Bei der Veranstaltung „Architektur im Dialog“ steht in diesem Jahr das Thema „Wachsende Städte“ im Mittelpunkt. Am kommenden Donnerstag diskutieren Experten unter anderem über die Landflucht und die neuen Herausforderungen für die Stadtplanung. Mit dem Präsidenten der niedersächsischen Architektenkammer Wolfgang Schneider sprach Martin Brüning

Rundblick: Herr Schneider, für die Veranstaltung zum Thema „Wachsende Städte“ in der Reihe „Architektur im Dialog“ der Lavesstiftung geht der Blick unter anderem nach Köln und Hannover-Laatzen – warum haben Sie diese Beispiele ausgesucht?

Schneider: Wir wollen Hannover in den Kontext stellen und fragen: Was passiert eigentlich in anderen Ballungsräumen? Dabei wollen wir anhand aktueller Beispiele über konkrete Planungsprozesse für wachsende Städte und Metropolen sprechen. Unsere Städte wachsen, und deutschlandweit müssen in großer Zahl nicht nur neue, sondern vor allem auch bezahlbare Wohnungen gebaut werden. Gerade in den Ballungsgebieten besteht erheblich Nachholbedarf. Die Städte sind gefordert, Rahmenbedingen zu schaffen, die es der Wohnungswirtschaft ermöglichen, dieses Ziel zu erreichen. Es geht aber auch um Planungsprozesse, die in Verfahren eingebettet sind, die Bürgerbeteiligungen ermöglichen. Wir haben die Baudezernenten von Köln und Hannover, Franz-Josef Höing und Uwe Bodemann, eingeladen, die Projekte „Parkstadt Süd“ in Köln und „Kronsberg Süd“ in der Region Hannover gemeinsam mit den Planern vorzustellen.

Vielleicht wäre irgendwo noch Platz für ein paar Mikroappartements: Hannover von oben - Foto: KW

Vielleicht wäre irgendwo noch Platz für ein paar Mikroappartements: Hannover von oben – Foto: KW

Rundblick: Wo liegen denn die Hürden bei neuen Projekten?

Schneider: Das sind gleich mehrere, wie zum Beispiel überproportional steigende Grundstückspreise, höhere gesetzgeberische und kommunale Anforderungen, aber auch steigende Erwartungen der Mieter und Käufer an Qualität und Größe der Wohnungen. Immer größere Bevölkerungsteile können oder wollen dieser Spirale aus Qualität und Kosten aber nicht mehr folgen. Zahlreiche Haushalte mit geringem Einkommen haben zunehmend Schwierigkeiten, sich am Wohnungsmarkt adäquat zu versorgen. Auf der anderen Seite wollen viele Menschen mehr Raum haben. Und den gibt es nicht umsonst.

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Rundblick: Was ist Ihrer Meinung nach die primäre Aufgabe der Politik in den Städten?

Schneider: Die Wohnungsfrage ist zu einer gesamtgesellschaftlichen Herausforderung geworden, der sich neben der Politik auch die Architektenschaft nicht entziehen kann. Es gilt, Planungsprozesse für unsere rasant wachsenden Städte und Metropolen zu entwickeln und dabei die Chancen und Möglichkeiten einer zukunftsweisenden und nachhaltigen Stadtgesellschaft in den Fokus des öffentlichen Bewusstseins zu stellen. Wir brauchen gute Planungen, die auch langfristig Bestand haben und mit denen man flexibel auf sich verändernde Rahmenbedingungen reagieren kann. Architektenwettbewerbe sind das Verfahren, um zu den besten Lösungen für die aktuellen Bauaufgaben zu kommen.

Rundblick: Wie kann man städtebaulich besser und flexibler planen?

Schneider: Ich nenne als Beispiel immer gerne die Wohnungen aus der Gründerzeit. Die Räume waren für unterschiedliche Wohnbedürfnisse geeignet. Sie waren größer und hatten frei bespielbare Grundrisse, flexibel nutzbar und sind heute noch heute attraktiv. Das unterscheidet sie von den Wohnungen der Nachkriegszeit, die streng nach funktional determinierten Kriterien geplant wurden. Beispiel Schlafzimmer, Steckdose rechts und links, da wusste man schon, wo das Bett zu stehen hat; dann gab es eine kleine Küche, Wohnzimmer, Kinderzimmer. Diese Grundrissform ist heute nicht mehr zeitgemäß.

Rundblick: Neben diesem Nachteil bei den Grundrissen kämpfen die Städte heute zum Teil auch mit Bausünden vergangener Jahrzehnte. Sind wir heute vor solchen Fehlentscheidungen eher gefeit?

Schneider: Wenn wir uns vor Bausünden schützen wollen, dann müssen wir Baukultur leben. Baukultur ist nicht nur Sache der Architekten. Wohnungswirtschaft und Politik müssen sich ihrer Rolle und Verantwortung ebenfalls bewusst werden. Wir brauchen mehr Wettbewerbe, mehr Architektenplanungen und weniger einseitige Investorenprojekte, die vielfach durch lieblose Gestaltung aufwarten und langfristig eben nicht attraktiv für die Nutzer und damit auch für die Stadt sind. Bausünden geschehen aber auch im Kleinen, zum Beispiel durch unsachgemäße Wärmedämmungen oder gestaltlose und monotone Einfamilienhaussiedlungen. Da ist eine Bewusstseinsbildung in den Städten nötig, die auch deren Randgebiete einbeziehen muss. Wenn wir die Attraktivität von Ballungsgebieten erhöhen wollen, dann brauchen wir architektonische, landschaftsplanerische und baukulturelle Qualität. Denn nur Qualität ist nachhaltig.

Rundblick: In Hannover entstand Ende der 90er-Jahre am Kronsberg zur Expo ein ganz neuer Stadtteil. Was ist zu beachten, wenn sich Städte in den Randgebieten weiter ausdehnen?

Schneider: Wo Wohnquartiere sind, sollte es auch eine wohnortnahe Versorgungsmöglichkeit mit Geschäften und Straßenbahnanschlüssen geben. Wichtig ist auch eine angemessene landschaftsarchitektonische Gestaltung der Außenräume, insbesondere der Übergänge von halböffentlichen zu öffentlichen Räumen. Wir benötigen auch an den Rändern eine gelebte Stadt, mit einer  gesellschaftlichen Durchmischung, die einer Mischung aus kostengünstigem Wohnraum und solchem mit höherem Ausbaustandard einschließt.

Rundblick: Diese Mischung ist in den Innenstädten eine große Herausforderung, in denen der Wohnraum durch den Platzmangel immer teurer wird. Gibt es auch hier ein Rezept?

Schneider: Da gibt es durchaus kreative Lösungen, zum Beispiel Mikroappartements für Studierende und Auszubildende, jüngere Ehepaare oder Wohngruppen. Diese Wohnungen erhalten eine vernünftige Gestaltung, haben zugleich einen rationalen Grundriss und sind dadurch bezahlbar. Sie sind auch ein Beispiel für mehr Flexibilität. Die Struktur muss schon vor dem Bau so intelligent gedacht sein, dass man reagieren kann, wenn sich die Lebenssituation der Bewohner ändert, zum Beispiel die Kinder aus dem Haus gehen. Ziel muss für die Zukunft sein, dass sich eine Grundrissstruktur verändern kann, ohne dass dabei die Außenfassade geändert werden muss.