
Niedersachsen erlebt in diesem Jahr die sechste Volkszählung seiner Geschichte – die siebte sogar, wenn man die Befragung drei Tage vor offiziellen Landesgründung 1946 mitzählt. Der Zensus 2022 läuft allerdings ganz anders ab als die Vollbefragungen 1950, 1961, 1970 und 1987. Wie schon 2011 werden auch bei der jüngsten Volkszählung die Haushalte nur stichprobenartig befragt und nicht mehr jeder Bürger im Land. Für den Zensus 2022 gilt zudem erstmals die Devise: „online first“. „Bevorzugter Meldeweg soll aktuell jeweils ein Online-Formular sein. Das erleichtert nicht nur die Aufbereitung der erhobenen Daten, sondern schont auch Ressourcen“, berichtet Melanie Kaufmann vom Niedersächsischen Landesamt für Statistik (LSN). Einen Papierberg wie vor elf Jahren, der übereinandergestapelt den Gipfel des Mount Everest überragt hatte, soll es diesmal nicht geben. Außerdem werden die Interviewer 2022 auch in Gemeinden mit weniger als 10.000 Einwohner unterwegs sein. Hier nehmen die Statistiker jedoch eine geringere Präzision in Kauf, um den Aufwand zu begrenzen.
An welchen Adressen die Erhebungsbeauftragten ab dem 15. Mai 2022 klingeln werden, um die Volksbefragung durchzuführen, steht bereits fest. Basierend auf den Meldedaten wurden mithilfe eines mathematischen Zufallsverfahrens die Anschriften von etwa 10,2 Millionen Menschen gezogen, von denen etwa 1,1 Millionen in Niedersachsen leben. Nun sind die Kommunen am Zug, die rechtzeitig genügend ehrenamtliche Erhebungsbeauftragte rekrutieren müssen. Die meisten Erhebungsstellen rechnen dabei in der Regel mit 100 Gesprächen pro Interviewer. Ein Ausreißer nach oben ist der Landkreis Uelzen, der mir 130 Interviews pro Beauftragten ausgeht. In Northeim sucht man für 16.800 Befragungen sicherheitshalber 200 Ehrenamtliche. Wie hoch die steuerfreie Aufwandsentschädigung sein wird, kann noch keine Kommune sagen. „Die Höhe der Aufwandsentschädigung ist vom Land Niedersachsen noch nicht bekanntgegeben worden. Es wird mit einer Entschädigung in Höhe von 8,00 bis 8,50 Euro pro Haushalt gerechnet“, heißt es beim Landkreis Peine. 2011 lag die Pauschale in Niedersachsen bei 7,50 Euro.

Beim Zensus 2011 wurden in Gemeinden mit weniger als 10.000 Einwohnern nur gezielt die Personen befragt, wo es Unstimmigkeiten zwischen Melderegister und Gebäudezählung gab. „In den großen Gemeinden mit 10.000 oder mehr Einwohnern haben wir die Karteileichen und Fehlbestände über eine Stichprobe aufgedeckt und anschließend auf die gesamte Gemeinde hochgerechnet“, sagt Steffen Seibel vom Statistischen Bundesamt in Wiesbaden. Weil sich bei der Auswertung in kleinen Gemeinden deutlich mehr Korrekturbedarf zeigte als erwartet, wird diese Korrekturstichprobe jetzt überall durchgeführt. Das Statistische Bundesamt (StBA) stellt allerdings klar: „In den kleinen Gemeinden müssen nicht alle zufällig ausgewählten Haushalte den kompletten Fragenkatalog beantworten.“ Nur in größeren Kommunen müssen neben den Meldedaten auch alle Fragen zu Beruf, Ausbildung und Wohnung beantwortet werden. Weiterhin gilt: Während die Privathaushalte nur stichprobenartig besucht werden, müssen die Interviewer sämtliche Wohnheime und Gemeinschaftsunterkünfte aufsuchen. Warum? „Hier ist aufgrund einer relativ hohen Fluktuation oder unzureichendem Meldeverhalten von überdurchschnittlich vielen veralteten und/oder unvollständigen Angaben in den Registern auszugehen“, erläutert das StBA.
Beim Zensus 2022 gibt es erstmals die Möglichkeit, beim Geschlecht die Felder „Divers“ oder „Ohne Angabe (nach Geburtenregister)“ auszuwählen. Laut LSN-Expertin Melanie Kaufmann sind solche Veränderungen ganz natürlich. „Die damaligen Volkszählungen hatten, ebenso wie der moderne Zensus, immer ein Ziel: Die Realität der Gesellschaft zu erfassen, um darauf basierend weitere politische und gesellschaftliche Entscheidungen treffen zu können“, sagt Kaufmann. So sei in den Volksbefragungen bis 1970 etwa jede Person nach ihrem Wohnsitz am 1. September 1939 befragt worden. 1950 wurde noch explizit nach Kriegsschäden an Gebäuden gefragt, 1961 habe sich der Fokus dann auf die Ausstattung der Gebäude verschoben. Bei der Volkszählung 1970 gab es erstmals die Option, dass auch Ehefrauen als Haushaltsvorstand geführt werden können. In den Zensus 2011 wurde die Frage nach einer gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft frisch aufgenommen. Kaufmann: „Die Enttabuisierung anderer Lebens- und Beziehungsformen wirkt sich auch auf die Durchführung des Zensus aus.“