Wer verwaltet, kann nicht lehren und forschen
Darum geht es: In einer Allensbach-Umfrage klagen Hochschulprofessoren über zu viel Bürokratie an den Universitäten. Ein Kommentar von Martin Brüning:
In der Umfrage im Auftrag des Deutschen Hochschulverbandes rücken zwei Themenfelder in den Fokus. Desaströs sind die Ergebnisse in Bezug auf die Bologna-Reform; die Allensbach-Forscher sprechen von einem „vernichtenden Urteil“. Fast vier Fünftel der Hochschulprofessoren sind der Meinung, die Reform habe zu mehr Bürokratie geführt. 72 Prozent sagen, die Lehre sei unflexibler geworden und 62 Prozent meinen, Bologna führe dazu, dass Studenten kein selbständiges Denken ausbilden könnten. Fazit der Demoskopen von Allensbach: „Es ist offensichtlich, dass die Bologna-Reform aus Sicht der großen Mehrheit der Hochschullehrer – zumindest gemessen an ihren eigenen Ansprüchen – krachend gescheitert ist.“
Und auch für die Lehre fehlt inzwischen Zeit. Nur noch 28 Prozent der Arbeitszeit werden für die Lehre aufgewandt. Vor 40 Jahren waren es noch 42 Prozent. Wo bleibt die Zeit? Sie steckt zum einen im durch die Bologna-Reform erhöhten Aufwand für Prüfungen, zum anderem im Mehraufwand für die akademische Selbstverwaltung. Wer als Professor die komplette Lehrplanung am Institut übernimmt, der kann nicht gleichzeitig lehren, und erst recht nicht forschen.
Im Sommer vergangenen Jahres riet der Finne Juuso Nisula nach einem Auslandssemester an der Uni Köln anderen Auslandsstudenten: „Studiert nicht in Deutschland.“ Seine Kritik reichte von der für das Studium nötigen Kartenvielfalt im Portemonnaie (Studentenausweis, Personalausweis, Mensa-Karte, Bibliothekskarte und Kopierkarte für die Bibliothek) über schlecht organisierten Prüfungsämter (strenge Fristen austeilen, aber selbst keine Fristen einhalten) bis hin zu der absurden Anforderung, alle Quellen auf eine CD-Rom zu brennen (Nisula: „Ich meine, wer hat überhaupt noch einen Computer, der diese Dinger lesen kann?“). Der Student aus Finnland legte den Finger tief in die Organisations-Wunde der deutschen Hochschullandschaft.
Nun kann man nicht alle Probleme auf die Bologna-Reform abschieben. Hochschulen können durchaus in der Lage sein, eine moderne Verwaltung auf die Beine zu stellen, gut zu kommunizieren oder ein funktionierendes Online-System zur Verfügung zu stellen. Zu all diesen Herausforderungen der modernen Zeit kamen nun allerdings noch Bologna und die stetig steigende Zahl der Studenten hinzu. Und das hat das Fass offenbar zum Überlaufen gebracht. Denn an den Hochschulen hat es offenbar keine Weiterentwicklung parallel zur Reform gegeben. Die bürokratischen Anforderungen bringen Universitäten und deren Personal an die Grenzen, bei manchen werden diese längst überschritten.
Mehr Studenten und dadurch heterogene Gruppen, mehr Aufgaben durch die Selbstverwaltung, komplexere Strukturen mit wesentlich aufwendigeren Prüfungsanforderungen: Die Professoren an den Universitäten stehen im Jahr 2016 vor vollkommen anderen Herausforderungen als ihre Kollegen, die 1976 an der großen Hochschullehrerumfrage teilnahmen. Und mit diesen Herausforderungen werden sie recht alleine gelassen. Es reicht eben nicht, den Blick vor allem auf Exzellenzinitiativen und Leuchtturmprojekte zu richten. Die Ergebnisse der Umfrage machen deutlich, dass eine Frage beantwortet werden muss: Wollen wir die Universitäten endlich an die Wirklichkeit anpassen oder die Wirklichkeit an die Universitäten? Eine der beiden Varianten muss in Angriff genommen werden.