14. März 2024 · 
Soziales

Wie Rot-Grün die queere Community unterstützen will

Wenn am 18. und 19. Mai dieses Jahres wieder die Regenbogenfahne über dem Opernplatz von Hannover weht, kann sich die dort versammelte Community der Solidarität einer Mehrheit des Landtags sicher sein – diesmal auch offiziell. Denn im April-Plenum des niedersächsischen Landesparlaments soll nun endlich über einen Entschließungsantrag abgestimmt werden, den die Koalitionsfraktionen von SPD und Grünen bereits vor der Sommerpause 2023 verabschiedet haben wollten.

Rot-Grün arbeitet an einem Aktionsplan für die LSBTI-Community – aber im Detail gibt es durchaus Widerspruch. | Foto: Kleinwächter

Damals scheiterte der als Resolution verfasste Antrag mit dem Titel „Queerfeindlichkeit hat in Niedersachsen keinen Platz“ allerdings an einer Sperrminorität der Oppositionsfraktionen, die über den Text ordnungsgemäß im zuständigen Sozialausschuss beraten wollten. Diese Beratung ist seit Kurzem nun abgeschlossen und die rot-grüne Mehrheit empfiehlt dem Parlament – nicht überraschend – die Annahme, während sich CDU und AfD im Ausschuss enthalten hatten.

In der Zwischenzeit befassten sich die Abgeordneten im Sozialausschuss auch noch mit einem zweiten Antrag zur Politik für Lesben, Schwule und Bisexuelle sowie transidente und intergeschlechtliche Menschen (LSBTI), der neben anderem die Erstellung eines entsprechenden Landesaktionsplans forderte. Im Sozialministerium wird an einem solchen bereits fleißig gearbeitet, weshalb die Abgeordneten von SPD und Grünen auch diesem Auftrag an die Landesregierung guten Gewissens zustimmen werden.

Die Finanzierung der in Rede stehenden Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und Sichtbarkeit von queeren Menschen bleibt derweil eine offene Frage. Eine erste Finanzspritze in Höhe von 300.000 Euro haben die Fraktionen über die politische Liste bereitgestellt. Diese Summe sei jedoch zu viel, um darüber zu klagen, aber zu wenig, um nachhaltige Strukturen damit aufzubauen, wie es seitens des „Queeren Netzwerk Niedersachsen“ (QNN) sinngemäß heißt. 

Hier die aktuelle Situation: 

Schutz vor Gewalt: Anlass für die rot-grüne Resolution waren Vorkommnisse am Rande des Christopher Street Days (CSD) am letztjährigen Pfingstwochenende in Hannover. Teilnehmer der Kundgebung und des Straßenfestes sollen im Anschluss drangsaliert worden sein. Allerdings kam es dazu nicht auf dem Veranstaltungsplatz, sondern rund um den Hauptbahnhof. Mit gut einem Drittel der 300.000 Euro Landesförderung unterstützt das QNN als Erstzuwendungsempfänger in diesem Jahr nun die CSD-Veranstalter im Land dabei, entsprechende Gewaltschutzkonzepte für ihre Veranstaltungen umzusetzen. Neben dem üblichen Polizeischutz sollen wohl auf den Veranstaltungsgeländen selbst externe Sicherheitsfirmen für Ordnung sorgen. Jüngste Statistiken aus dem Innenministerium, die von der Grünen-Fraktion erfragt wurden und die dem Politikjournal Rundblick vorliegen, zeigen einen Anstieg der queerfeindlichen Straftaten in den beiden zurückliegenden Jahren. Demnach wurden 2022 insgesamt noch 30 solcher Taten gezählt, 2023 waren es hingegen insgesamt 82 Straftaten mit queeren Opfern. Beim QNN setzt man auch immer noch darauf, eine zivilgesellschaftliche Anlaufstelle für Betroffene von queerfeindlicher Gewalt aufzubauen, die sich aus Angst nicht bei der Polizei melden wollen. Die CDU kritisierte diese polizeikritischen Positionen wiederholt. 

Dissens beim Selbstbestimmungsgesetz: Die Ampel-Koalition im Bund tut sich selbst schwer beim Erfüllen ihres Wahlversprechens, das Transsexuellengesetz aus den 1980er-Jahren durch ein sogenanntes Selbstbestimmungsgesetz zu ersetzen. Ziel ist es, die Änderung des Geschlechtseintrags unbürokratischer zu gestalten. So soll künftig schon die Anzeige beim Standesamt genügen, die bisher notwenigen ärztlichen Gutachten sollen wegfallen. Der Entwurf sieht eine einjährige Sperrfrist vor einer erneuten Änderung des Geschlechtseintrags vor. Zu geschlechtsangleichenden Operationen werden in dem Gesetz keine Regelungen getroffen. Kritiker fürchten Missbrauch und äußern Bedenken hinsichtlich der Altersgrenzen. Rot-Grün in Niedersachsen will jedoch keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass dieses Anliegen die volle Rückendeckung der Landesregierung genießen würde. Auf den Einwand der CDU-Abgeordneten im Sozialausschuss, man könne den rot-grünen Entschließungsanträgen wegen der dort enthaltenen Bejahung des Selbstbestimmungsgesetzes nicht zustimmen, entgegnete die Grünen-Politikerin Swantje Schendel, es gebe ihrerseits keine Kompromissbereitschaft bei diesem Punkt. Das QNN verwendet in diesem Jahr ein weiteres Drittel der 300.000 Euro zusätzlicher Landesförderung dafür, die vorhandenen und meist ehrenamtlich geführten Beratungsstellen für transidente und intergeschlechtliche Menschen im Land zu unterstützen. 

Die Regenbogenflagge weht über dem Opernhaus in Hannover. | Foto: Kleinwächter

Aktionsplan nimmt Gestalt an: In einem Bottom-up-Verfahren erarbeitet das Sozialministerium derzeit in Kooperation mit dem QNN einen Landesaktionsplan zur queeren Politik. In einer ersten Runde der Community-Beteiligung hätten sich seit dem Sommer 2023 rund 180 Menschen eingebracht, berichtete Kristina Lunk aus dem Sozialministerium im zuständigen Ausschuss. Die Bedarfserhebung sei seit Oktober abgeschlossen, neun Themenfelder konnten dabei herausgearbeitet werden: Pflege, Alter, Gesundheit; Beratung, Selbsthilfe; Akzeptanz, Sichtbarkeit, Gleichstellung; Forschung, Gedenken, Geschichte; Gewalt, Polizei, Justiz; Kinder, Jugend, Familie; Schule, Bildung; Migration; Sport, Kultur, Freizeit. Die vorgeschlagenen Maßnahmen seien in einem zweiten Schritt geclustert und erste Entwürfe von Fließtexten erarbeitet worden, berichtete Lunk. Diese würden nun auf ihre Realisierbarkeit sowie hinsichtlich der Landeszuständigkeit überprüft. Einen konkreten Zeitplan für die weitere Bearbeitung konnte die LSBTI-Referentin des Sozialministeriums nicht nennen, sie rechne aber mit einer Fertigstellung noch innerhalb dieser Legislaturperiode – Abgeordnete erwarten einen Abschluss im kommenden Jahr. 

Neue Stellen im Bildungsbereich: Das Land sucht für seine vier regionalen Landesämter für Schule und Bildung in Braunschweig, Hannover, Lüneburg und Osnabrück je zwei Regionalkoordinatoren für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt sowie übergreifend eine weitere Fachkraft zur Unterstützung der Projektschulen „Schule der Vielfalt“. Jede dieser neun Stellen soll für diese Tätigkeit zehn Anrechnungsstunden gewährt bekommen, heißt es im Ausschreibungstext. Die Koordinatoren sollen Veranstaltungen organisieren, Akteure vernetzen und Schulleitungen beratend zur Seite stehen, wenn es um Themen wie Coming-out oder Transition geht. Das QNN hatte diese Stellen dringend gefordert, weil das bis dato rein ehrenamtlich organisierte Projekt der „Schule der Vielfalt“ sonst womöglich nicht mehr hätte fortgesetzt werden können. Kritik gibt es hinter vorgehaltener Hand aus der Opposition: Dafür ist Personal da aber in den Klassen fehlen die Lehrer? 

Auswirkungen auf Kommunen: Der rot-grüne Entschließungsantrag zielt auch darauf ab, den Schutz vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung in der Landesverfassung zu verankern. Die Kommunen sollen zudem dabei unterstützt werden, Beratungsangebote zu fördern, die Sichtbarkeit und Akzeptanz queerer Menschen zu erhöhen und Diskriminierungen abzubauen. Auch soll der Schutz queerer Flüchtlinge vorangetrieben werden. Auf Nachfrage der AfD teilte das Sozialministerium mit, keine Zahlen zu transidenten Geflüchteten zu haben. Auf Nachfrage der CDU erklärte Lunk, die Landesaufnahmebehörde habe die Anregungen ihres Fachbereichs bei den gesonderten Schutzkonzepten für queere Flüchtlinge bereits berücksichtigt.

Dieser Artikel erschien am 15.3.2024 in Ausgabe #050.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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