30. Juni 2016 · Archiv

Zum Tage: Bannmeile – wer braucht das?

(rb) Schützt die ohnehin sehr schmale Bannmeile rund um den Niedersächsischen Landtag die Abgeordneten vor radikalen Demonstranten oder vor der Konfrontation mit der freien Meinungsäußerung ihrer Bürgerinnen und Bürger? Darüber lässt sich je nach Standort trefflich streiten, denn die einen sagen so und die anderen so. Das Thema ist aus unerfindlichen Gründen – im Zweifel weil es im rotgrünen Koalitionsvertrag steht – wieder einmal auf der Tagesordnung gelandet. Vor wenigen Wochen hat das Kabinett eine Gesetzesnovelle zur Verbandsanhörung freigegeben, die das Versammlungsrecht weiter erleichtern soll, ganz so, als gebe es Orte, an denen dies heutzutage nicht möglich ist. Selbst innerhalb der Bannmeile kann demonstriert werden, wenn der Landtag es erlaubt. Beim letzten Versuch, die Bannmeile aus dem niedersächsischen Versammlungsrecht zu verbannen, im Jahr 2010, waren die Grünen und die Linken mit diesem Vorstoß eher allein. Seinerzeit war auch die Gewerkschaft der Polizei noch für die Abschaffung des als antiquiert geltenden Überbleibsels aus vordemokratischen Zeiten eingetreten. Inzwischen hat sich die Sicherheitslage gewaltig geändert. Allein in Hannover wird tagtäglich demonstriert, was das Zeug hält und den Kommentator der Neuen Presse kürzlich bei einer eher launigen Aufzählung der vielen mehr oder weniger radikalen Gruppen und Grüppchen, die mittlerweile zum Straßenbild der Landeshauptstadt gehören, zu dem Stoßseufzer „Wer fehlt denn eigentlich noch?“ verleitete. Tatsächlich könnte eine komplette Aufgabe der Bannmeile, gegen die sich Landtagspräsident Bernd Busemann völlig zu Recht wendet, in den aktuell aufgeregten Zeiten für die Parlamentarier/innen eher ungemütlich werden, insbesondere, wenn diese noch den Interimslandtag trifft, dessen Haupteingang mitten in der hannoverschen Altstadt ohnedies kaum Schutz vor Extremisten bietet. Wie das aussehen könnte, war schon vor einigen Jahren zu besichtigen, als eine Schülerdemo aus dem Ruder lief und viele Abgeordnete in Angst und Schrecken versetzte, bis die Polizei mit den ihren eigenen Mitteln wieder für Ruhe und Ordnung sorgte. Auch hier war die Frage ungeklärt, ob die Demokratie gefährdet war oder das freie Abgeordnetenmandat. Mittlerweile fährt die Landesregierung das Thema aber wohl selbst mit gebremstem Schaum. Nach der massiven Kritik des Landtagspräsidenten an dem Gesetzesvorhaben der rotgrünen Landesregierung in einem Zeitungsinterview wirkte die Reaktion von Regierungssprecherin Anke Pörksen am Mittwoch eher so, als sei noch gar nichts beschlossen. Vielmehr gebe es innerhalb der Koalition sogar „nachvollziehbare Bedenken“. Insbesondere die Haltung von Innenminister Boris Pistorius sei eher „ambivalent“. Und eigentlich sei die ganze Angelegenheit doch Sache des Landtags, und dort sollte sie auch diskutiert werden, findet Pörksen. Der Hinweis auf andere Bundesländer, die sich längst von dieser nicht mehr zeitgemäßen Regelung getrennt hätten, greift nur sehr bedingt. Bremen hat die Bannmeile nach der Gründung der Bundesrepublik und der Länder gar nicht erst eingeführt, Schleswig-Holstein hat sie bereits vor 15 Jahren abgeschafft, in Thüringen ist es noch nicht lange her, und Brandenburg hat mit dem Bezug seinen neuen Parlamentsgebäudes auf einen solchen Schutzbereich verzichtet. Alle anderen Länder haben weiterhin einen wie auch immer gearteten Bannkreis, der vielfach deutlich größer ist als der schmale Schutzstreifen, den sich der Niedersächsische Landtag bislang gegönnt hat. Aber in fast allen Ländern hat es eine solche Debatte schon einmal gegeben. Beantwortet ist die Frage, ob die Demonstranten generell von einem Demokratieverständnis beseelt und in der Regel von friedlicher Natur sind, in der Tat noch lange nicht. az
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #125.
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