30. Nov. 2015 · 
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Zur Sache: Rote Zahlen

(rb) Zuerst brachen die Milchpreise ein. Inzwischen zahlen Molkereien den Landwirten pro abgelieferten Liter Rohmilch nicht einmal mehr den Herstellungspreis. Immer mehr Milchviehbetriebe klagen deshalb über eine unzureichende Liquidität, andere geben das Geschäft mit der Milch schon komplett auf. Aktuell gibt es in Niedersachsen noch etwa 10 500 landwirtschaftliche Betriebe mit Milchkuhhaltung, fast vier Prozent weniger als vor einem Jahr. Allerdings ist die Zahl der gehaltenen Milchkühe leicht auf rund 852 000 gestiegen. Auf dem Schweinemarkt ist die Entwicklung ähnlich desaströs: Der Preis für Schlachtschweine befindet sich seit Monaten im Sturzflug. In der vergangenen Woche zahlten die deutschen Schlachthöfe den Bauern für ihre Tiere im Durchschnitt 1,25 Euro pro Kilogramm Schlachtgewicht. Das Ende der Fahnenstange ist aber offenbar noch nicht erreicht. Marktbeobachter rechnen zur Jahreswende mit Preisen um 1,15 Euro. Dabei hatte ein 100-Kilogramm-Schwein noch vor gut vier Jahren mehr als 160 Euro erlöst und den Landwirten einen wirtschaftlichen Erfolg eingebracht. Fortlaufend notwendige Investitionen auf den Höfen waren damit gesichert. Für das Wirtschaftsjahr 2014/15 haben die Landwirtschaftskammern in Deutschland einen durchschnittlichen Preisrückgang gegenüber dem Vorjahr um rund 20 Prozent errechnet. Für das Agrarland Niedersachsen mit seiner Veredlungsregion im Nordwesten kommen die Kammer-Experten sogar auf ein Minus von rund 40 Prozent. Da sind die enormen Verluste der Ferkelerzeuger eingerechnet. Die müssen nämlich ebenfalls extrem hohe Preisabschläge hinnehmen. Eigentlich benötigen die Landwirte pro verkauftes Ferkel einen Erlös von etwa 60 Euro. Derzeit wird aber gerade mal die Hälfte erzielt. So mancher Sauen-Halter zieht inzwischen daraus die Konsequenzen und steigt aus der Ferkelerzeugung aus. Auf vielen landwirtschaftlichen Höfen in Niedersachsen haben also düstere Zeiten Einzug gehalten. Die Landwirtschaftskammer geht in ihren aktuellen Einschätzungen davon aus, dass die Bauern ihre Unternehmensergebnisse gegenüber dem Vorjahr um 45 Prozent nach unten korrigieren müssen. Kammer-Präsident Gerhard Schwetje beklagt einen massiven Rückgang der Erzeugerpreise. Viele Betriebe müssten Eigenkapitalverluste hinnehmen und schrieben rote Zahlen. Eine Besserung sei kaum in Sicht, konstatiert Schwetje; die Prognosen für das nächste Wirtschaftsjahr seien ebenfalls miserabel. Die Entwicklung verändert eine ganze Branche: Gab es vor fast 25 Jahren in Niedersachsen noch rund 45 000 Schweinehalter, so ist deren Zahl rasant auf nunmehr 6700 gesunken, haben die Statistiker festgestellt. Bei den derzeit niedrigen Erzeugerpreisen dürfte die Zahl weiter sinken. Die Gründe für diese dramatische Entwicklung in der Landwirtschaft liegen größtenteils in einer Überproduktion. Es gibt zuviel Milch auf dem Markt in Europa, zu viele Schweine und zu viele Ferkel. Hinzu kommen die Folgen des Russland-Embargos. Allerdings gibt es auch einige Märkte, die einen regelrechten Boom erleben. Dazu gehören die Ausfuhren in die Volksrepublik China. Gerade auf dem Schweinesektor gibt es dort eine positive Entwicklung, von der der deutsche Export stark profitiert. Dagegen ist die Entwicklung auf dem Binnenmarkt derzeit gegenläufiger Natur: Immer mehr Verbraucher essen immer weniger Fleisch, vor allen Dingen weniger Schweinefleisch. Der Trend zu veganer oder vegetarischer Ernährung nimmt zu. Die Folgen spüren besonders die Fleischerzeuger, die in der Vergangenheit auf eine Billigfleischstrategie gesetzt haben. In der Konsequenz findet auf dem Schweinemarkt eine Konzentration der Betriebe statt. Wurden vor gut zehn Jahren im Durchschnitt noch 500 Schweine pro Betrieb gehalten, so sind es heute 1300 Tiere. Das ist Rekord. Gleichzeitig steigt jedoch die Nachfrage nach Bio-Fleisch. Landwirte, die auf diesen Trend setzen, erzielen deutlich bessere Preise. Bis zu 3,60 Euro pro Kilogramm Schlachtgewicht sind drin, Ferkel kosten sogar um die 130 Euro. Allerdings kann die Landwirtschaft die enorm steigende Nachfrage nach Bio-Fleisch aktuell nicht bedienen. Unterdessen nimmt der gesellschaftliche und politische Druck auf die Landwirtschaft weiter zu. Es gebe keinen gesellschaftlichen Konsens mehr bei der Herstellung von Lebensmitteln, hat Franz-Josef Holzenkamp kürzlich festgestellt. Der agrarpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist selbst Landwirt und Schweinehalter. Er attestiert eine schwindende gesellschaftliche Akzeptanz für die intensiven Produktionsmethoden. Diese Erkenntnis kommt für viele seiner Berufskollegen allerdings zu spät. stu
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #221.
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