Darum geht es: Auf ihre einstigen Vorkämpfer können sich Sozial- und Christdemokraten im Landtagswahlkampf nicht mehr verlassen. Gerhard Schröder und Christian Wulff lösen mit eigenen beruflichen Entscheidungen allgemein Kopfschütteln aus. Ein Kommentar von Klaus Wallbaum.

Wer waren die beiden erfolgreichsten Ministerpräsidenten in Niedersachsen im vergangenen Vierteljahrhundert? Ohne Zweifel Gerhard Schröder von der SPD und Christian Wulff von der CDU. Der eine begann mit Rot-Grün, errang danach zweimal die absolute Mehrheit für seine SPD und gilt rückblickend als ein reaktionsschneller, treffsicherer und entscheidungsfreudiger Politiker. Der andere besiegte 2003 Sigmar Gabriel, brachte die Kraft zu einer entschlossenen Sparpolitik auf, setzte viele Reformen durch und rettete mit viel Geschick Volkswagen vor der geplanten Übernahme durch Porsche. Beide wurden für ihr Wirken mit den höchsten Posten belohnt, die Deutschland zu bieten hat – Schröder wurde Bundeskanzler, Wulff Bundespräsident. Und heute? Beide fallen als Leitfiguren oder Vorbilder für ihre Parteien aus, sie können eher zu einer Belastung im Wahlkampf werden. Aber beide scheint das nur wenig zu interessieren.

Wulffs neuer Job: Nicht förderlich im Wahlkampf

Zunächst Wulff: Als früherem Bundespräsidenten steht ihm ein lebenslanger „Ehrensold“ von jährlich 236.000 Euro zu. Das ist nicht zu beanstanden. Der tiefere Sinn dieser Regelung ist aber, dass ein früheres Staatsoberhaupt sich möglichst ehrenamtlich und für gute Zwecke engagieren soll, und zwar – im besten Fall – unentgeltlich. Dafür zahlt ihm der Staat eine Summe, mit der er über die Runden kommen sollte. Über Wulff aber wurde vor wenigen Tagen bekannt, dass er als Teil seiner Tätigkeit in einem Anwaltsbüro die Prokura für eine türkische Modefirma hat.

Was das finanziell für ihn bedeutet, ist nicht bekannt, gemutmaßt werden kann, dass Wulff dafür bezahlt wird. Müsste er nicht in dem Maße, in dem er wirtschaftlich tätig wird und damit weniger Zeit für ehrenamtliche Aufgaben hat, auf Teile seines Ehrensoldes verzichten? Dies tut Wulff, soweit bekannt, nicht. Er muss es rein rechtlich auch nicht – aber moralisch schon. Nun hat sich der ehemalige Bundespräsident, der meint, auf der Basis völlig übertriebener Vorwürfe zum Rücktritt gezwungen worden zu sein, aus der Parteipolitik zurückgezogen. Kontakt zur Niedersachsen-CDU, der er seinen Aufstieg zu verdanken hat, pflegt Wulff kaum noch. Es schickt sich auch nicht für frühere Bundespräsidenten, in die Parteipolitik zurückzukehren. Nur: Viele Menschen verknüpfen Wulff noch mit der CDU, und die Berichte über Wulffs Arbeit für die Modefirma sind bestimmt nicht förderlich für die Union im Bundestags- und Landtagswahlkampf.

Schröder: Moskaus Lobbyist?

Wesentlich drastischer ist der Fall Schröder. Der ehemalige Kanzler hat mit Blick auf die SPD nicht die Zurückhaltung, die Wulff gegenüber der CDU hat. Im Gegenteil: Vor sieben Wochen hielt Schröder die Eröffnungsrede auf einem SPD-Parteitag. Die Landtagsfraktion lauschte ihm im Mai als Hauptredner für den Empfang zum 70. Geburtstag. Der rhetorisch immer noch hochbegabte Schröder hätte in den kommenden Wochen zur Wahlkampflokomotive im Bund und in Niedersachsen werden können (und vielleicht auch sollen), wenn er sich nicht selbst mit einer beruflichen Entscheidung ins Zwielicht gesetzt hätte: Am 29. September, fünf Tage nach der Bundestagswahl, soll eine Liste von neuen Aufsichtsratsmitgliedern des russischen Energiekonzerns Rosneft gewählt werden – und dort steht auch der Name Schröder drauf, wie Ministerpräsident Dmitrij Medwedjew kürzlich mitteilte.

Dass diese Position gut vergütet werden dürfte, ist anzunehmen – auch wenn das Geld hier nicht das Problem ist. Eigentlich überrascht Schröders voraussichtlicher Schritt wenig, hat er doch schon 2005 nach seiner Abwahl als Kanzler einen Job für den Bau einer Gas-Pipeline durch die Ostsee, der Nord Stream, übernommen. „Ein Engagement bei Rosneft wäre ein Schritt, mit dem Schröder noch mehr als bisher zum Lobbyisten Moskaus würde“, schreibt dazu die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Schröder, der bekennende Putin-Freund, tritt immer unverhohlener als Helfer des russischen Präsidenten auf. Manchmal wirkt der Altkanzler hier wie ein Neben-Außenpolitiker.

Man könnte Schröders berufliche Eskapaden als Marotten eines alternden Polit-Pensionärs abtun. Doch damit täte man sich es zu einfach. Denn erstens hat Schröders Wort in der SPD noch Gewicht, nicht ohne eigenes Zutun und eigene Absicht hat er sich immer wieder für Parteiveranstaltungen einspannen lassen. Er scheint politisches Sendungsbewusstsein zu haben.

Man könnte Schröders berufliche Eskapaden als Marotten eines alternden Polit-Pensionärs abtun. Doch damit täte man sich es zu einfach

Zweitens sind in der SPD noch einige andere unterwegs, die für eine Hinwendung zu Russland streiten und dafür – sei es offen oder im Hintergrund – zielstrebig und engagiert arbeiten. Martin Schulz, der Kanzlerkandidat, und Hubertus Heil aus Peine, der Generalsekretär, zählen nicht dazu. Beide haben sich ziemlich deutlich von Schröders Verhalten distanziert. Den Schröder-Kurs aber, die Annäherung an die Machthaber in Moskau trotz Krim-Annexion und Menschenrechtsverletzungen, konnten sie damit nicht bändigen.

Diese Kraftprobe zur außenpolitischen Strategie steht der SPD noch bevor. Da ist es nur ein schwacher Trost, dass auch CDU, FDP und Grünen eine ähnliche Auseinandersetzung droht. Nur die AfD ist weiter – dort sind die Putin-Freunde heute schon in der klaren Mehrheit.