Wie die Anklage gegen Schostok einen Schatten auf die Schröder-Feier wirft
Er hat, als er noch Bundeskanzler war, die Stadt Hannover international bekannt gemacht. Gerhard Schröder lud Staatsgäste hierher ein, zeigte ihnen die Schönheiten der (unterschätzten) niedersächsischen Landeshauptstadt und hinterließ sogar bis heute seine Spuren. In manchen Restaurants der Stadt kann man heute noch den „Kanzlerteller“ bestellen, eine Currywurst mit Pommes Frites. Das sind einige Gründe dafür, den hannoverschen Ehrenbürger Gerhard Schröder kurz nach seinem 75. Geburtstag besonders zu würdigen, dachte sich Oberbürgermeister Stefan Schostok und lud ihn, seine Ehefrau und viele Weggefährten von einst zu einem Empfang in den historischen Hodlersaal des Rathauses ein. Ein richtig schönes Fest für den Altkanzler sollte es werden – doch im Laufe der zweistündigen Feier verschob sich die Aufmerksamkeit, weg vom Ehrengast Schröder und hin zum Gastgeber, dem Oberbürgermeister.
Der Zufall wollte es, dass just am Vormittag dieser Feier, bei der sich Schostok neben Schröder mit seiner glänzenden Amtskette zeigte, die Staatsanwaltschaft Hannover die Ergebnisse ihrer fast neun Monate dauernden Ermittlungen bekanntgab. Viele alte Weggefährten von Schröder waren ins Rathaus eingeladen worden, darunter der Maler Markus Lüpertz, der Künstler Siegfried Neuenhausen, der Sänger Klaus Meine, die Unternehmer Martin Kind und Dieter Roßmann, der frühere Juso-Chef Klaus-Uwe Benneter, der frühere VW-Vorstand Peter Hartz und Braunschweigs OB Ulrich Markurth. EU-Kommissar Günther Oettinger war erschienen, Schröders erster Staatssekretär Reinhard Scheibe und Sigrid Krampitz, seine langjährige Büroleiterin.
Von ehemaligen Kabinettskollegen waren nur der heutige Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann und seine Vorgängerin Edelgard Bulmahn dabei, andere einstigen Minister fehlten. IOC-Präsident Thomas Bach war auch gekommen. Erst hielt Schröder eine Dankesrede, lobte Schröders Gradlinigkeit, Beständigkeit und Ausdauer – und erwähnte diese Eigenschaften sogar dreimal in seiner 20-minütigen Rede. Als er Schröder dann ein Geschenk übergab, die Skulptur eines Mannes, der an Gitterstäben rüttelt, sollte dies die Anspielung sein auf Schröders unbändigen Willen, ins Kanzleramt zu kommen. Hatte er doch einst in Bonn am Tor der Machtzentrale derartig posiert. Nun, als Schostok diese Figur hinter Gitterstäben in der Hand hielt, gingen die ersten Meldungen über den Ticker: Die Staatsanwaltschaft will den OB wegen schwerer Untreue anklagen. Bei einer Verurteilung wegen schwerer Untreue drohen bis zu zehn Jahre Freiheitsentzug.
Schostok ahnte wohl, was an diesem Tag bevorstand
Viele der Gäste waren ohne Handys erschienen, bekamen das Zusammentreffen der Ereignisse also gar nicht mit. Andere tuschelten, bei wieder anderen verfinsterten sich merklich die Mienen. Schostok und Schröder, auf die sowieso die ganze Zeit die Blicke gerichtet waren, hatten keinen unbeobachteten Moment, mal eben aufs Smartphone schauen zu können. Aber man kann davon ausgehen, dass der Oberbürgermeister schon seit Tagen, wenn nicht Wochen wusste, was ihm blühen wird. Die Anwälte der drei Beschuldigten, neben dem OB noch seinem früheren Büroleiter Frank Herbert und dem früheren Personaldezernenten Harald Härke, waren schon im Februar informiert worden, hatten aber immer wieder um Fristverlängerung gebeten, um selbst dazu Stellung zu nehmen.
Dass just am Tag des Festaktes nun die Justiz an die Öffentlichkeit geht, hatte Schostok vermutlich geahnt. Er zeigte sich wie gewohnt – unverdrossen und scheinbar ungerührt. Als er dem langen Festvortrag von Prof. Madjid Samii lauschte, wirkte Schostok teilweise wie geistsabwesend, bei jedem Scherz wandte er sich zu dem neben ihm sitzenden Schröder und lachte laut mit. Unfreiwillig komisch wirkte dann ganz am Schluss die Rede von Schröder, der die Versammelten bat, sich einen Termin in fünf Jahren vorzumerken, wenn er selbst 80 wird. „Ich werde dann als Jubilar hier sein, und Du, lieber Stefan, als Oberbürgermeister“, betonte der Altkanzler. Schostok reagierte amüsiert, als er das hörte.
Ich werde an meinem 80. Geburtstag als Jubilar hier sein, und Du, lieber Stefan, als Oberbürgermeister.
Ob Schostok diese Sätze von Schröder, wie immer sie gemeint waren, als Ermutigung verstanden hat – als Aufforderung zum Durchhalten? Viele in der hannoverschen SPD, die sich bisher nicht offen äußern wollen, halten dem Oberbürgermeister „Realitätsverlust“ vor und erkennen bei ihm eine schon erschreckende Fähigkeit zur Verdrängung.
Zuspruch nehme er wahr, heißt es, Kritik allerdings blende er komplett aus. „Bisher hat er immer behauptet, dass ,nichts dran‘ sei an den Vorwürfen. Das ist jetzt nicht mehr möglich. Schostok ist nicht mehr zu halten – als Oberbürgermeister nicht und auch nicht als Vorsitzender des SPD-Bezirks Hannover“, sagt ein SPD-Funktionsträger, der sich bisher nicht öffentlich äußern möchte. Andere verweisen auf den Vorsitzenden der Stadt-SPD und Landtagsabgeordneten Alptekin Kirci. Doch auch der schweigt bisher, bis gestern Abend tagte allerdings der Kreisvorstand in einer Krisensitzung. Angeblich, heißt es, will man Schostok eine gewisse Zeit geben, von sich aus den Rückzug zu verkünden. Weigert er sich, so dürften die ersten Genossen öffentlich von ihm abrücken. Dann droht ein Hauen und Stechen.
Die Pressestelle der Stadt Hannover war jedenfalls schon gut vorbereitet. Sie teilte den Journalisten schon vor Beginn der Feierstunde mit, dass Schröder und auch Schostok an diesem Tag „keine Anfragen beantworten werden“. So geschah es dann auch. (kw)