Der neue Plan der SPD/CDU-Koalition im Landtag, in Fällen einer Epidemie künftig Ärzte und Pfleger notfalls auch zwangsweise zum Dienst in Krankenhäusern zu verpflichten, stößt auf erhebliche Vorbehalte. Die Präsidentin der Ärztekammer Niedersachsen, Martina Wenker, drückte im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick ihre „große Sorge“ aus: „Ich befürchte, dass die große Hilfsbereitschaft der Mediziner, die wir bisher in Niedersachsen erlebt haben, dann nachlassen wird, wenn sie vor einer zweiten Welle mit einer Zwangsrekrutierung rechnen müssen.“
Wenker rät der SPD/CDU-Koalition daher, von dieser Verpflichtung wieder abzurücken: „Nordrhein-Westfalen hatte ähnliches vorgehabt und davon wieder gelassen, nachdem massive Proteste laut geworden waren. Ich wünsche mir eine solche Entwicklung auch hierzulande.“
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"Ich befürchte, dass die große Hilfsbereitschaft der Mediziner nachlassen wird, wenn sie vor einer zweiten Welle mit einer Zwangsrekrutierung rechnen müssen", meint Ärztekammer-Chefin Martina Wenker - Foto: Ärztekammer[/caption]
Wie der Rundblick in seiner Montagausgabe berichtet hat, ist die Zwangsverpflichtung Bestandteil des „Corona-Gesetzes“, das im Innenministerium aus den Wünschen und Anmeldungen der verschiedenen Ressorts zusammengestellt worden war. Die beiden Regierungsfraktionen bringen den Entwurf jetzt in den Landtag ein, weil auf diesem Weg die nötigen Anhörungsfristen verkürzt werden können. Im Juni könnte über das Gesetz beraten und auch schon abschließend entschieden werden. Mehrere Gesetze sollen über dieses Corona-Gesetz verändert werden, das betrifft die Kommunalverfassung ebenso wie die Bauordnung und das Katastrophenschutzgesetz.
"Engagement nicht im Keim ersticken"
Der umstrittene Passus befindet sich im Vorschlag, das „Niedersächsische Gesetz zum öffentlichen Gesundheitsdienst“ um einen weiteren Paragraphen zu erweitern. Darin soll festgeschrieben werden, dass der Landtag eine „epidemische Lage von landesweiter Tragweite“ für zunächst zwei Monate feststellen kann, eine Verlängerung um weitere zwei Monate ist denkbar.
Das Sozialministerium soll in dieser Situation das Recht haben, der Kassenärztlichen Vereinigung (KVN), den Ärzten und Pflegern Auflagen zu erteilen und Tätigkeiten vorzuschreiben. Damit würden die Grundrechte der Berufsfreiheit, der Freiheit der Person und der Eigentumsfreiheit eingeschränkt – aber so solle die ausreichende personelle Ausstattung der Kliniken gewährleistet werden.
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Wenker meint nun im Gespräch mit dem Rundblick, sie habe in der ersten Phase der Pandemie in Niedersachsen ganz außergewöhnliche Erfahrungen sammeln können. Mitte Februar habe die Kammer die 42.500 niedersächsischen Ärzte angeschrieben und in den Antworten eine enorme Hilfsbereitschaft festgestellt.
Pensionierte Mediziner hätten sich gemeldet und umgehende Unterstützung zugesagt, auch ein 82-jähriger Arzt, „der sofortige Hilfe versprochen“ habe. Medizinstudenten hätten eine Online-Plattform gegründet und dort Kontakte angebahnt, Ärzte in den Gesundheitsämtern seien zuhauf bereit gewesen, Überstunden zu leisten. Jede Vorstellung einer Verpflichtung sei aber geeignet, meint die Präsidentin der Ärztekammer, solches Engagement wieder im Keim zu ersticken. Daher sei es aus ihrer Sicht in der Sache viel klüger, weiter auf die Kräfte der Gesellschaft zu bauen.
In Nordrhein-Westfalen, wo es bereits ein solches Corona-Gesetz gibt, war die Zwangsverpflichtung ebenfalls geplant, sie bezog sich allerdings – anders als jetzt in Niedersachsen geplant - auch auf ehemalige und bereits pensionierte Mediziner. Nach Protesten von Ärzten und Pflegern, sowie Einwänden von Verfassungsrechtlern wegen der Eingriffe in die Grundrechte, rückte die Koalition in Düsseldorf von dem Plan wieder ab. Dort gibt es nun ein „Freiwilligenregister“, in dem sich Ärzte, Pfleger und Rettungskräfte eintragen und ihre Bereitschaft anzeigen können, im Ernstfall für besondere Aufgaben zur Verfügung zu stehen.
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Daneben hat die Präsidentin der Ärztekammer noch eine andere Sorge, wie sie berichtet: Die Ausstattung mit Schutzkleidung und Masken sei in vielen Bereichen immer noch nicht optimal. Viele Ärzte und Pfleger hätten sich privat engagiert und selbst eine passende Kleidung hergestellt. Wenn als Dank für den Einsatz nun eine Verpflichtung drohe, könne auch diese Kreativität darunter leiden.