Wissenschaftler fordern: Regierung muss viel mehr für die Suchtprävention tun
Wissenschaftler verlangen von der Landesregierung ein entschiedeneres Vorgehen gegen die Gefahren der Sucht. Florian Rehbein, Forscher am Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN), hat gestern in Hannover tiefgreifende Veränderungen in der Suchtprävention bei Kindern und Jugendlichen gefordert. Schon vor ihrem 14. Lebensjahr müssten Kinder über Sucht aufgeklärt werden, vor allem in den Bereichen Glücksspiel- und Computersucht. Das geschehe bisher nicht ausreichend. „Mit 13 Jahren kommen Kinder in der Regel das erste Mal in Kontakt mit Glücksspiel, mit Computerspielen sogar noch viel früher“, sagte Rehbein bei der sogenannten „niedersächsischen Suchtkonferenz“. Es könne daher nicht sein, dass erst bei den Jugendlichen mit Suchtprävention begonnen wird und dabei der Fokus hauptsächlich auf Alkohol und Tabak liege. Darüber hinaus müssten auch Sportvereine stärker in die Pflicht genommen werden. Kaum ein Sportverein nehme staatlich geförderte Maßnahmen für Suchtprävention überhaupt in Anspruch, bei den Themen Alkohol und Glücksspiel im Jugendalter würden Sportvereine im Gegenteil sogar noch zum Risikofaktor. „Hier muss die Prävention vor allem zu Alkohol und Sportwetten Pflicht werden, etwa durch die Koppelung von Landesförderung an ein suchtpräventives Leitbild.“
Rehbein ist Leiter einer Studie, die das Sozialministerium 2014 in Auftrag gegeben hatte. Damals hatte der Landtag beschlossen, die Suchtprävention in Niedersachsen zu verbessern. Mithilfe von Befragungen aller Akteure im Bereich Suchtprävention sollte das KFN den Ist-Zustand abbilden und Anregungen für Verbesserungen geben. Befragt wurden in zwei Stufen jeweils rund 500 Personen. Dabei ergab sich, dass die Hauptadressaten für Suchtprävention die Gruppen der 13 bis 17-Jährigen, der Berufstätigen, der Auszubildenden und der Menschen mit Migrationshintergrund sind. Aus Sicht der Akteure müsse es jedoch auch noch mehr Vorsorge bei den Kindern von suchtkranken Eltern geben sowie von Kindern unter 13 Jahren. Bei den Themen, die in der Suchtprävention der Jugendlichen eine Rolle spielen, liegen legale Drogen wie Alkohol und Tabak mit über 70 Prozent weit vorn, Computerspiele dagegen kommen nur in jeder dritten Präventionskampagne vor, Glücksspiel nur in jeder fünften. Das werde aus Sicht der Forscher zusätzlich durch den aktuellen Runderlass des Kultusministeriums manifestiert, der nur die Themen Alkohol und Rauchen bei der Suchtbekämpfung nennt. „Das impliziert eine Fokussierung, die nicht mehr mit der Lebenswirklichkeit von Kindern und Jugendlichen zusammenpasst“, sagt Rehbein.
Um das Konzept der Suchtprävention zu modernisieren, müsse also zunächst der Runderlass um die sogenannten „stoffungebundenen Suchtformen“ (Computer- und Glücksspiel) und illegale Drogen erweitert werden. Weiterhin müsse es vorgeplante Konzepte anstelle von Ad-hoc-Nachfragen von Schulen bei den Suchtpräventionsakteuren geben. „Natürlich müssen Schulen noch eine gewisse Flexibilität haben. Wenn Alkohol in ihrem Umfeld gerade ein brennendes Thema ist, muss das behandelt werden können“, sagt Rehbein. Doch damit die Präventionsthemen nicht länger von der Nachfrage der Schule abhängig sind und im Zweifel unter den Tisch fallen, müsse es strategische Ziele geben. So sollten nach Ansicht der Forscher Computer- und Glücksspielsucht bis zur siebten Jahrgangsstufe Thema gewesen sein, Alkohol und Tabak bis zur achten Jahrgangsstufe und spätestens bis zur neunten Stufe illegale Drogen. Ob sich die Bedarfe ändern, sollten regelmäßige, landesweite Erhebungen zeigen. „Das kann etwa alle zwei bis drei Jahre vorgenommen werden. Dadurch ergibt sich ein Bild, das unabhängig von kommunalen Brennpunkten ist.“
Die Sportvereine als identitätsstiftende Akteure bei Jugendlichen will Rehbein viel stärker in die Pflicht genommen sehen. „Die Kultur in den Vereinen und das Sponsoring laufen oft völlig gegensätzlich zu dem, was Jugendliche eigentlich über Drogen und Sucht lernen sollen“, sagt Rehbein. Das liege zum einen daran, dass es in vielen Vereinen überhaupt kein Bewusstsein dafür gebe, welches Signal es für die Jugendlichen sei, wenn ein Sportwetten-Anbieter etwa die Trikots sponsore. Zudem würden die meisten Vereine von Ehrenamtlichen betrieben, denen es an Kapazitäten fehlte, um Suchtprävention zu betreiben. „Deshalb muss Suchtprävention als sportpolitisches Ziel gefördert und gefordert werden“, sagt Rehbein. Es müsse Thema bei der Aus- und Fortbildung von Trainern sein und eine intensivere Kooperation mit Suchthilfeakteuren müsse eingerichtet werden. „Zudem kann man Anreize schaffen wie die Auslobung von Preisen oder Auszeichnungen, aber auch die Vergabe von Förderung aus dem Landeshaushalt daran koppeln, wie aktiv ein Verein bei der Suchtbekämpfung ist.“