Helfen Insekten gegen den drohenden „Eiweiß-Notstand“? Schon vor gut 15 Jahren machte sich in der Wissenschaft die Erkenntnis breit, dass bald zu wenig Eiweiß für die Versorgung einer wachsenden Weltbevölkerung vorhanden sein könnte. Beim Deutschen Institut für Lebensmitteltechnik (DIL) in Quakenbrück hat man daraufhin angefangen, nach alternativen Proteinquellen zu forschen. Neben Versuchen, bei denen Proteine aus Grünland gewonnen wurden, stand dabei auch Eiweißgewinn aus Insekten auf der Agenda. Über einen Zeitraum von zehn Jahren haben die Wissenschaftler im Nordwesten Niedersachsens eine Forschungsfarm entwickelt, mit der sie nun schließlich in der Lage sind, eine Tonne Eiweiß pro Tag zu gewinnen.

Was da im Cloppenburger Raum entwickelt wird, interessiert Forscher und Unternehmer aus der ganzen Welt. Gemeinsam mit dem Leibniz-Institut für Agrartechnik und Bioökonomie (ATB) hat das DIL im Mai eine Fachtagung zur Proteingewinnung aus Insekten veranstaltet. Rund 400 Interessierte „von allen Kontinenten“ seien zur „Insects-plus“ gereist, berichtet DIL-Chef Volker Heinz im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick. Sogar aus China waren Forscher und Entwickler gekommen, um Neues über die Trends in der Lebensmittelforschung zu lernen. Neben Vorträgen und Diskussionsrunden konnte sich das internationale Fachpublikum in einer Ausstellung über technische Systeme der Tierhaltung, die Fütterung von Insekten oder neuste Futtermitteltechnik informieren. Künftig soll dieser Austausch alle zwei Jahre fortgesetzt werden.
Obwohl ein gewisser Anteil der Weltbevölkerung Insekten isst, sieht Heinz für Insekten-basierte Lebensmittel in Europa nicht den boomenden Markt kommen. Insekten-Sticks oder Burger-Patties aus Schaben-Mehl steht also weniger auf dem Plan der Wissenschaftler. Im Wettbewerb könne sich die Eiweißproduktion aus Insekten hierzulande noch nicht behaupten, sagt Heinz. „Soja ist einfach zu billig. Der Preis für Insekten-Mehl liegt über dem von Soja-Mehl.“ Wo sich Insekten als Eiweiß-Ergänzung allerdings durchsetzen könnten, sei der gesamte Pet-Food-Sektor – also beigemischt zu Tiernahrung für Hund und Katze. „Sowohl getrocknet als auch im feuchten Zustand“ sei das möglich.

Mindestens deshalb sei der Insekten-Trend für ein Agrarland im Umbruch durchaus spannend: Während in Niedersachsen die Schweinehaltung rückläufig ist, könnte die Insektenzucht für einige Landwirte noch interessant werden, meint DIL-Chef Heinz. Aus dem Schweinestall wird dann vielleicht eine Zuchtstation für die „schwarze Soldatenfliege“. Ein dazu passendes Forschungsprojekt namens „ReproFly“ vom DIL-Forscher Jens Schröder erhielt deshalb kürzlich eine Zusage für mehr als 400.000 Euro aus einem EU-Fördertopf vom niedersächsischen Agrarministerium. In dem Projekt werde ein automatisierter Larvenreproduktionskreislauf der besagten „schwarzen Soldatenfliege“ entwickelt, um eine nachhaltige Larvenmast unabhängig von Lieferfirmen zu gewährleisten. Beim Transport ergeben sich wohl zu hohe Sterblichkeitsraten der Larven.
Jenseits dieser Nische ist derzeit allerdings wenig möglich. Für DIL-Chef Heinz ist das eine vertane Chance. Denn er denkt die Lebensmittelerzeugung im Kreislauf und sieht darin auch große Vorteile für eine nachhaltige Agrarwirtschaft. Insekten sieht er dabei als entscheidenden Baustein, der den aktuell noch unterbrochenen Fluss schließen könnte. Im Weg stehen dabei allerdings noch EU-Regulierungen, über die beim Insects-Kongress ebenfalls intensiv diskutiert wurde. Einige Spezies seien inzwischen zwar für den Verzehr zugelassen, berichtet Heinz. Bis auf wenige Ausnahmen seien aber für die Fütterung von Nutztieren bisher nur pflanzliche Futtermittel zugelassen. Dass ein Mastschwein, das später vom Menschen gegessen wird, vorher Insekten zu fressen kriegt, ist derzeit also noch nicht gewollt.
Noch wichtiger für das ökologische Potenzial ist für Heinz derweil die Frage, was die Insekten zu fressen kriegen. Ökologisch große Chancen erkennt der Lebensmitteltechniker in der Weiterverwertung von Schlachtabfällen oder gar Exkrementen. Damit könne man „das Problem am Ursprung packen“, sagt Heinz. Er meint damit, dass die Gülle, die in Regionen mit intensiver Nutztierhaltung ein Nährstoffproblem für die Umwelt darstellt, auf diese Weise direkt wieder in den Kreislauf eingespeist werden könnte. „Derzeit ist das ausgeschlossen“, stellt er klar. Es müsse noch mehr geforscht werden, etwa zu Krankheitserregern. „Die Regularien schränken uns ein, die Zirkularität zu maximieren.“

Um den Nachhaltigkeitsgedanken voranzutreiben, könnte es allerdings schon helfen, Lebensmittel-Rückläufer aus dem Supermarkt als Insektennahrung zu verwenden. Obstschalen oder alte Salate sind für den Menschen nicht verwertbar, ein Insekt könnte diese organischen Bestandteile aber verstoffwechseln und dabei innerhalb kürzester Zeit Eiweiß und Fett gewinnen. Der Vorteil der Insekten gegenüber anderen Nutztieren besteht in dem verkürzten Lebenszyklus. Während ein Schwein gut hundert und ein Huhn etwa 30 Tage lebt, braucht ein Fliegen-Ei nur sieben bis zehn Tage, damit es zur „schlachtreifen“ Larve geworden ist. Während das Denken in Kreisläufen in Deutschland noch nicht allzu weit verbreitet ist, sieht Heinz in Fernost viel größeren Bedarf. Für China sei es „ganz entscheidend“, den Eiweiß-Import sicherzustellen – auch in geopolitisch schwierigen Situationen. Für die wachsende Volksrepublik „macht es absolut Sinn, Eiweiß länger im System zu halten“.
Und für Niedersachsen? Heinz schätzt, dass es noch etwa zehn Jahre dauern werde, bis Tierfutter aus Insekten gemacht werden kann, die einmal Gülle gefressen haben. Dass daraus jemals Nahrung für Menschen wird, schließt er komplett aus.