Malte Stonis glaubt eigentlich nicht daran, dass die Industrie aus sich selbst heraus ein Interesse daran hat, nachhaltiger zu werden. Der Geschäftsführer des Instituts für Integrierte Produktion Hannover (IPH) blickt skeptisch, fast schon ein wenig zynisch auf die Wirtschaft. „Nachhaltigkeit ist da ein untergeordnetes Thema“, sagte er kürzlich vor Journalisten und fügte noch ein „leider“ hintenan. Stonis und seine Mitarbeiter am IPH erforschen und entwickeln unentwegt Methoden, die die Produktion deutlich umweltfreundlicher machen könnten, doch bei weitem wird nicht alles davon von der Wirtschaft auch angefragt.

„Theoretisch können die Unternehmen das einfach umsetzen, aber es kostet Zeit und Geld und die Unternehmen haben andere Sorgen.“ Doch diese Einstellung bedeutet nicht, dass Stonis gar nicht daran glaubt, dass eine nachhaltigere Industrie eine Zukunft hat. Er wendet es dann so: „In der Wirtschaft geht es um Effizienz, es geht darum, Kosten und Material zu sparen – und somit mittelbar dann eben doch um Nachhaltigkeit.“ In den Titeln der Forschungsprojekte am IPH stand deshalb bislang noch nie das Wort „Nachhaltigkeit“, sehr wohl aber „Effizienzsteigerung“.
Das neue Lieblingsprojekt des IPH-Geschäftsführers befindet sich im Erdgeschoss des Gebäudes im Wissenschaftspark Marienwerder: das neue 3D-Druck-Labor. Vor kurzem führte er die Anlagen im Kreis von Journalisten vor. Doch was hat 3D-Druck mit Nachhaltigkeit zu tun? Für Stonis ist diese Anlage das Paradebeispiel dafür, wie Kreislaufwirtschaft in ein paar Jahren aussehen kann. „Warum muss ich ein Produkt mehrfach um den ganzen Globus schicken, wenn ich alle Produktionsschritte auch vor Ort durchführen kann?“, fragte Stonis.

Im 3D-Druck-Labor des IPH stehen mehrere Maschinen, die zusammen eine Produktionskette ergeben. Zu Beginn muss der gewünschte Gegenstand, in diesem Beispiel ein defekter Kugelschreiber, zunächst gescannt werden. Dabei analysiert die Maschine sowohl die Materialien als auch die geometrischen Formen der einzelnen Bestandteile. Anschließend müssen die Einzelteile nach Material getrennt und dann geschreddert werden. Heraus kommt feines Granulat, das aufgeschmolzen und als feiner Faden auf eine Rolle aufgetragen werden kann. Aus diesem zurückgewonnenen Baustoff kann nun ein 3D-Drucker Schicht für Schicht einen neuen Gegenstand herstellen.
„Die Anlage ist relativ klein“, erläuterte Stonis, er wolle damit aber zeigen, was möglich ist, und einen Impuls setzen. Der Kugelschreiber ist dabei nur ein Beispiel, ein unrealistisches zudem, weil sich dieser in großer Stückzahl immer billiger produzieren ließe. Aber für Einzelteile, für spezielle Ersatzteile etwa, ist der 3D-Druck schon heute eine sinnvolle Alternative. Stonis ist davon überzeugt, dass der 3D-Drucker in Zukunft zu vielen Haushalten genauso dazugehören wird, wie heute die Mikrowelle.

Wie die Mikrowelle in die deutsche Küche, gehört inzwischen auch das Windrad in die niedersächsische Landschaft. Doch große Veränderungen stehen bevor, auch diese haben etwas mit Nachhaltigkeit zu tun. Knapp 30.000 Windkraftanlagen stehen derzeit in Deutschland. Aber knapp die Hälfte davon fällt in den kommenden zehn Jahren aus der EEG-Förderung. Es droht eine Rückbauwelle von knapp 13.000 Anlagen, prognostizierte Philipp Harder, Nachwuchswissenschaftler am IPH. Dort forscht man deshalb seit mehreren Jahren auch schon intensiv zu Aus-, Rück- und Neubau der Windkraftanlagen. Harder hat sich dabei mit einer sogenannten End-of-Life-Analyse beschäftigt. Welche Zukunft haben diese Windräder? Harder entwickelt dazu gerade einen Software-Simulator, der dabei helfen soll, die am besten geeignete Nachnutzung zu empfehlen. Vier Optionen stehen dabei im Raum: Nachrüsten, Repowering, Weiterbetrieb oder Recycling. Der Simulator soll dabei die rechtlichen Vorgaben, die technischen Voraussetzungen und logistische Aspekte unter einen Hut bringen.

Bei der Suche nach einem geeigneten Standort für einen neuen Windpark will das Startup Nefino, eine IPH-Ausgründung, behilflich sein. Gründer Andre Koukal wirbt dafür, mehr und bessere Geo-Daten einzusetzen, um die Energiewende zum Erfolg zu bringen. Was Nefino macht, ist schlicht gesagt nichts weiter als jede Menge Informationen miteinander zu verknüpfen. So beginnt man mit einer blanken Deutschlandkarte, von der nach und nach mehr Flächen abgezogen werden: Wohnbebauung, Verkehrswege, Stromtrassen, Radarsysteme, Luftfahrttechnik, Wasser- und Naturschutzgebiete. Die verfügbare Fläche wird so schon sichtbar kleiner, kritisch und vor allem auch politisch relevant wird es aber bei anderen Punkten – etwa bei der Frage, ob Waldflächen auch kategorisch ausgeschlossen werden sollten, die groß die Abstände zur Wohnbebauung sein sollen oder ob jedes Brutgebiet des Rotmilans ausgenommen werden muss.

Für Niedersachsen gibt die Nefino-Anwendung eine Potenzialfläche von rund 19 Prozent der Landesfläche aus. Für Bayern kommt das Startup zunächst auf 10 Prozent, muss diese Zahl aber auf ein Prozent runter korrigieren, weil man sich in dem Freistaat für sehr viel höhere Abstände zur Wohnbebauung entschieden hat. Henrik Wielert, Nefino-Mitgründer, hält das 2-Prozent-Ziel für Windkraft für „absolut realistisch“ – „es sind nur die regulatorischen Rahmenbedingungen“, die Hemmnisse aufbauen. Aber was ist mit den Protesten vor Ort, die häufig zu starken Verzögerungen bei der Genehmigung führen? Für die Nefino-Gründer wäre denkbar, mithilfe von Künstlicher Intelligenz zusätzlich zu den Geo-Daten auch noch sozioökonomische Informationen in die Bewertung mit einfließen zu lassen. Dann könnten Projektierer für ihre Windparks gleich Standorte aussuchen, an denen weniger Protest zu erwarten wäre. Zukunftsmusik? Mal abwarten.
Szenenwechsel. Knapp 60 Kilometer vom Wissenschaftspark Marienwerder entfernt, im Landkreis Hameln, befindet sich ein wahres Juwel der niedersächsischen Industrieforschung: das Institut für Solarenergieforschung (ISFH). Wie das IPH gehört auch das ISFH der Zuse-Gemeinschaft an, einem Zusammenschluss gemeinwohlorientierter mittelständischer Forschungseinrichtungen. Der ISFH-Leiter Prof. Rolf Brendel möchte mit seinem Team die Solarwirtschaft zurück nach Europa holen und eine von China unabhängige Solarindustrie etablieren. Das Problem: „Man braucht jemanden, der das Risiko zu tragen bereit ist, weil derzeit brutal billig in Asien produziert wird.“

Vier asiatische Hersteller von Solarzellen unterbieten sich regelmäßig und haben damit den hiesigen Markt kaputtgemacht. Für Prof. Brendel ist klar, dass hier nur der wissenschaftliche Vorsprung etwas an der derzeitigen Dynamik wird ändern können. „Wir betreiben hier Forschung, um die ins Unwetter geratene Photovoltaik-Industrie wieder nach vorne zu bringen“, sagte er kürzlich vor Journalisten.
Doch die Konkurrenz schläft nicht und schaut ganz genau, was da auf dem Hamelner Ohrberg entwickelt wird. Deshalb darf man als Journalist bei einer Führung durch die Forschungsanlagen auch keine Fotografien anfertigen – alles streng geheim. Nur so viel kann man verraten: Die Solarzellen, die da derzeit in Niedersachsen entwickelt und für die Marktreife vorbereitet werden sollen, sollen deutlich effizienter sein als bisher. Mit neuen Verfahren sollen sogenannte Tandem-Solarzellen hergestellt werden, die in der Lage sein sollen, ein Vielfaches an Energie aus den Sonnenstrahlen zu gewinnen. Auch am ISFH verbirgt sich die Nachhaltigkeit also hinter der Effizienzsteigerung.