"Willkommen in Köln": Kleine Anspielung auf die Celler Plagiatsaffäre - Foto: kw[/caption]
Wenig später wird die Orientierung nicht besser. Zwar ist die Sonne schon hinter der Bühne verschwunden, als Merkel erscheint, aber nun leuchtet ihr grellroter Blazer – fast wie ein „Achtung“-Signal. Das lockt die Gegner an. Wie auf Bestellung sind plötzlich auf dem großen, übervollen Platz jede Menge Gruppen von Störern erschienen. Es sind zwar nicht so viele, dass man die Regierungschefin nicht mehr hören könnte, aber doch genug, viele Zuschauer an diesem Tag zu irritieren. Pfeifkonzerte, Buh-Rufe und Sprechchöre passen hier irgendwie nicht her. Und Merkel, die zunächst angestrengt dreinschaut, geht auch gleich auf die unwillkommenen Gegner ein: „Es freut mich, dass wir in einer Demokratie leben, in der jeder seine Meinung ausdrücken kann.“ Kräftiger Applaus von CDU-Anhängern ertönt – trotzig den Sprechchören entgegengeschleudert.
Dann beginnt die 20-minütige Rede der Kanzlerin. Celle, sagt sie, brauche einen „starken Oberbürgermeister“. Die Störer skandieren: „Hau ab! Hau ab!“ Merkel spricht von der Ortsumgehung für Celle, die im Bundesverkehrswegeplan höchste Priorität bekommen hat, die aber einen starken Verwaltungschef in der Stadt brauche, um verwirklicht zu werden. „Merkel muss weg! Merkel muss weg!“ brüllen die Störer. Dann geht die Kanzlerin zur Grundsicherung über, die der Bund jetzt bezahlt und damit die Kommunen entlastet. Die Störer steigern sich. „Volksverräter! Volksverräter“, ertönt es jetzt. Und als die CDU-Vorsitzende über die Investitionen für die Pflege redet und die vielen Ehrenamtlichen lobt, nehmen ihre Gegner Anleihen an den Losungen der friedlichen Revolution von 1989: „Wir sind das Volk! Wir sind das Volk!“ Viele CDU-Anhänger, die diesen merkwürdigen Dialog zwischen Kanzlerin und offenbar rechtsgerichteten Demonstranten miterleben, wirken konsterniert: Wogegen bäumen die Leute sich überhaupt auf? Gegen die Ortsumgehung für Celle?
Nach zehn Minuten glauben manche, nun komme sie endlich zum Wesentlichen. Merkel erwähnt die Bilder vom Bürgerkrieg in Syrien. Jetzt wird sie wohl Tacheles reden. Doch für die Kanzlerin ist das nur eine Brücke zum Vergleich mit den fünfziger Jahren, als Deutschland nach dem Krieg dank der sozialen Marktwirtschaft den Wiederaufbau schaffte. Ein Lob für die soziale Marktwirtschaft! Die Störer antworten: „Merkel muss weg! Merkel muss weg!“
Gegen 20 Uhr dann ist der Spuk vorüber. Merkels Rede ist zu Ende – und die SPD hat sie nicht ein einziges Mal erwähnt. Die Partei des gegenwärtigen Oberbürgermeisters Dirk-Ulrich Mende hat an einer Hausfassade, direkt neben „Lara M. Mode“, ein großes Transparent entrollt: „Willkommen in Köln, Frau Merkel“ – eine Anspielung darauf, dass OB-Kandidat Nigge Teile seines Wahlprogramms von der siegreichen Kölner Kandidatin übernommen hatte. Schwer vorstellbar, dass die Störer der Veranstaltung nun Mende-Gefolgsleute waren, sie klangen eher wie AfD-Freunde – und einige TTIP-Kritiker waren auch erschienen, blieben aber eher stumm.
Zum Abschluss der Veranstaltung erklingt die Nationalhymne. Da ist kein Störer mehr zu vernehmen. Nun ist die Sonne fast ganz untergegangen – sie leuchtet noch einen Schriftzug an, direkt an einer Hausfassade neben „Lara M. Mode“: „Man kann nicht in Frieden leben, wenn es dem Nachbarn nicht gefällt“, ist dort zu lesen. Die Sonne reflektiert auf den glatten Buchstaben, so leuchtet der Spruch wie eine Mahnung an die vielen Menschen auf dem Platz. (kw)

