Wie die Stadt Hannover es wieder schafft, den Ruf einer wenig transparenten Behörde zu festigen
Seit ein paar Tagen steht ein schwerer Vorwurf im Raum: Bei der Zahlung von Zulagen an die rund 8500 Mitarbeiter der hannoverschen Stadtverwaltung soll es seit vier Jahren nicht mit rechten Dingen zugehen. Das Rechnungsprüfungsamt (RPA), eine interne Prüfbehörde im Rathaus, hatte das Ende Mai in eine vertrauliche „Informationsdrucksache“ geschrieben, die an die Mitglieder des Finanzausschusses im Stadtparlament verteilt werden sollte.
Die Leistungsprämie sei „nach Volumen und Rechtsgrundlage unrechtmäßig“, heißt es dort sehr deutlich. Empfohlen werde „gegebenenfalls eine disziplinarrechtliche Ahndung“ derer, die dafür verantwortlich sind. Es geht darum, dass die Leistungsprämie seit 2015 pauschal an alle Mitarbeiter gleich ohne Leistungsprüfung ausgezahlt wird – und das widerspricht sowohl dem Sinn dieser Prämie als auch den Vorgaben des bundesweit gültigen Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD).
Das brisante Papier des RPA sickerte an die Öffentlichkeit, der Rundblick zitierte in unserer gestrigen Ausgabe auch daraus. Aber was geschieht seither im Rathaus? Man gewinnt den Eindruck, das Thema soll dort heruntergespielt werden.
Als die Personaldezernentin Rita Maria Rzyski am Mittwoch erst vor der Presse und dann im zuständigen Ausschuss das Ergebnis einer vor Monaten angeschobenen „Überprüfung der Zulagenpraxis“ präsentierte, legte sie zunächst sehr lang und breit die verschiedenen Untersuchungen zu den unterschiedlichsten Zulagen vor. Erst nach 15 Minuten kam sie dann zum Kern der Kritik, zu den Vorhaltungen des RPA. Ganz beiläufig, als wäre es nicht weiter wichtig, erläuterte die Dezernentin dann, dass die „Informationsdrucksache“ mit dem brisanten Inhalt inzwischen abgeändert worden sei.
Die Fassung, die auch dem Rundblick vorliegt, sei „nur eine Skizze“ gewesen, gefehlt habe „eine Abstimmung mit der Verwaltung“, inzwischen habe man eine endgültige Formulierung gefunden. „Das hat das RPA selbst entschieden“, meint Rzyski. Wie diese neue Fassung nun im Wortlaut abgefasst ist, verschweigt die Stadtverwaltung. Welche Vereinbarung dem Ende Mai vom RPA geäußerten Vorwurf zugrunde liegt, offenbart die Dezernentin erst nach mehrmaligen Nachfragen. Eine scharfe Rüge vom RPA, die am Ende wieder einkassiert wird, nachdem der ganze Vorgang öffentlich wurde? Das spricht nicht für einen souveränen und der Offenheit verpflichteten Umgang mit schweren Fehlern. Einmal mehr wirkt das Rathaus in Hannover so, als solle hier etwas unter den Teppich gekehrt werden.
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Was war geschehen? 2005 verständigten sich in Deutschland die Kommunen und die Gewerkschaften in ihrem Tarifvertrag darauf, ein System von „leistungsbezogener Bezahlung“ einzuführen. Im gleichen Jahr fanden in Hannover die Stadtverwaltung und der Personalrat zu einem entsprechenden Tarifvertrag. Die Grundidee war so: Die 2 Prozent der Lohnsumme, die bundesweit für Leistungsprämien reserviert waren, sollten gekürzt werden auf 1,25 Prozent, der Rest wird einbehalten – aber gleichzeitig werden die Auszubildenden übernommen und für fünf Jahre werden betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen.
Diesen Tarifvertrag, der vom Rat auch beschlossen wurde, ist 2010 und 2015 erneuert worden. Er ist auch, wie inzwischen feststeht, rechtlich einwandfrei. Denn in den zwischen Stadtverwaltung und Personalrat ausgehandelten drei Tarifverträgen (2010 war der heutige OB-Kandidat Marc Hansmann federführend, 2015 war es Personalchef Härke) wurde die Vorgabe des TVöD nicht gebrochen. Es wurde nur jeweils festgelegt, dass die Gesamtsumme für die Leistungsprämien etwas geschmälert wird.
Dienstvereinbarung regelte ab 2015 einheitliche Prämien
Der folgenschwere Eingriff, der das Prinzip der Leistungsprämien an sich in Frage stellt, geschah am 23. Oktober 2015, als zu diesem Tarifvertrag noch eine „Dienstvereinbarung“ zwischen Stadtverwaltung und Gesamtpersonalrat (GPR) abgeschlossen wurde – unterschrieben wurde sie vom damaligen Personaldezernenten Harald Härke und von der GPR-Vorsitzenden Karin Gödecke. In diesem Papier steht, dass alle Mitarbeiter der Verwaltung einen „einheitlichen Festbetrag als Prämie“ erhalten sollen, die Höhe werde jährlich neu festgelegt. Dies war ein Tabubruch. Oberbürgermeister war damals Stefan Schostok, Finanzdezernent war Hansmann.
Ob beide in die Vorbereitungen eingebunden waren, ist nicht bekannt. Allerdings hätten die Fachleute im Rathaus schon sensibilisiert sein müssen. Dass nämlich die Leistungsprämie nicht einfach auf alle Mitarbeiter gleichmäßig verteilt werden darf, sondern wenigstens ansatzweise eine Leistungsprüfung erfordert, war schon drei Jahre vorher ein großes Thema der Landespolitik. Damals hatte es – wenn auch unter anderen Umständen – ähnliche Vorwürfe in mehr als 40 anderen Stadt- und Kreisverwaltungen gegeben, kurzzeitig drohte sogar ein Prozess gegen den heutigen Innenminister Boris Pistorius.
Dass auch Hannover ein Problem an dieser Stelle hat, wurde in dieser Woche eher zufällig bekannt – nämlich in dem Augenblick, als die Informationsdrucksache des RPA öffentlich wurde. Verfasst wurde dies Papier bereits Ende Mai, jetzt sind knapp drei Monate vergangen – ohne dass in der Zwischenzeit Konsequenzen gezogen worden wären.
Man darf der Stadtverwaltung in Hannover keine böse Absicht unterstellen, aber einige Merkwürdigkeiten fallen schon auf: Zum einen heißt es, das RPA habe seine zunächst drastisch klingende Darstellung inzwischen „aus eigenem Antrieb“ abgeschwächt. „Das Amt ist unabhängig“, betont Rzyski. Ist das wirklich so?
In der Pressekonferenz spricht die Dezernentin dann von „unterschiedlichen Rechtsauffassungen“. So vertrete der Gesamtpersonalrat die Position, die alte Dienstvereinbarung von 2015 habe den Charakter eines eigenen Tarifvertrages und wiege schwerer als der TVöD. Diese Position dürfte am Ende schwer haltbar sein, zumal die hannöversche Praxis seit 2005 im klaren Widerspruch zu der Absicht der Leistungsprämien steht.
Erst auf beharrliche Nachfragen in der Pressekonferenz räumt Rzyski das auch ein. Denn die RPA-Kritik muss in der Rathausspitze als so schwerwiegend angesehen worden sein, dass die alte Dienstvereinbarung „ausgesetzt“ wurde und eine neue verhandelt werden soll. Wann genau geschah das, wird Rzyski gefragt. Sie könne sich nicht erinnern, sagt sie. Versucht die Dezernentin also, die Bedeutung dieses Falles herunterzuspielen?
Der inzwischen in den Ruhestand versetzte OB Stefan Schostok musste zum Ende seiner Amtszeit mit dem Vorwurf leben, er informiere nur halbherzig, rede Probleme klein, weiche aus und biete das Gegenteil von dem, was eine transparente Verwaltung auszeichne. Derzeit erlebt die Landeshauptstadt eine Zwischenperiode, bis der neue OB Ende Oktober gewählt wird. In dieser Phase werden nun neue Versäumnisse und Fehlern offenkundig, und das Rathaus reagiert ganz so, wie es noch aus der Amtszeit von Schostok bekannt ist: beschwichtigend. (kw)