Wir brauchen nicht nur Bioäpfel
Darum geht es: Agrarminister Christian Meyer sieht den Ökolandbau in Niedersachsen im Aufwind. Im vergangenen Jahr ist die Fläche, auf der ökologisch angebaut oder Tiere gehalten werden, um 20 Prozent auf 87.000 Hektar angewachsen. Ein Kommentar von Isabel Christian.
Es macht einen Unterschied, ob man in einen Apfel aus konventionell angebauten Obstbäumen beißt oder in einen Bio-Apfel. Der Unterschied liegt nicht im Geschmack, auch nicht im Aussehen oder im Vitamingehalt. Er liegt im Gefühl. In einen Bio-Apfel zu beißen vermittelt das Behagen, sich und der Umwelt etwas Gutes zu tun. Es passt daher hervorragend zu der Achtsamkeits-Welle, auf der große Teile der deutschen Gesellschaft schwimmen – zumindest die, die es sich leisten können. Es ist auch nichts Verwerfliches daran, sich bei der Produktion von Nahrungsmitteln wieder auf die Ursprünge zu konzentrieren, anstatt sich nur darüber Gedanken zu machen, wie man dem Boden und den Tieren möglichst viel Essbares abpresst.
Doch Ökolandbau darf nicht zum Heilsbringer erhoben werden, während konventionelle Landwirtschaft als dunkle Seite der Macht abgestempelt wird. Der Maßstab in der Nahrungsmittelproduktion muss immer noch die Selbstverpflichtung eines jeden Landwirts sein, mit seinen Produkten möglichst viele Menschen satt zu machen. Eine vollkommene Ökologisierung würde dieses Ziel in Gefahr bringen.
Pflanzen sind Mimosen. Die einen mehr, die anderen weniger, aber alle reagieren auf verschiedene Einflüsse. In der konventionellen Landwirtschaft können viele Faktoren ausbalanciert werden. Ist der Sommer verregnet, bekommt der Weizen eine Fungizid-Dusche gegen Schimmelpilzbefall. Der Ökolandwirt hat es da schwieriger. Er darf keine Gifte gegen Schädlinge einsetzen und muss deshalb von Anfang an mehr anbauen, um Schäden im Ertrag wieder ausgleichen zu können. Bis zu 50 Prozent mehr Fläche brauchen Biogetreidebauern deshalb, um mit konventionellen Landwirten mitzuhalten. In einer Zeit, in der Anbauflächen überall auf der Welt durch Klimawandel und Übernutzung immer spärlicher werden, während die Weltbevölkerung wächst, ist das ein Luxus, den man sich aus volkswirtschaftlicher und sozialer Sicht eigentlich gar nicht leisten kann. Und eine komplette Abkehr von der konventionellen Landwirtschaft wäre höchst fatal. Das beträfe nicht nur die Kinder in Afrika, sondern auch die Kinder in der Kita nebenan. Sofern ihre Eltern nicht gerade gut verdienten, würde es bei ihnen zu Hause weniger Obst und Gemüse, aber dafür mehr Fertigprodukte aus künstlich hergestellten Produkten geben. Denn ökologische Landwirtschaft ist aufwändiger und damit auch teurer, am Ende muss der Verbraucher dafür zahlen. Schließlich betreiben Landwirte kein Nullsummengeschäft. Der Teil der deutschen Bevölkerung, der sich die Achtsamkeit nicht leisten kann oder will, darf deshalb aber nicht auf Obst und Gemüse verzichten müssen.
Es ist aber auch keine gute Idee, dieses Problem durch finanzielle Anreize von der Politik lösen zu wollen. Denn das wiederum macht nicht bloß konventionelle Landwirtschaft, sondern auch die Forschung zu ihrer Verbesserung unattraktiv. Insektizide müssen nicht pauschal alles Kleingetier töten, das in die Nähe der Pflanze kommt. Dank der Forschung werden Pflanzenschutzmittel immer ausgefeilter. Einige Produkte etwa wirken zwar auf den Schädling ein, aber nicht mehr auf die Biene, die in den Apfelblüten Nektar sucht. Deshalb sollte die Politik nicht nur die Umstellung von Betrieben auf ökologische Landwirtschaft fördern, sondern auch die Forschung an Methoden, wie die Landwirtschaft insgesamt umweltfreundlicher werden kann. Denn es braucht beide Arten von Landwirtschaft, die ökologische wie die konventionelle. Nur so kann sichergestellt werden, dass eine möglichst hohe Menge an Nahrungsmitteln produziert wird, aber die Ressourcen wie Boden und Wasser geschont werden. Das gute Gefühl, etwas für die Umwelt getan zu haben, kann dann auch der Biss in den „normalen“ Apfel wecken.