Wie Ingenieurinnen gegen Benachteiligung kämpfen
Von Isabel Christian
Sie haben es nie gesagt, doch Lena Niederstuke weiß, dass ihre potenziellen Chefs es gedacht haben: Eine Frau kann doch keine elektrischen Leitungen verlegen, dazu ist sie nicht kräftig genug. Und außerdem, wenn wir eine Frau auf die Baustelle lassen, müssen wir da ja auch eine Frauentoilette hinstellen. „Es war schon abenteuerlich, weshalb meine Bewerbungen abgelehnt wurden“, sagt die heute 32-Jährige. Offiziell bekam sie selbstverständlich andere Antworten, doch über Bekannte erfuhr sie die wahren Gründe. Aber Niederstuke, damals 17 Jahre alt, ließ sich nicht entmutigen. Sie wollte Elektrikerin werden, um jeden Preis. Ihre Hartnäckigkeit sollte sich lohnen. Jetzt, 15 Jahre später, reist sie für das Unternehmen Wagner (Langenhagen) um die Welt, überwacht als Technische Leiterin des Bereichs Anlagenbau die Installation von Brandschutzanlagen in Neubauten und entwickelt mit ihrem Team neue Techniken, um Brände zu verhindern.
Auch ihre Kollegin Florence Daniault wurde damals skeptisch beäugt, als sie verkündete, Ingenieurin werden zu wollen. „Viele haben mir geraten, ich solle Lehrerin werden, das sei doch für eine Frau ideal“, sagt die heute 57-jährige gebürtige Französin. „Aber ich hatte keinen Draht zu Kindern, dafür zur Technik.“ Auch sie hat sich nicht beirren lassen und ihr Diplom am Institut für Regelungstechnik in Hannover gemacht. Heute ist sie bei Wagner die Schnittstelle zwischen der Geschäftsführung, dem Produktmanagement und der Entwicklungsabteilung. Sie kümmert sich um die Erstellung neuer Richtlinien im Brandschutzbereich, analysiert den Markt, legt Anforderungen an die Brandschutztechnik fest und kümmert sich um die Patentierung. „Der Job ist quasi über die Jahre für mich entwickelt worden.“
Frauen, die wie Niederstuke und Daniault in klassischen Männerdomänen arbeiten, sollen bald keine Seltenheit mehr sein. Massiv werben Hochschulen, Unternehmen und Politik seit einigen Jahren um das Interesse von Mädchen für Naturwissenschaften und Technik. Warum, ist offensichtlich: Immer weniger Kinder werden in Deutschland geboren, dadurch sinkt auch die Zahl der potenziellen Fachkräfte. Die Konkurrenz um die besten Köpfe verschärft sich, da dürfen Frauen auch in der Industrie nicht länger außen vor gelassen werden. Und manchmal sind sie sogar die bessere Wahl. Niederstuke bekam schließlich durch einen Freund die Chance, zu zeigen, was sie kann. „Sein Chef wollte meine Unterlagen schon beiseitelegen, da riet mein Bekannter ihm, mich doch wenigstens mal einzuladen“, erzählt sie. Sie durfte mit mehreren jungen Männern zwei Wochen zur Probe arbeiten – zum Schluss bekam sie den Ausbildungsplatz.
Das Interesse für Technik hatte sie allerdings schon immer. „Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen und habe meinem Vater viel lieber geholfen, Landmaschinen zu reparieren, als meiner Mutter bei der Hausarbeit“, sagt sie. „Klick gemacht“ habe es aber, als sie eines Nachmittags ihrem Vater half, Lampen im Wohnzimmer anzubringen. „Man drückt auf einen Schalter und dann geht das Licht an – das hat mich total fasziniert.“ Da wusste Niederstuke, dass sie Elektrikerin werden wollte. Sie machte die Ausbildung zur Fernmeldeanlagenelektronikerin, studierte Informations- und Kommunikationstechnik und verließ die Uni als einzige Frau ihres Jahrgangs mit einem Abschluss in diesem Fach. Auch bei Florence Daniault war ihr Vater der Grund für ihre Berufswahl: „Mein Vater war Ingenieur, und in Frankreich ist das ein sehr angesehener Beruf.“ Sie machte ein auf Naturwissenschaften ausgerichtetes Abitur, studierte in Frankreich und Hannover und kam schließlich über das Arbeitsamt zu Wagner. „Jetzt bin ich fast 35 Jahre bei Wagner und habe erlebt, wie das Unternehmen gewachsen ist. Das war eine sehr spannende Erfahrung.“
Mittlerweile erleben die beiden Frauen in ihrem Beruf kaum noch Diskriminierung. „Ich fühle mich nicht wie ein Exot, obwohl ich in vielen Gremien die einzige Frau bin“, sagt Daniault. Zu Anfang ihrer Karriere habe man sie noch in den Vertrieb bewegen wollen. Frauen redeten ja viel und gerne, deswegen seien sie im Vertrieb gut aufgehoben, habe sie öfter gehört. „Aber Vertrieb ist definitiv nichts für mich“. Über diesen Punkt der Auseinandersetzung ist Daniault auch längst hinweg. „Meine Kompetenz zweifelt niemand mehr an.“
Auch Niederstuke muss sich kaum noch erklären. „Letztens habe ich allerdings auf einer Baustelle in Australien den Projektleiter getroffen“, erzählt sie. „Wir kamen ins Gespräch und er fragte irgendwann, ob ich Studentin sei. Als ich ihn dann über meine Rolle als Leiterin des Anlagenbaus aufklärte, hat er sich mit hochrotem Kopf entschuldigt.“ Schiefe Blicke erntet sie dagegen im Privatleben. Denn während sie Vollzeit arbeitet und viel unterwegs ist, hat ihr Mann die Rolle des Hausmannes übernommen. Seitdem werde sie oft gefragt, warum sie ihn mitfinanziert. „Wäre die Rollenverteilung anders herum, würde das niemanden stören“, ist die Ingenieurin überzeugt.