14. Sept. 2017 · 
Bildung

Zu viel Arbeit und zu schlecht bezahlt: Erzieherinnen pochen auf Reformen

Die Zahl der Kindertagesstätten in Niedersachsen wächst und damit auch die Zahl der Betreuungsplätze. Doch immer öfter können die neu geschaffenen Plätze nicht vergeben werden. Denn es fehlt das Personal. „Wenn eine neue Kita eingerichtet wird, kommen die Erzieher hauptsächlich aus bestehenden Kitas“, sagt Martina Poppinga, Personalrätin und Erzieherin in Hannover. Das reißt nicht nur ein Loch in die Personaldecke der alten Kita, oft kommt auch keine komplette Mannschaft in der neuen Kita zusammen. „Ein Teil der neuen Plätze kann deshalb nicht vergeben werden, weil die Bereuung fehlt“, sagt Poppinga. In den bestehenden Kindergärten sind die Plätze aber längst belegt. „So kommt es, dass in nahezu jeder Kita eine bis zwei Fachkräfte fehlen, deren Arbeit aufgeteilt werden muss.“ Die Arbeit als Erzieher – ein ohnehin schon anspruchsvoller Job – werde dadurch noch stressiger. „Wir haben keine Zeit mehr für Konferenzen und Fortbildungen, für Praktikanten und Auszubildende und oft auch für Pausen“, sagt Poppinga. Und selbst dann reicht es manchmal nicht. „An ganz knapp besetzten Tagen müssen wir die Eltern bitten, ihre Kinder zu Hause zu behalten - und können nur Notgruppen für die anbieten, die sonst nirgendwo hinkönnen.“ https://soundcloud.com/user-385595761/personalsituation-in-kitas-stress-fur-eltern-und-erzieher Hilferufe wie dieser waren gestern oft auf der Fachtagung der Gewerkschaft Verdi zum Thema „Fachkräftemangel in Kitas“ zu hören. Im Mittelpunkt stand der Appell an die Landespolitik, den Kita-Ausbau nicht nur voranzutreiben, sondern auch den Erzieherberuf wieder attraktiv zu machen. „Es interessieren sich immer noch viele junge Menschen dafür, Erzieher zu werden. Doch wenn sie sehen, welche Anforderungen damit verbunden sind und unter welchen Bedingungen gearbeitet wird, entscheiden sich viele anders“, sagt Ute Heidutzek, Erzieherin in Wunstorf. Doch wie kann das gestoppt werden? „Wir brauchen eine Qualitätsoffensive“, sagt Martin Peter, Fachbereichsleiter Gemeinden bei Verdi. Da wäre zum einen das Geld. Vier Jahre dauert die Ausbildung zum Erzieher, die meiste Zeit verbringen die Anwärter in der Schule und bekommen deshalb kein Geld. Entscheiden sie sich für eine private Schule, müssen sie sogar zahlen. „Das mag für ganz junge Menschen noch in Ordnung sein, aber jemand, der seinen Lebensunterhalt selbst bestreiten muss, wird sich nicht für diese Ausbildung oder Umschulung entscheiden“, sagt Peter. Er schlägt deshalb vor, die Ausbildung berufsbegleitend zu gestalten und eine Vergütung einzuführen. Zum anderen müsse die Zahl der Ausbildungsplätze massiv ausgebaut werden.
Viele nutzen die Ausbildung als Sprungbrett für eine andere Qualifikation und arbeiten nur ein paar Jahre in der Kita, andere gehen in Teilzeit
Denn nicht alle, die die Schule verlassen, kommen auch in den Kitas an. „Viele nutzen die Ausbildung als Sprungbrett für eine andere Qualifikation und arbeiten nur ein paar Jahre in der Kita, andere gehen in Teilzeit“, sagt Heidutzek. Die Zahl der Vollzeit arbeitenden Erzieher ist in Niedersachsen in den vergangenen Jahren zwar um 2,3 Prozent auf 27,1 Prozent gestiegen. Doch Erzieher, die weniger als 38 Stunden pro Woche arbeiten, stellen immer noch knapp drei Viertel der Belegschaft. Poppinga sieht auch eine enorme Diskrepanz zwischen dem, das die Politik von Erziehern verlangt und dem Personalschlüssel. „Als ich damals in der Kita anfing, haben wir zu zweit 25 Kinder betreut.“ Eine individuelle Förderung jedes Kindes war damals noch nicht vorgesehen. Es sei richtig und gut, dass sich das geändert habe, aber die Politik habe verpasst, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen und den Beruf des Erziehers wieder interessant zu machen. „Da kann ich verstehen, dass sich junge Leute das nicht antun wollen.“
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #161.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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