21. Apr. 2020 · Soziales

Wie Besuche in Altersheimen doch möglich gemacht werden

Einmal pro Woche kommt ein Künstler in den Wohnpark Kastanienhof in Hannover. Mit Klavier, Ziehorgel oder Gitarre versetzt er die Bewohner mit Gassenhauern aus den Fünfzigern zurück in eine andere, vielleicht unbeschwertere Zeit. Doch im Moment können die Auftritte der Musiker, die für die Bewohner Stücke aus der längst vergangenen Jugend spielen, nicht mehr in den Gemeinschaftsräumen der Seniorenresidenz stattfinden. Die Schutzmaßnahmen vor der Ausbreitung des Corona-Virus zwingen Robert Dabrowski und sein Team zu neuen Wegen.

Mit Videochats oder am geöffneten Fenster sollen ältere Menschen den Kontakt zu ihren Angehörigen pflegen - Foto: Milan_Jovic/Gettyimages

Deshalb gibt es seit Mitte März die sogenannte Innenhofmusik, berichtet der Heimleiter. Die Künstler bauen sich nun nicht im hauseigenen Restaurant, sondern im Garten der Einrichtung auf oder bewegen sich musizierend über die weitläufige Anlage. Die rund 170 Bewohner lauschen dann am Fenster, auf dem Balkon oder auf einer der Bänke im Hof dem musikalischen Spiel. Das improvisierte Konzert unter freiem Himmel ersetzt keinen Familienbesuch, aber es ist besser als nichts.


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Auch das sonstige Leben in der Senioreneinrichtung hat sich in den vergangenen Wochen weitgehend gewandelt. Mit zusätzlichen Schichten wurden die Essenszeiten ausgedehnt und damit die Zahl der Anwohner im Speiseraum reduziert. Im Fahrstuhl dürfen nur noch zwei Bewohner zur selben Zeit mitfahren und bei Gesellschaftsspielen, Bingo zum Beispiel, wird auf den nötigen Mindestabstand zwischen den Teilnehmern geachtet.

Nicht alle Heime könnten den Einlass kontrollieren

Wie dem Kastanienhof geht es derzeit vielen, vermutlich allen Einrichtungen der stationären Altenpflege. Während der Corona-Pandemie müssen vor allem die sogenannten „besonders vulnerablen Gruppen“ vor dem Virus geschützt werden. Ein Ausbruch in einem Altenheim kann in kurzer Zeit zu vielen Todesfällen führen, wie etwa der tragische Fall aus einem Wolfsburger Pflegeheim verdeutlicht hat.

Die strengen Besuchsverbote, die seit ein paar Wochen gelten, wurden deshalb von den meisten Heimbetreibern zunächst begrüßt, denn sie sorgten immerhin für Klarheit. Geregelte Besuche bräuchten eben auch eine Einlasskontrolle an jedem Eingang, gibt Carsten Adenäuer vom Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) zu bedenken. Diese Kontrollen seien jedoch in den meisten Altenheimen rein personell kaum zu leisten. Auch räumlich seien viele Einrichtungen nicht darauf ausgelegt, nun besondere Zugänge zu ermöglichen oder sichere Wege zu isolierten Räumen vorzuhalten.

Dass allein das Vertrauen auf die Einsicht und Rücksichtnahme der Angehörigen nicht ausreicht, verdeutlichten einzelne Szenen, von denen verschiedene Heimbetreiber berichten können. So haben beispielweise, noch bevor die strengen Regeln griffen, Angehörige ihre Nächsten aus dem Heim geholt und sind mit ihnen zum Eis-Essen gegangen. Andere berichten von Familienmitgliedern, die Schilder mit Hygienehinweisen bewusst ignorierten, oder, als dann die Besuchsverbote galten, sogar über Zäune geklettert sind, um sich Eintritt zu der Anlage zu verschaffen.

Gespräche am Tablet und gekippten Fenster

Doch alle Akteure sind sich einig: Das Corona-Virus darf nicht dazu führen, dass die sozialen Kontakte für die Ältesten in unserer Gesellschaft komplett auf null heruntergefahren werden. Was also tun, um den kontaktlosen Besuch irgendwie zu ermöglichen? Wie sich zeigt, führt die Corona-Krise nicht nur in Unternehmen oder Schulen zu einem Anstieg der Digitalisierung. Auch in Altenheimen kommt nun viel häufiger das Tablet zum Einsatz, um im Videochat den Kontakt zwischen den Bewohnern und Angehörigen zu ermöglichen. Die AOK hat etwa ein pragmatisches Förderprogramm aufgelegt, mit dem zahlreiche neue Tablets angeschafft werden konnten – vorrangig eigentlich für den Kontakt zum Hausarzt. Das seien nicht die ersten Tablets gewesen, die in einer Einrichtung eingesetzt wurden, berichtet der Caritas-Landessekretär Thomas Uhlen. Doch bislang kam die technische Lösung eher bei Bewohnern zum Einsatz, deren Angehörige weit entfernt wohnten. In der Krise kann diese bewährte Methode nun ausgeweitet werden.

Weinen statt Singen am offenen Fenster

In manchen Einrichtungen stellte sich auch eine analoge Lösung als probates Mittel heraus, um einen beschränkten Kontakt zwischen Bewohnern und Angehörigen zu ermöglichen: das gekippte Fenster. Weil es eine natürliche, bekannte Barriere ist, sei das leicht geöffnete Fenster von den meisten Bewohnern eher akzeptiert worden, berichtet Uhlen. Andere Varianten wie etwa extra montierte Plexiglasscheiben, die den nötigen Abstand gewährleisten sollten, hätten die Bewohner hingegen eher verstört. Sie hätten nicht verstanden, warum auf einmal eine Distanz aufgebaut werden soll.

Die besondere Herausforderung ergibt sich daraus, dass ein Großteil der Heimbewohner an einer Demenz oder anderen vergleichbaren Erkrankung leidet. Die aktuelle Situation und die damit einhergehenden Beschränkungen lassen sich ihnen daher nur schwer vermitteln. Aus diesem Grund wurde das gemeinsame Singen am offenen Fenster manchmal auch schon zu einem Weinen am offenen Fenster, wie aus einigen Einrichtungen berichtet wird. Nicht jedes Modell setzt sich also überall durch.

Doch die Demenzerkrankung kann, ein tragischer Nebeneffekt, manchmal auch eine vorübergehende Erleichterung verschaffen. So werden Fälle geschildert, in denen demenziell erkrankte Bewohner im Eingangsbereich der Einrichtung saßen und auf ihren Angehörigen warteten – genau so, wie sie es immer taten. Doch wenn die Angehörigen dann nicht kamen, war der Kummer bald nicht so groß, weil sie nicht mehr wussten, dass sie schon seit mehreren Tagen nicht mehr zu Besuch gekommen waren.

Masken können Bewohner verängstigen

Über kurz oder lang hoffen die Heimbetreiber aber darauf, dass Besuche von Angehörigen wieder möglich werden. Die emotionale Belastung für die Senioren sei enorm, heißt es immer wieder. Doch die geforderten Hygienekonzepte verlangen wohl nach entsprechender Schutzausstattung, und die ist nicht leicht zubekommen. Ohnehin finden nicht alle diesen Weg gut. So gibt es etwa die Sorge, dass maskierte Angehörige die Bewohner verängstigen könnten. Doch vorerst gibt es vermutlich keinen anderen Weg, um wieder Nähe und Kontakt zu ermöglichen. Ein Lächeln hinter dem Mundschutz ist dann besser als gar kein Lächeln. Eine Berührung mit einem Latexhandschuh ist immer noch besser als gar keine Berührung.

Von Niklas Kleinwächter

Dieser Artikel erschien in Ausgabe #076.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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