Seit bald 30 Jahren wird der Wald in Niedersachsen sukzessive umgebaut. Das Ziel ist es, grob gesagt, die Wälder besser zu durchmischen und vor allem mehr Laubbäume in die Nadelwälder zu bekommen. Dadurch würde das Risiko verringert, dass direkt ganze Landstriche betroffen sind, wenn sich ein bestimmter Baumschädling einmal ausbreitet. Dass nun rund 20.000 Hektar, also etwa anderthalb Prozent der Waldfläche, durch Wetterextreme und den Borkenkäfer zerstört wurden, beschleunigt diesen Umbauprozess zusätzlich.

Reine Fichtenwälder leiden zurzeit besonders, deshalb gehören sie der Vergangenheit an. – Foto: nkw

„Die Aufforstung der großen Waldbestände, die beschädigt oder zerstört sind, wird unsere gemeinsame Aufgabe sein“, versicherte Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) gestern bei einer gemeinsamen Veranstaltung vom Bund Deutscher Forstleute und der Gewerkschaft IG Bau in Wolfsburg. Ende September hatte Bundesforstministerin Julia Klöckner (CDU) Niedersachsen für den Zeitraum 2020 bis 2023 jährlich 17,24 Millionen Euro zur Bewältigung dieser Aufgabe in Aussicht gestellt, sofern das Land jährlich 11,49 Millionen Euro beisteuert. Es sei weniger die Frage ob, sondern wie Niedersachsen diese Co-Finanzierung leisten werde, erklärte dazu gestern eine Sprecherin der Landesregierung.


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Doch jetzt drängt sich mehr noch als zuvor die Frage auf, wie denn der Wald der Zukunft genau aussehen sollte. Welche Baumarten sind für die klimatischen Bedingungen in Niedersachsen am Ende des Jahrhunderts geeignet? Dass sich das Klima verändert, ist keine Frage mehr – doch über die Geschwindigkeit des Temperaturanstiegs ist man sich auch in der Wissenschaft nicht einig. Die Szenarien zum Klimawandel sehen mitunter sehr verschieden aus. Die Nordwestdeutsche Forstliche Versuchsanstalt in Göttingen versucht dennoch, mit wissenschaftlichen Erkenntnissen dem Waldumbau eine solide Grundlage zu geben. Wie stellen sie das an?

Schon seit 2017 gibt es klimaangepasste Aufforstungspläne

Die Wissenschaftler der Forstlichen Versuchsanstalt haben bereits 2017 eine Studie zur „klimaangepassten Baumartenwahl“ im Zuge der Fortsetzung des „Löwe“-Programms der Landesregierung vorgestellt. „Löwe“ ist die Bezeichnung für das Landesprogramm zur langfristigen ökologischen Waldentwicklung in den Niedersächsischen Landesforsten, das erstmals 1991 beschlossen und 2017 mit „Löwe+“ neu aufgelegt wurde.

In dieser Studie haben die Wissenschaftler ganz Niedersachsen – vom Solling bis zum Küstenraum – in acht unterschiedliche Waldbauregionen untergliedert. In jeder Waldbauregion haben die Forscher zudem noch zwei bis fünf verschiedene Wuchsbezirke identifiziert. Unter ökologischen, aber auch ökonomischen Aspekten haben die Wissenschaftler der Forstlichen Versuchsanstalt dann bestimmt, wie sich der Anteil der verschiedenen Baumarten von 2015 bis 2055 entwickeln sollte.

Im niedersächsischen Harz etwa (ohne den Nationalpark) solle demnach der Anteil der Laubbäume von 27 auf 48 Prozent gesteigert werden. Dazu müsste dann vor allem der Fichten-Anteil stark reduziert werden, nämlich von 70 Prozent im Jahr 2015 auf 44 Prozent im Jahr 2055. Zum Ausgleich soll der Anteil der Douglasie, die auch ein wirtschaftlich ertragreicher Nadelbaum ist, dabei leicht erhöht werden. Verstärkt aber sollten Buchen angepflanzt werden (der Anteil soll von 22 auf 36 Prozent steigen), sowie andere Laubbäume wie die Sommerlinde, die Esche oder auch die Birke. So gehen die Wissenschaftler alle acht Waldbauregionen durch und legen einen Fahrplan für den Umbau fest.

Neues Raster ermöglicht detaillierte Planungen

Diese Studie war zwar schon ziemlich konkret. Kürzlich habe die Forstlichen Versuchsanstalt diese Karten im Auftrag des Landes aber noch einmal „verfeinert“, wie der Leiter der Forschungsanstalt, Prof. Hermann Spellmann, im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick erläuterte. Man habe nun über das Gebiet der Landesforsten, also rund ein Drittel des Waldes in Niedersachsen, ein Raster gelegt und für jedes Feld genau ermittelt, wie dort der Wald im Jahr 2070 aussehen sollte.

Dazu haben die Wissenschaftler ein Bodenprofil für die nur fünfzig mal fünfzig Meter großen Landschaftsquadrate erstellt und die sogenannte klimatische Wasserbilanz für die Vegetationszeit zwischen März und November errechnet. Die Wasserbilanz ergibt sich, wenn man von der Niederschlagsmenge die Menge Wasser wieder abzieht, die aufgrund der Witterung wieder verdunsten wird. Daraus leiten die Wissenschaftler ein sogenanntes Trockenstressrisiko ab, das ihnen wiederum Auskunft darüber gibt, welchen Baumarten der Wasseranteil im Boden des jeweiligen Standorts ausreichen würde. Jeder Parzelle können die Forst-Forscher dann eine von rund 40 verschiedenen sogenannten Waldentwicklungstypen zuordnen, also Kombinationen von verschiedenen Baumarten, die gut für den Standort wären.

Klima-Modell prophezeit Temperaturanstieg um 4 Grad Celsius

Die Wissenschaftler haben dabei „im Sinne der Risikovorsorge“ ein pessimistisches Klimaszenario zur Grundlage genommen, erklärt Prof. Spellmann. „Wenn ich heute einen Baum pflanze, dann steht der da 100 bis 200 Jahre.“ Deshalb gehen die Forscher lieber davon aus, dass sich das Klima noch rasanter verändern wird, als es etwa die Weltgemeinschaft erwartet. Im Pariser Klimaschutzabkommen ist von einem Temperaturanstieg von maximal 2 Grad Celsius bis zum Ende des Jahrhunderts die Rede. Die Wissenschaftler aus Göttingen legen ihren Untersuchungen ein Klima-Modell zugrunde, das von einem Anstieg der Temperatur um 3,5 bis 4 Grad Celsius ausgeht.

Auch Privatwald wird bald unterstützt

Anders als bei der 2017er-Studie zur klimaangepassten Baumartenwahl beschränkt sich die jüngste Raster-Planung allein auf das Gebiet der Landesforsten. Mehr als die Hälfte des Waldes in Niedersachsen gehört aber den rund 60.000 Privatwaldbesitzern. Auch diese wüssten natürlich gerne, welche Baumart auf ihrem Flecken Land eine Zukunft hat. Doch dafür fehlen noch Daten. Für rund 285.000 Hektar gebe es noch keine Standortkartierung, sagt Prof. Spellmann.


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Das Landesagrarministerium hat nun Geld eingeplant, damit die Versuchsanstalt in Göttingen das Raster auch auf den Kommunal- und Privatwald ausdehnen kann. Im Haushaltsplanentwurf für 2020 sind dafür 150.000 Euro vorgesehen. Doch mit der Weiterentwicklung der Standortkartierung rechne man erst im Jahr 2021, heißt es aus dem Agrarministerium. Weil noch so viel Kartenmaterial fehle, müssen noch Zwischenschritte vorgenommen werden. Die Zeit dränge aber, sagt Prof. Spellmann. Denn das Tempo, in dem sich das Klima ändert, sei zu hoch, um den Wald einfach machen zu lassen.

Von Niklas Kleinwächter