7. Sept. 2016 · 
Parteien

Wie Angela Merkel in Celle ihre Störer ausbremst

Es ist ein wunderbarer Spätsommerabend in Celle, die Menschen ziehen gut gelaunt durch die malerische Innenstadt. Überall nette Leute, schönes Fachwerk, entspannte Leute. Und dann kommt plötzlich sie, Angela Merkel. Ein Hauch von weltpolitischer Krisenstimmung droht die schöne heile Welt zu vernichten. Doch die Kanzlerin lässt es bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt nach der schlimmen Schweriner Wahlniederlage gar nicht so weit kommen. Sie federt den Protest gekonnt ab. Doch zunächst beginnt alles harmonisch. Die Musikschule des Christlichen Jugendwerks spielt Blasmusik, solange der Gast aus Berlin noch nicht da ist. Direkt hinter der großen Bühne auf dem Großen Plan, mitten in der Fußgängerzone, geht gerade die Sonne unter. Davor sind Stuhlreihen aufgestellt, sodass die Besucher direkt nach vorn zu den Politikern gucken können. Dort stehen Landtagspräsident Bernd Busemann, Fraktionschef Björn Thümler, Generalsekretär Ulf Thiele und natürlich der OB-Kandidat Jörg Nigge, ein smarter, jugendlich wirkender Manager-Typ. Aber weil die Sonne so tief steht, müssen die Zuschauer die Augen zusammenkneifen und blinzeln, um von den Prominenten da vorn wenigstens ein bisschen sehen zu können. So wird es für die Celler an diesem Tag zunächst schwierig, die CDU zu erkennen. Die Sonne strahlt so sehr, dass einige schon die Hand vor die Augen halten. [caption id="attachment_13114" align="aligncenter" width="614"]"Willkommen in Köln": Kleine Anspielung auf die Celler Plagiatsaffäre  -  Foto: kw "Willkommen in Köln": Kleine Anspielung auf die Celler Plagiatsaffäre - Foto: kw[/caption] Wenig später wird die Orientierung nicht besser. Zwar ist die Sonne schon hinter der Bühne verschwunden, als Merkel erscheint, aber nun leuchtet ihr grellroter Blazer – fast wie ein „Achtung“-Signal. Das lockt die Gegner an. Wie auf Bestellung sind plötzlich auf dem großen, übervollen Platz jede Menge Gruppen von Störern erschienen. Es sind zwar nicht so viele, dass man die Regierungschefin nicht mehr hören könnte, aber doch genug, viele Zuschauer an diesem Tag zu irritieren. Pfeifkonzerte, Buh-Rufe und Sprechchöre passen hier irgendwie nicht her. Und Merkel, die zunächst angestrengt dreinschaut, geht auch gleich auf die unwillkommenen Gegner ein: „Es freut mich, dass wir in einer Demokratie leben, in der jeder seine Meinung ausdrücken kann.“ Kräftiger Applaus von CDU-Anhängern ertönt – trotzig den Sprechchören entgegengeschleudert. Dann beginnt die 20-minütige Rede der Kanzlerin. Celle, sagt sie, brauche einen „starken Oberbürgermeister“. Die Störer skandieren: „Hau ab! Hau ab!“ Merkel spricht von der Ortsumgehung für Celle, die im Bundesverkehrswegeplan höchste Priorität bekommen hat, die aber einen starken Verwaltungschef in der Stadt brauche, um verwirklicht zu werden. „Merkel muss weg! Merkel muss weg!“ brüllen die Störer. Dann geht die Kanzlerin zur Grundsicherung über, die der Bund jetzt bezahlt und damit die Kommunen entlastet. Die Störer steigern sich. „Volksverräter! Volksverräter“, ertönt es jetzt. Und als die CDU-Vorsitzende über die Investitionen für die Pflege redet und die vielen Ehrenamtlichen lobt, nehmen ihre Gegner Anleihen an den Losungen der friedlichen Revolution von 1989: „Wir sind das Volk! Wir sind das Volk!“ Viele CDU-Anhänger, die diesen merkwürdigen Dialog zwischen Kanzlerin und offenbar rechtsgerichteten Demonstranten miterleben, wirken konsterniert: Wogegen bäumen die Leute sich überhaupt auf? Gegen die Ortsumgehung für Celle? Nach zehn Minuten glauben manche, nun komme sie endlich zum Wesentlichen. Merkel erwähnt die Bilder vom Bürgerkrieg in Syrien. Jetzt wird sie wohl Tacheles reden. Doch für die Kanzlerin ist das nur eine Brücke zum Vergleich mit den fünfziger Jahren, als Deutschland nach dem Krieg dank der sozialen Marktwirtschaft den Wiederaufbau schaffte. Ein Lob für die soziale Marktwirtschaft! Die Störer antworten: „Merkel muss weg! Merkel muss weg!“ Gegen 20 Uhr dann ist der Spuk vorüber. Merkels Rede ist zu Ende – und die SPD hat sie nicht ein einziges Mal erwähnt. Die Partei des gegenwärtigen Oberbürgermeisters Dirk-Ulrich Mende hat an einer Hausfassade, direkt neben „Lara M. Mode“, ein großes Transparent entrollt: „Willkommen in Köln, Frau Merkel“ – eine Anspielung darauf, dass OB-Kandidat Nigge Teile seines Wahlprogramms von der siegreichen Kölner Kandidatin übernommen hatte. Schwer vorstellbar, dass die Störer der Veranstaltung nun Mende-Gefolgsleute waren, sie klangen eher wie AfD-Freunde – und einige TTIP-Kritiker waren auch erschienen, blieben aber eher stumm. Zum Abschluss der Veranstaltung erklingt die Nationalhymne. Da ist kein Störer mehr zu vernehmen. Nun ist die Sonne fast ganz untergegangen – sie leuchtet noch einen Schriftzug an, direkt an einer Hausfassade neben „Lara M. Mode“: „Man kann nicht in Frieden leben, wenn es dem Nachbarn nicht gefällt“, ist dort zu lesen. Die Sonne reflektiert auf den glatten Buchstaben, so leuchtet der Spruch wie eine Mahnung an die vielen Menschen auf dem Platz. (kw)
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #160.
Martin Brüning
AutorMartin Brüning

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