(rb) Mit dem Spracherwerb steht und fällt die Integration der Flüchtlinge sowohl in die Gesellschaft als auch in den Arbeitsmarkt. Mittlerweile sind allerdings alle Sprachkurse, die den Menschen insbesondere aus Syrien oder dem Irak angeboten werden können, komplett ausgebucht. Mit der hohen Zahl an Zuwanderern können die Einrichtungen nicht mehr mithalten – weder hinsichtlich der Räumlichkeiten noch des pädagogischen Personals. Darüber hinaus gibt es einen Rechtsanspruch auf diese Weise des Spracherwerbs erst, wenn die Betroffenen die Anerkennung ihres Asylantrags vorlegen können. Es ist bekannt, wie lange es angesichts des hohen Arbeitsanfalls beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dauern kann, bis ein Asylantrag „durch“ ist. Die meisten der in den vergangenen Wochen und Monaten angekommenen Menschen haben einen solchen Antrag noch nicht einmal gestellt.
Damit sie die Zeit des Wartens in den Erstaufnahmeeinrichtungen und auch später in den Unterkünften der Kommunen nicht ungenutzt verstreichen lassen, investiert das Land jetzt auch in die Videosprachqualifizierung via Internet, die die Lernenden unabhängig macht von Sprachkursen und Einrichtungen der Erwachsenenbildung. Wirtschaftsminister Olaf Lies fördert das Projekt „Virtuelle Sprachqualifizierung für Migrantinnen und Migranten in Niedersachsen“ (MOVIS) ab Januar 2016 mit 400 000 Euro. Es wurde ein Programm ausgewählt, das von einem hannoverschen Startup-Unternehmen angeboten wird („Papagei – watch.learn.talk“), das auf jedem Smartphone oder Tablet funktioniert, mit Zugangskosten von rund 35 Euro recht preiswert und in mittlerweile acht Sprachen verfügbar ist sowie auf die zertifizierte Sprachstandsprüfung vorbereitet. Das Ministerium hat zunächst 2000 Lizenzen für das Programm erworben. Für die Neuankömmlinge bietet das Unternehmen ein zweiwöchiges kostenloses Startprogramm an.
Bereits seit Anfang November läuft ein Integrationsprojekt, das Minister Lies mit den Handwerkskammern mit dem Ziel auf den Weg gebracht hat, jungen Asylbewerber/innen und Flüchtlingen mit Interesse an Handwerksberufen z.B. durch die Vermittlung von Praktika auf eine Berufsausbildung vorzubereiten Damit sollen bereits im Ausbildungsjahr 2016/2017 rund 500 junge Menschen die Chance bekommen, eine Ausbildung zu beginnen, und die Betriebe die Chance, den händeringend gesuchten Nachwuchs zu gewinnen. Nach Angaben des Wirtschaftsministers ist das Interesse an dem Projekt riesengroß. Es umfasst Module zur Berufsorientierung, Eignungsfeststellung sowie zur Vermittlung von Praktika und Ausbildung. Insgesamt 1,1 Millionen Euro Landesmittel will Lies dafür einsetzen.
In den Erstaufnahmeeinrichtungen haben seit dem Sommer etwa 1000 Flüchtlinge die Kompetenzerfassung durch die Regionaldirektion Niedersachsen der Arbeitsagentur durchlaufen („Kompetenzen erkennen – gut ankommen in Niedersachsen“). Das ist noch eine sehr geringe Zahl, wie Lies am Dienstag einräumte. Daher könnten die bisherigen Ergebnisse nicht repräsentativ sein, zumal viele Angaben mit Vorsicht zu genießen seien. Aber ein Trend sei durchaus erkennbar. Demnach ist mit 52 Prozent mehr als die Hälfte der Flüchtlinge zwischen 25 und 34 Jahre alt, 24 Prozent zwischen 18 und 24 Jahre, so dass gut Dreiviertel der weit überwiegend männlichen Flüchtlinge (88 Prozent) im besten Ausbildungsalter sind. Fast zwei Drittel (61 Prozent) sind aus Syrien und jeweils zehn Prozent aus dem Sudan und dem Irak. Die wenigsten können deutsch, aber immerhin 400 der 1000 Befragten verfügen nach eigenen Angaben in der englischen Sprache mindestens über Grundkenntnisse. 475 gaben an, einen Schulabschluss zu besitzen, mehr als 350 einen Hochschulabschluss, über 90 eine abgeschlossene Berufsausbildung und 250 Berufserfahrungen. Lies sieht in dem geringen Durchschnittsalter der Flüchtlinge ein erhebliches Fachkräftepotenzial über alle Branchen hinweg, das die Betriebe nutzten sollten. azDieser Artikel erschien in Ausgabe #228.