Wie kann man einen Untersuchungsausschuss lahmlegen?
Untersuchungsausschüsse in Parlamenten sind umstritten. Sie dienen vor allem der Opposition als ein Mittel, einen Sachverhalt genau aufzuhellen – ansatzweise so, wie es vor einem Gericht geschehen könnte. Dazu sollen die Abgeordneten intensiv in die Akten der Regierung schauen dürfen, auch in vertrauliche, sie sollen auch Zeugen vernehmen können. Oft ergibt sich dann automatisch eine Rollenverteilung, die an Ankläger und Verteidiger in einem Strafprozess erinnert: Die Mehrheit des Parlaments ist geneigt, das Verhalten der ihr nahestehenden Regierung zu rechtfertigen, die Opposition versucht zumeist, bei der Regierung die Verantwortung für Fehler festzumachen. Kommt dabei etwas heraus? Die einen meinen, mit solchen Ausschüssen könne man politische Skandale aufdecken. Die anderen entgegnen, die Probleme würden dort nur skandalisiert, weil die Politiker nur Richter und Staatsanwalt spielten, in Wirklichkeit aber nicht an der Wahrheit, sondern nur an parteipolitischer Inszenierung interessiert seien.
Ein möglicherweise wegweisendes Urteil zu der Arbeit dieser Untersuchungsausschüsse wird heute vor dem niedersächsischen Staatsgerichtshof in Bückeburg verkündet werden: Müssen die Regeln, nach denen die Untersuchungsausschüsse arbeiten, ganz streng beachtet werden – oder ist dabei ein größerer Interpretationsspielraum möglich? Anders ausgedrückt: Kann eine Parlamentsmehrheit die von der Parlamentsminderheit begehrte Aufklärungsarbeit eines solchen Ausschusses empfindlich stören, wenn sie im Parlament eine Ausweitung der Untersuchungen beschließt? Unter welchen Umständen würde man dann tatsächlich vom Kern des Problems, das aufgedeckt werden soll, abweichen? Kann man mit zu vielen Fragen und Aufträgen ein solches Landtagsgremium in Arbeit ersticken lassen?
Geklagt hatten CDU und FDP, sie nehmen Bezug auf den derzeit laufenden Untersuchungsausschuss zur salafistischen Gefahr in Niedersachsen. CDU und FDP haben dieses Gremium verlangt, sie gehen dabei dem Vorwurf nach, Rot-Grün habe den islamistischen Terrorismus anfangs unterschätzt, die Arbeit von Verfassungsschutz und Polizei gegenüber Salafisten vernachlässigt und damit fahrlässig Probleme wachsen lassen. Das Messer-Attentat der damals 15-jährigen Safia S. vor rund einem Jahr auf einen Polizisten im Hauptbahnhof Hannover sei nur möglich gewesen, so die Vermutung der Opposition, weil die Sicherheitsbehörden nicht ausreichend vorbereitet gewesen sind. Und dies, so die weitere Vermutung, liege an fehlenden klaren politischen Vorgaben. Rot-Grün weist das zurück, räumt zwar Mängel ein, sieht diese aber im Polizeialltag und im erst allmählichen Wachsen der salafistischen Szene begründet.
Als CDU und FDP den Untersuchungsausschuss im vergangenen Jahr einberufen wollten, hatten SPD und Grüne den Auftrag dieses Gremiums kurzerhand erweitert. Nicht im Jahr 2013, das den Start der rot-grünen Regierung markiert, sondern schon im Jahr 2011 sollten die Nachforschungen ansetzen. Die offizielle Begründung lautete, dass 2011 der syrische Bürgerkrieg die Politik auch in Deutschland aufgerüttelt habe – und schon damals, also noch unter der Verantwortung der schwarz-gelben Landesregierung, Defizite in der Beobachtung der islamistischen Szene begangen worden seien. So gab es bereits Videos, die Safia S. als kleines Mädchen neben dem Hassprediger Pierre Vogel in Hannover zeigten – doch, so der Vorwurf von Rot-Grün, diese Hinweise hätten damals keine Folgen für die Polizeiarbeit gehabt.
Artikel 27 der Landesverfassung schreibt vor, dass der Auftrag eines Untersuchungsausschusses gegen den Willen der Antragsteller (das sind CDU und FDP) nur dann ausgedehnt werden darf, wenn der „Kern gewahrt bleibt“ und „keine wesentliche Verzögerung zu erwarten“ wäre. Hier fängt der Streit an. SPD und Grüne sagen, es gehe doch um die Arbeit der Sicherheitsorgane angesichts der islamistischen Gefahr – unabhängig von der Frage, ob es Innenminister Boris Pistorius (SPD) oder sein Amtsvorgänger Uwe Schünemann (CDU) betreffe. CDU und FDP entgegnen, es gehe gerade um die rot-grüne Sicherheitspolitik, die 2013 mit einer bewussten Kehrtwende (Schwächung des Verfassungsschutzes, keine Moscheekontrollen mehr) angetreten sei. Diese Kehrtwende und ihre Auswirkungen auf die praktische Polizeiarbeit seien doch der Kern der Untersuchungen.
Auch der Hinweis in der Verfassung, mit einem ausgeweiteten Untersuchungsauftrag dürften „keine wesentlichen Verzögerungen“ entstehen, ist in diesem Zusammenhang wichtig. Tatsächlich hat es in dem Ausschuss, der seit Mai tagt, ein langes Hin und Her gegeben. Akten wurden spät oder gar nicht vorgelegt, viele Zeugen erhielten nur sehr eingeschränkte Aussagegenehmigungen der Regierung, weil es um höchst vertrauliche Vorgänge geht, oft musste das Gremium nicht-öffentlich tagen. Diese Verzögerungen aber waren nicht darin begründet, dass nun 2011 statt 2013 der Startzeitpunkt der Nachforschungen ist, sondern sie hingen mit dem sensiblen Thema an sich zusammen. Öffentlich über Mängel in der Strategie der Polizei zu sprechen, birgt immer eine Gefahr – vor allem dann, wenn die salafistischen Gewalttaten keinesfalls als schon abgeschlossenes Kapitel der Geschichte bezeichnet werden können.
Dass der Salafismus-Untersuchungsausschuss so zäh wirkt und nur so langsam vorankommt, hat eben auch mit dem heiklen Gegenstand der Untersuchung zu tun – und das ist ein Thema, das in Bückeburg jetzt gar nicht zur Entscheidung ansteht. Die Fronten zwischen Rot-Grün hier und Schwarz-Gelb dort sind derzeit in der Innenpolitik extrem verhärtet, ein Umstand, der wohl auch mit der Charaktere der handelnden Personen zu tun hat. Es ist unwahrscheinlich, dass der heutige Richterspruch in Bückeburg daran viel ändern wird. (kw)Dieser Artikel erschien in Ausgabe #27.