14. Jan. 2022 · Wirtschaft

Wie erreicht Deutschland die Klimaziele? BDI-Studie gibt Antworten

Wie wird das (weitgehend) klimaneutrale Deutschland 2045 aussehen? Eine Studie im Auftrag des BDI gibt Antworten. | Foto: BCG

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) gehört zu den einflussreichsten Lobbyverbänden der Republik. Doch mit seiner Forderung nach einem „Klima-Aufbruch“ in Deutschland hat der Spitzenverband, der rund 100.000 Unternehmen vertritt, bislang nicht die erhoffte Wirkung erzielt. Dabei hat der BDI zusammen mit dem international renommierten „Think Tank“ Boston Consulting Group (BCG) ein durchaus bemerkenswertes Wirtschaftsprogramm für Klima und Zukunft vorgelegt – mit zahlreichen Handlungsvorschlägen, wie der klimaneutrale Umbau der Wirtschaft gelingen kann. Doch der Veröffentlichungszeitpunkt der Studie „Klimapfade 2.0“ im November 2021, nur wenige Wochen nach der Regierungsbildung und mitten in der vierten Corona-Welle, hat sich im Nachhinein als ungünstig herausgestellt. Nun startet der BDI eine Eventreihe mit mehreren „Webtalks“, um seiner Agenda mehr Auftrieb verschaffen. Hier sind die wichtigsten Fragen und Antworten zur BDI-Studie, an der 150 Experten aus 80 Verbänden und Unternehmen rund sechs Monate lang gearbeitet haben:

Wie erreichbar sind die Klimaziele?

BCG-Managing-Director Patrick Herhold. | Foto: BCG

„Wir müssen bis 2030 gemessen zu heute die Emissionen halbieren. Mit den bisherigen Instrumenten schaffen wir allerdings nur einen Teil des Weges“, sagt Klima- und Wirtschaftsexperte Patrick Herhold, der bei der BCG als Managing Director und Partner tätig ist. Mit der aktuellen Klimapolitik werde Deutschland zwar etwa 184 Millionen Tonnen an jährlichen CO2-Emmissionen einsparen, doch das sei gerade mal halb so viel wie nötig. „Es verbleibt eine signifikante Lücke von 188 Millionen Tonnen CO2“, mahnt der Co-Autor der Studie. In keinem Sektor seien die aktuellen Instrumente auch nur annähernd ausreichend, um die vorgegebenen Klimaziele zu erreichen. Die Politik müsse jetzt „entschlossen und zügig“ handeln, fordert auch BDI-Präsident Siegfried Russwurm. Das Ziel der Treibhausneutralität bis 2045 sei „extrem ambitioniert“. Russwurm: „Uns läuft die Zeit davon; politische Grundsatzentscheidungen zur Umsetzung der Klimaziele sind überfällig. Deutschland braucht jetzt einen großen Aufbruch mit einem historischen und schnellen Wirtschaftsprogramm für die Zukunft des Standortes.“

Was kostet der Umbau zur klimafreundlichen Industrienation?

Die notwendigen Mehrausgaben für den erforderlichen Umbau der Wirtschaft beziffert Herhold auf schätzungsweise 860 Milliarden Euro. Fast die Hälfte der Summe (415 Milliarden Euro) müsse in den Energiesektor investiert werden. Dahinter kommen die Bereiche Verkehr (220 Milliarden), Gebäude (175 Milliarden) und Industrie (50 Milliarden). Herhold: „Ich persönlich glaube, dass die Transformation nicht an einer finanziellen Frage scheitern wird. Die tatsächliche Herausforderung ist, das praktisch ab sofort innerhalb sehr, sehr kurzer Zeit Millionen von Bürgern und Zehntausende von Unternehmen andere Investitionsentscheidungen treffen müssen. Und dies zu koordinieren und dafür die richtigen Anreize zu setzen, ist eine enorme Herausforderung, die wir so bisher in der Bundesrepublik nicht gesehen haben.“ BCG-Klimaexperte Jens Buchhardt verweist darauf, dass das finanzielle Ausmaß der Transformation nicht ohne Beispiel ist. „Gemessen am deutschen Bruttoinlandsprodukt liegen die notwendigen staatlichen Ausgaben für Klimaschutz zum Beispiel knapp bei der Hälfte des Aufbaus Ost“, sagt Burchardt.

Woran könnten die Bemühungen scheitern?

„Deutschland ist aktuell weder regulatorisch noch gesellschaftlich auf die enorme Geschwindigkeit der Transformation vorbereitet, die nun vor uns liegt“, sagt Herhold. Er und seine Co-Autoren sehen die größte Hürde in der Bürokratie. „Planungs- und Genehmigungsverfahren haben sich zu einem massiven Investitionshemmnis entwickelt“, heißt es in der Studie. Die Verfahrensdauer habe sich fast verdoppelt, bei einer gleichzeitigen Verschlechterung der Personalsituation in den Genehmigungs- und Fachbehörden. Deswegen müsse jetzt eine Reform der Verwaltungs- und Rechtsschutzverfahren her. Auf nationaler Ebene müssten alle Spielräume zur Vereinfachung von Verfahren genutzt werden. „Es muss möglich sein, Unterlagen zu Detailplanungen in Verfahren später einzureichen und auch von der Möglichkeit des „vorzeitigen Baubeginns“ früher und umfangreicher Gebrauch zu machen“, fordern die Experten. Die umfassende Digitalisierung der Verwaltung müsse beschleunigt werden – idealerweise bei Einführung einer bundeseinheitlichen Software. Zudem dürften auf europäischer Ebene keine neuen Hindernisse geschaffen werden.

Wie kann die Industrie klimaneutral werden?

Grafik: GettyImages/Peter Varga

Die deutsche Industrie muss ihre Emissionen bis 2030 um 65 Prozent senken. „Erhebliche CO2-Mengen können durch Technologiewechsel eingespart werden“, versichern die Studienautoren. Einige Technologien würde bereits zur Verfügung stehen, andere stünden kurz vor der Marktreife. Eine besondere Rolle spiele dabei der sogenannte grüne Wasserstoff, der CO2-neutral hergestellt wird. „Vor allem in der Chemieindustrie, aber auch in der heutigen Mineralölindustrie, stellt außerdem das Schließen von Stoffkreisläufen (Circular Economy) eine zentrale Strategie dar“, heißt es weiter. Deutschland könne dabei sogar Technologieführer bei CO2-armen Schlüsseltechnologie werden. Voraussetzung dafür: „Die klimaneutrale Industrie muss als Vorzeigeprojekt konzipiert werden, das heißt Industrien in anderen Staaten müssen ebenfalls zur Transformation animiert, um nicht zu sagen dafür 'begeistert' werden.“ Ohne staatliche Unterstützung könne die schnelle Einführung neuer Produktionsverfahren allerdings nicht gelingen, da die Unternehmen neue Investitionen tätigen und gleichzeitig höhere Betriebskosten bewältigen müssen. Als wichtigstes Instrument werden hier Strompreisentlastungen und Klimaschutzverträge genannt, bei denen Projekte zur Emissionsminderung staatlich gefördert werden.

Der erste deutsche Offshore-Windpark namens Alpha Ventus ging 2010 ans Netz. Bis 2045 sollen noch viele, viele Windfarmen hinzukommen. | Foto: Doti/Matthias Ibeler

Wird es genug klimaneutralen Strom geben?

Wenn es nach dem BDI-Chef geht, gehört grüne Energie ganz oben auf den Einkaufszettel der neuen Bundesregierung. „Deutschland wird ein Energieimportland bleiben. Da kommt es darauf an, jetzt mit Exportländern zu reden und Kontingente zu sichern“, sagt Russwurm. Zudem empfiehlt die Studie den bisher geplanten Zubau von erneuerbaren Energien zu verdoppeln. Denn trotz aller Effizenzgewinne geht man davon aus, dass die Stromnachfrage in Deutschland um 42 Prozent steigen wird. „Grünstrom zu wettbewerbsfähigen Preisen der Schlüssel zur Erreichung der Klimaschutzziele“, lautet die Kernaussage. Zudem müsse die EEG-Vergütung umgestellt werden. Die Studienautoren fordern, dass bei Strommarktpreisen, die oberhalb des bezuschlagten Gebotspreises liegen, die Anlagenbetreiber auch Rückzahlungen an das EEG-Konto leisten müssen. Zur Wahrung der Versorgungssicherheit schlägt die Studie den Nettozubau von Gaskraftwerken mit 43 Gigawatt bis 2030 vor. Weil es sich dabei um einen Zubau von „nicht da gewesener Größenordnung“ handelt, sei die Einrichtung eines zentralen Kapazitätsmarkts hilfreich. Weiterhin müssten die Stromnetze weiter digitalisiert werden, um die Stromflüsse besser steuern zu können. Damit genug Photovoltaik- und Windkraftwerke entstehen können, raten die Klimaexperten zur Einführung einer Flächenquote. Gemeinden könnten etwa dazu verpflichtet werden, zwei Prozent ihrer Fläche für erneuerbare Energien ausweisen zu müssen.

E-Autos und Ladestationen sind in Deutschland noch selten zu finden. Bis 2030 muss sich das ändern. | Foto: Link

Wie gelingt der Umstieg zur Elektromobilität?

Im Verkehrssektor müssen die Emissionen um fast die Hälfte gekürzt werden. Als wichtigste Maßnahmen nennt die Studie hier die erhöhte Beimischung von grünen Kraftstoffen, den verstärkten Wechsel auf die Schiene und den Umstieg auf Elektromobilität. „Zentrale Instrumente für den beschleunigten Antriebswechsel bei Pkw bleiben daher Kaufanreize über eine Kaufprämie oder über die Kraftfahrzeug- und Dienstwagensteuer, die nach 2025 sukzessive reduziert werden und perspektivisch auslaufen müssen“, heißt es. Sollte es nicht gelingen, bis 2030 den Bestand der batterielektrische Fahrzeuge (BEV) auf 14 Millionen Fahrzeuge zu steigern, müssten die Beimischungsquoten für CO2-neutrale Kraftstoffe schneller steigen. Bis 2030 sollen 22 Prozent des Treibstoffs aus eFuels, Wasserstoff oder Biokraftstoffen bestehen. Sollte der Umstieg aufs E-Auto schneller gelingen, könne der Treibstoff verstärkt im Luft- und Seeverkehr zum Einsatz kommen. BEV stehen für die Klimaexperten zwar im Fokus, Plug-in-Hybride sowie Brennstoffzellenfahrzeuge sollten aber auch in die Mobilitätsstrategie der Zukunft einbezogen werden. Beim Lastwagenverkehr plädieren die Studienautoren für Technologieoffenheit. Um die Spediteure zur Umrüstung ihrer Fahrzeugflotten zu bewegen, könnten über die Lastwagen-Maute wichtige Anreize geschaffen werden.

Wie schnell müssen Gebäude saniert werden?

Im Schnitt muss der Energieverbrauch aller Bestandgebäude in Deutschland um die Hälfte reduziert werden. Damit das gelingt, sind laut Studie umfassende Ertüchtigungen an Gebäudehülle (Dach, Fenster und Fassade), Optimierungen des Gebäudebetriebs sowie flächendeckende Erneuerungen der Heizgeräte erforderlich. „Die Technologien zum Erreichen des Ziels 'klimaneutraler Gebäudebestand bis 2045' sind verfügbar“, heißt es. Bis 2030 müssten pro Jahr 1,9 Prozent aller Häuser saniert werden, danach müsse die Sanierungsquote auf 2,1 Prozent steigen. Als Sanierungsziel nennt die Studie einen Raumwärme- und Warmwasserbedarf von 70 Kilowattstunden pro Jahr und Quadratmeter. Um die Hauseigentümer zur Sanierung zu motivieren, schlägt die Studie höhere Fördersätze für Maßnahmen an der Gebäudehülle vor. Bei Miethäusern sollte es künftig möglich sein, die Kosten wichtiger Instandssetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen noch im Jahr der Entstehung steuerlich berücksichtigen zu können – auch wenn sie 15 Prozent der Anschaffungskosten des Gebäudes übersteigen. „Neubauten sollten mit lokal vollständig CO2-neutralen Wärmelösungen, zum Beispiel Fernwärme, ausgerüstet werden müssen“, schreiben die Klimaexperten. Der heute bestehende Neubaustandard sollte jedoch nicht weiter angehoben werden, „um die Bezahlbarkeit des Bauens nicht unnötig zu erschweren“.

Wie geht es mit der Studie nun weiter?

Der BDI feilt auch weiterhin an seinem Zukunftsprogramm. Dabei sollen die Vorschläge, die beim vierten BDI-Klimakongress erarbeitet wurden, weiterhin vertieft und ausgearbeitet werden. Eine Veranstaltungsreihe dazu startet am Donnerstag, 13. Januar, mit einem Webtalk zum Fokusfeld „Energiesystem“. Weitere Online-Veranstaltungen sind am 27. Januar zum Thema „Verkehr“ und am 10. Februar mit dem Fokus „Industrie“ geplant. Weitere Informationen zur Veranstaltungsreihe und zur Klimastudie gibt es online unter www.bdi.eu.

Dieser Artikel erschien in Ausgabe #005.
Christian Wilhelm Link
AutorChristian Wilhelm Link

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