Es ist schon einige hundert Jahre her, doch es gab Zeiten, da fürchteten die Menschen die Nordsee. Heute bedeutet das Meer vor Niedersachsens Küsten vor allem Erholung, Nahrung und Sauerstoff. Ja richtig, nicht nur der Wald, sondern auch das Meer produziert die überlebenswichtige chemische Verbindung. Wie wichtig es daher ist, die Nordsee und die anderen Meere auf dem Planeten zu schützen, haben am Wochenende zwei Meeresforscher von der Universität Oldenburg eindrücklich geschildert. Sie waren Teil des Programms am niedersächsischen Forschungstag „flux“. Das Ministerium für Wissenschaft und Kultur hatte den Tag als Premiere organisiert und die Verantwortlichen wirkten hinterher zufrieden. Es dürfte eine Wiederholung geben. Mehrere tausend Besucher, darunter zahlreiche Kinder, schlenderten durch das Schloss Herrenhausen und lernten die Stärken der niedersächsischen Forschung kennen. In die Geheimnisse der Meeresbiologie können sich Interessierte allerdings noch in diesem Monat weiter vertiefen: Ende Mai gründen die Universität Oldenburg und das Alfred Wegener-Institut das erste Helmholtz-Institut Niedersachsens.

Eine interaktive Grafik, die Professor Helmut Hillebrand für seinen Vortrag an die Wand projizieren lässt, fasziniert die Zuhörer im Saal besonders. Sie zeigt die Erde im Wandel der Jahreszeiten und die Vorkommen von Sauerstoff produzierenden Plankton-Organismen im Meer. Etwa auf der Höhe von Südfrankreich ist der ganze nördliche Atlantik grün gefärbt. „Beinahe die Hälfte des Sauerstoffs in unserer Luft kommt aus dem Meer“, erklärt Hillebrand. „Also jeder zweite Atemzug.“ Hillebrand unterrichtet und forscht in Oldenburg am „Institut für Biologie und Chemie des Meeres“ und leitet eine Arbeitsgruppe zur Erforschung von Plankton. Ihnen geht es darum herauszufinden, welche Auswirkungen der globale Wandel auf das Ökosystem Meer hat. „Das Meer erscheint uns meistens endlos und unveränderlich“, sagt Hillebrandt. „Aber das stimmt nicht.“ Schon jetzt mache sich der Wandel auch im und am Meer bemerkbar. Wo früher an Südamerikas Küsten malerische Fischerdörfer standen, gibt es jetzt hoch technisierte Shrimp-Farmen, die Städte breiten sich aus und oft wird die Küste als Kloake und Mülldeponie missbraucht. „Die Ökosysteme verändern sich.“

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Auch in Niedersachsen ist die Küste vor knapp 300 Jahren urbar gemacht worden. „Die Ingenieurswissenschaft seit der Industriellen Revolution hat das Meer und die Küsten immer sicherer gemacht, gleichzeitig wurden sie zum Sehnsuchtsort für Touristen“, sagt Hillebrand. Eine Folge: Die Artenvielfalt und die Zahl der Meerestiere und Pflanzen nahm drastisch ab. „Wir erforschen, welche langfristigen Auswirkungen das hat“, sagt Hillebrandt. Dafür haben sie unter anderem ein Projekt auf Spiekeroog gestartet. An der Westseite der Insel steht auf einem Pfahl ein gelber Container. Es ist eine Messstation, die auswertet, was durch im Meer unter ihr versenkte und mit Sensoren ausgestattete Röhren geströmt wird. Registriert wird unter anderem die Strömung des Wassers, die Tiere und Pflanzen, die darin treiben, sowie die Zusammensetzung des Sandes. Im Watt auf der Südseite haben die Forscher zwölf Metallboxen aufgestellt. Sie sollen als künstliche Inseln besiedelt werden. Einige sind nur mit Sand gefüllt, andere auch mit Salzwiesen bepflanzt. „Wir haben festgestellt, dass sich sowohl Land- wie auch Meerestiere darauf niedergelassen haben“, sagt Hillebrand. Zudem seien sie gut an die Stresseffekte durch die regelmäßige Überflutung durch das Meer angepasst.

Fest steht für die Forscher bereits, dass die Prozesse im Ökosystem Meer effizienter funktionieren, je größer die Artenvielfalt ist. Doch der Klimawandel und die industriellen Veränderungen auf der Welt reduzieren die Arten immer weiter. Zudem beeinflussen sie auch die Mikroorganismen. Professor Meinhard Simon erforscht am gleichen Institut Bakterien im Meer. „Sie sind die Voraussetzung, dass Leben überhaupt entstehen kann“, sagt er. Die Bakterien filtern und säubern das Wasser, indem sie tote Organismen zersetzen und damit wieder in den ökologischen Kreislauf zurückführen. „Bakterien haben je nach Art unterschiedliche Anforderungen“, sagt Simon. Manche werden etwa erst ab einer bestimmten Temperatur aktiv. Erwärmt sich nun das globale Klima und damit auch das Meer, kann das teils gravierende Folgen haben. „Das Bakterium, das die Krankheit Cholera auslöst, wird bei etwa 20 Grad aktiv“, sagt Simon. Es lebt auf bestimmten Krebsarten im Meer. Normalerweise ist es in deren Lebensraum kälter als 20 Grad. „Doch wenn sich das Meer dauerhaft erwärmt, kann das kritische Folgen haben.“

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Welche Folgen der Klimawandel hat und wie mit ihnen umzugehen ist, soll künftig das Helmholtz-Insitut für funktionale Marinediversitätsforschung erklären. Dort arbeiten aber nicht nur Biologen und Chemiker zusammen, auch eine Informatikprofessur zum Bündeln der Daten und ein Theorieprofessor gehören zum Team. „Wir wollen die wissenschaftliche Grundlage für marinen Naturschutz legen“, sagt Hillebrand. Konkret heißt das, die Forscher wollen der Gesellschaft und der Politik eine Entscheidungsgrundlage geben. Denn die Politik muss sich entscheiden, welchen Interessen sie den Vorzug gibt. Denen der Fischer etwa, der Touristen, der Schifffahrt oder der Umweltaktivisten? „Um das Meer wird es immer Interessenskonflikte geben“, sagt Hillebrand. Nun gehe es darum, in den Entscheidungsprozessen zwischen Nutzen und Schutz eine fundierte Wissensgrundlage einzubringen. (isc)