tatsächlich Kontakt zu einem Amtsgericht hat, häufiger nicht (es sei denn, er ist streitlustig). Zu den mindestens sechs Richterstellen müsse dann noch eine angemessene Zahl von Rechtspflegern, Wachpersonal und Servicekräften hinzukommen.

Bericht der Rechnungsprüfer mit steilen Thesen

Was diesen Ratschlag, der von den Rechnungsprüfern schon vor Jahren entwickelt wurde, nun noch einmal unterstreicht, sind die aktuellen Erkenntnisse aus dem Prüfbericht zum „Personaleinsatz für allgemein verwaltende Aufgaben in der Justiz“. Dieser enthält einige steile Thesen:

IT-Betrieb zu dezentral: Die Technik für die Gerichte wird zwar von einer Einheit verwaltet, die „Zentraler IT-Betrieb“ heißt, tatsächlich aber ist es auf mehrere Bereiche verteilt – zum OLG Celle, zum OLG Oldenburg, zum OVG, zur Generalstaatsanwaltschaft Celle und zur Justizvollzugsanstalt Celle. Eine wirkliche Personalbedarfsplanung gebe es für diese Einheiten nicht, eine Aufgabenkritik habe es in den vergangenen fünf Jahren auch nicht gegeben. Eine zentrale eigene Behörde sei sinnvoll, meinen die Rechnungsprüfer.

Zu viele Richter müssen verwalten: In den Gerichten ist es an der Praxis, dass Richter zugleich auch Verwaltungsaufgaben übernehmen – obwohl sie dann in zwei verschiedenen Staatsgewalten tätig werden. Das hält der LRH für problematisch.

Teure Verwaltungsleiter sprechen Recht: Der LRH bemängelt die Entwicklung, dass Führungskräfte in den Gerichten zu ihren administrativen Aufgaben noch selbst Recht sprechen – dann sind sie meist aber sehr teure Richter, da sie für ihre Leitungsfunktion besoldet werden. In den Amtsgerichten Clausthal-Zellerfeld und im Arbeitsgericht Wilhelmshaven liege der Anteil der Verwaltungsarbeit bei den Leitern bei rund 0,1 Vollzeitstellen-Anteilen. Mit anderen Worten: Sie sind als Verwaltungskräfte unterfordert, was dafür spräche, mehrere kleine Gerichte von einer gemeinsamen Verwaltungsleitung organisatorisch betreuen zu lassen. „Eine gezielte Bündelung der Leitungsaufgaben von kleinen Gerichten könnte die Qualität, Effektivität und Effizienz der Aufgabenwahrnehmung steigern“, schreibt der Rechnungshof. So ließen sich auch Planstellen von Behördenleitungen verringern, die verbleibenden Leitungsstellen würden attraktiver.

Falsche Ausschreibung: Viele Gerichte und Staatsanwaltschaften würden freie Stellen in der Verwaltung nicht im Karriereportal der Job-Börse des Landes ausschreiben, wie es eigentlich angemessen wäre. Vielmehr würden sie gezielt Rechtspfleger umwerben, die eigentlich für andere, nämlich fachliche Aufgaben spezialisiert seien.

Hohe Abbrecherquote: Die Ausbildung für Justizfachwirte dauert länger als in anderen Bundesländern. Was die Ausbildung zu Rechtspflegern angeht, ist die Quote derer, die die Prüfung nicht bestehen, vergleichsweise hoch.

Dieser Artikel erschien in Ausgabe #045.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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