Die Umweltwissenschaftlerin Julia Verlinden (38) führt die niedersächsischen Grünen in den Bundestagswahlkampf. Im Interview mit dem Politikjournal Rundblick erklärt sie, wer ihrer Meinung nach an der Diesel-Krise politisch Verantwortung trägt und was die Vertrauenskrise der Auto-Industrie für die Besetzung des VW-Aufsichtsrates bedeutet. Mit Julia Verlinden sprach Martin Brüning.

Julia Verlinden (2.v.l.) nach ihrer Wahl zur Spitzenkdandidatin – Foto: MB.

Rundblick: Wenn Jürgen Trittin ans Rednerpult tritt, wird es oft scharf und laut. Bei Ihnen ist der Ton etwas gemäßigter. Wie ist es so, im Spitzenduo mit Trittin Wahlkampf zu machen?

Verlinden: Wir sind von unserer Art her unterschiedliche Typen und machen auch unterschiedlich lange Politik. Das finde ich grundsätzlich erst einmal gut. Deshalb nehme ich Jürgen Trittin für mein eigenes Auftreten nicht als Blaupause, weil das auch aufgesetzt wirken würde. Ich mache das so wie ich bin und fühle mich auch nicht wie in einem Konkurrenzkampf. Es macht großen Spaß, mit ihm zusammenzuarbeiten.

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Rundblick: „Fortgesetzte Körperverletzung in unzähligen Städten Deutschlands“ – so hat Trittin die Diesel-Krise bezeichnet. Ist das Thema auch eine Chance für die Grünen, im Wahlkampf als Umweltpartei wieder stärker wahrgenommen zu werden?

Verlinden: Ich hoffe, dass vor allem diejenigen von der Debatte profitieren, die am meisten unter der Situation leiden. Das sind viele Menschen, die insbesondere an vielbefahrenen Straßen von Lärm und Abgasen betroffen sind. Außerdem braucht es Klarheit für viele Verbraucher, die die Diskussionen um Fahrverbote, Abgaswerte und schlechte Luftwerte verunsichern. Wir können die Debatte jetzt dafür nutzen, um noch mehr über die Alternativen in der Verkehrspolitik zu sprechen. Gut ist, dass der Druck jetzt größer wird. Es müssen politische Entscheidungen getroffen werden, damit etwas passiert.

Was Bundesregierung und manche Bundesbehörde sich in der Dieselkrise geleistet haben, geht auf keine Kuhhaut

Rundblick: Würden Sie der Politik attestieren, dass diese in den vergangenen Jahren eine zu große Nähe zur Autoindustrie hatte?

Verlinden: Die Bundesregierung hatte das mit Sicherheit, dort sehe ich auch eine Verantwortung für die Fehler der Vergangenheit. Was Bundesregierung und manche Bundesbehörde sich geleistet haben, geht auf keine Kuhhaut. Da muss aufgeräumt und aufgeklärt werden und es sind klar Ross und Reiter zu benennen. Die Bundeskanzlerin hat sich gar nicht gekümmert, der Bundesverkehrsminister hat es auch ausgesessen. Das Durchwinken von Zulassungen im Kraftfahrtbundesamt darf so nicht weitergehen. Und die blaue Plakette muss kommen, damit die Städte handeln können – es geht schließlich um die Gesundheit der Menschen.

Rundblick: Was bedeutet die Debatte für die Besetzung des VW-Aufsichtsrates durch das Land Niedersachsen?

Verlinden: Ein Aufsichtsratsmitglied muss seine Rolle ernst nehmen, ein Unternehmen zu kontrollieren und den langfristigen Bestand im Auge zu behalten. Verfehlungen müssen deshalb sofort abgestellt werden. Wer als Aufsichtsratsmitglied ein Unternehmen begleiten und kritische Fragen stellen muss, braucht den nötigen Sachverstand für die speziellen Themen und auch genügend Zeit dafür. Vielleicht könnte deshalb besser ein Umwelt- oder Verkehrsexperte zu den Aufsichtsratssitzungen fahren als hochrangige Politiker.

Rundblick: Elektromobilität ist ein zentrales Thema der Grünen – was bleibt in den kommenden Jahren zu tun, um die Entwicklung zu beschleunigen?

Verlinden: Auch hier ist die Bundesregierung gefragt. Sie hat viel zu lange gepennt. Es wird zum Beispiel ganz unterschiedliche Kategorien bei Ladestationen geben. Wer Platz zuhause hat, wird sein Fahrzeug dort aufladen können. Andere werden ihre Autos auf Mitarbeiter-Parkplätzen aufladen. In den Städten bauen teilweise Carsharing-Unternehmen eine Lade-Infrastruktur auf. Das muss im Idealfall bundesweit koordiniert werden, um einheitliche Standards einzuhalten . Derzeit muss man sich bei einigen Ladestationen vorher anmelden, bei anderen kann man nicht mit seiner Karte bezahlen. Es ergibt keinen Sinn, dieses Kuddelmuddel nur auf Landesebene zu koordinieren. Da braucht es einen größeren, bundesweiten Plan.

Rundblick: Was spielt für die Grünen inhaltlich neben der Zukunft der Mobilität eine Rolle im Wahlkampf?

Verlinden: Bei der Energiewende sind sehr viele  Menschen sehr empört, dass Ausbau- und Obergrenzen für erneuerbare Energien beschlossen wurden. Da sind viele vor den Kopf gestoßen worden, die sich seit Jahren für Bürgerenergieprojekte einsetzen. Darüber hinaus geht es nicht nur darum, weitere erneuerbare Energieanlagen zu errichten, sondern auch  fossile Energieanlagen abzuschalten. Nur die Grünen stehen für einen konsequenten Kohleausstieg. Die Energiewende funktioniert nur, wenn man erkennt, dass manche alte Strukturen nicht zukunftsfähig sind. Aber auch die Integration von Geflüchteten, unser Einsatz für eine grüne Landwirtschaft und für echte Gleichberechtigung von Frauen und Männern werden Themen im Wahlkampf sein.

Rundblick: Schon am Abend des 24. September wird es darum gehen, ob ein Teil der Ziele mit einem Koalitionspartner umgesetzt werden kann. Ist von Schwarz-Grün über Ampel bis Jamaica alles möglich?

Verlinden: Schon jetzt ist klar, dass das nicht einfach wird. Das gilt für CSU-Verkehrsminister Dobrindt. Aber ebenso für manche Genossen, wenn es um den Kohleausstieg geht. Das heißt aber nicht, dass wir es nicht versuchen wollen. Wenn wir als hoffentlich drittstärkste Kraft vom Wähler den Auftrag haben, unsere Themen durchzusetzen, dann muss man auch mit allen außer der AfD reden.