(rb) Mehr als zwei Jahre lang hat die rotgrüne Landesregierung mit den islamischen Religionsgemeinschaften Ditib und Schura sowie mit den Alevitischen Gemeinden hinter verschlossenen Türen über Vereinbarungen eines gedeihlichen Miteinanders verhandelt, wie es im Koalitionsvertrag nach der gewonnenen Landtagswahl 2013 versprochen wurde. Aus dem Regierungslager gelangten in dieser Zeit immer nur Bruchstücke und Widersprüchliches an die Öffentlichkeit. Skeptische Stimmen mehrten sich daraufhin nicht nur bei der Landtagsopposition von CDU und FDP, sondern auch im eigenen rotgrünen Lager. Mitte Dezember 2015 wurden die Vertragsentwürfe dann endlich vom Kabinett „freigegeben“. Seither sind sie auf der Internetseite des Kultusministeriums für alle Interessierten einsehbar – ergänzt durch Antworten auf häufig dazu gestellte Fragen.
Die Verträge hätten längst unter Dach und Fach sein können. Die Landesregierung zögerte aber weiterhin. Ende des Jahres 2015 gab die Staatskanzlei überraschend ihre Weigerung auf, den Landtag zu beteiligen. Seither wird die Losung ausgegeben, man strebe im Parlament eine ausführliche Erörterung und eine möglichst breite Mehrheit für die Vereinbarungen mit den Verbänden an. Die für wann auch immer anberaumte Abstimmung im Landtag soll sogar ohne regulären Fraktionszwang vonstattengehen. Das klingt erst mal gut. Dahinter dürfte sich allerdings der Wunsch der Koalitionäre verbergen, sich eine Hintertür offenhalten zu können: Nehmen wir mal an, es stimmt nur weniger als die Hälfte der Landtagsabgeordneten den beiden Verträgen zu, dann könnten die Regierungsfraktionen und die Landesregierung ohne schweren Gesichtsverlust sagen, die Zeit sei wohl doch noch nicht reif gewesen für das ambitionierte Vorhaben, als erstes Flächenland Vereinbarungen mit islamischen Religionsgemeinschaften zu schließen, die der Gestaltung und Pflege gedeihlicher Beziehungen dienen, zugleich ein Zeichen der gegenseitigen Anerkennung und des gegenseitigen Respekts sein sollten, wie es die Migrationsbeauftragte des Landes, die SPD-Landtagsabgeordnete Doris Schröder-Köpf, am Mittwoch während der Aktuellen Stunde erneut betonte.
Der türkischstämmige Grünen-Abgeordnete Belit Onay bat an gleicher Stelle vor allem die Fraktionen von CDU und FDP, die Verträge nicht „kaputtzureden“ und hob dabei die Vereinbarungen mit den Muslimen als unverzichtbar und „zukunftweisend“ hervor. Auch das kann allerdings weder die grundsätzlichen Webfehler des Vorhabens, die nicht nur innerhalb der Bevölkerung des Landes, sondern auch bei Volksvertreter/innen ein ausgewachsenes Unbehagen auslösen, noch die „handwerklichen Mängel“ wettmachen, an denen sich insbesondere CDU und FDP stoßen. „Ohne Nachbesserung keine Zustimmung“, lautete am Mittwoch die Botschaft der Landtagsopposition.
Nach wie vor gibt es grundsätzliche Zweifel daran, ob Ditib und Schura die Mehrheit der in Niedersachsen lebenden Muslime repräsentieren, und vor allem, ob diese Gemeinschaften tatsächlich als „Vertreter eines aufgeklärten, friedlichen Islam“ anzusehen sind, wie es etwa Kultusministerin Frauke Heiligenstadt nicht müde wird zu betonen. Warum wird dann aber explizit das Kopftuch in der Vereinbarung mit den beiden Verbänden erwähnt, während dies bei den Aleviten nicht der Fall ist? Warum findet sich das Wort „Integration“ nicht ein einziges Mal in beiden Entwürfen? Darüber hinaus gibt es weitere ungeklärte juristische Fragen, auf die der Gesetzgebungs- und Beratungsdienst des Landtags auf Drängen der Opposition noch antworten soll. Aus Sicht der FDP werden in den Verträgen u.a. Selbstverständlichkeiten etwa die Geltung von Grundrechten – freie Religionsausübung, Gleichstellung der Geschlechter, umfassende Schulpflicht etc. – vereinbart, die als deren Relativierung verstanden werden könnten. Die CDU stößt sich nach wie vor u.a. an den Formulierungen zu Gebetsräumen in öffentlichen Schulen und an der Vermeidung des offenbar bei beiden Vertragspartnern höchst unbeliebten „I“-Wortes. briDieser Artikel erschien in Ausgabe #34.