Am 24. Februar griff Russlands Herrscher Wladimir Putin gegen jede Vernunft und gegen jedes rationale Kalkül die Ukraine an. All die diplomatischen Bemühungen, die in den Tagen zuvor besonders intensiv und rege gewesen sein mussten, stellten sich als erfolglos heraus. Wie stark hat dieses Ereignis die deutsche Gesellschaft erschüttert? Haben wir Lehren daraus gezogen – und, wenn ja, waren es die richtigen Lehren? Wie gut finden wir uns damit ab, dass der Traum von der friedfertigen, nach Vernunft und Toleranz geordneten Welt nun endgültig ausgeträumt ist? Die Rundblick-Redaktion beleuchtet in persönlichen, einordnenden Beiträgen einige Teilprobleme, die sich aus Putins mörderischem Völkerrechtsbruch ergeben. Hier geht’s zum Dossier.

Ein Jahr tobt der Krieg in der Ukraine: Rundblick-Autor Tomas Lada schreibt über die Auswirkungen auf den Handel. I Foto: Scheffen, Canva

Wer soll in naher Zukunft oder perspektivisch im Kontext globaler Handelsbeziehungen zu unseren Freunden zählen? Müssen wir andererseits auch zwingend „Feinde“ kennzeichnen, wenn wir im Handel Freundschaften pflegen? Und wie ist das Verhältnis zu den Feinden unserer Feinde in diesem Bild – sind das dann zwangsläufig per Interessensabgleich unsere Verbündeten auf den internationalen Handelsrouten? Und ganz grundsätzlich: Was sind die Werte einer Freundschaft? Wie gehen wir mit falschen Freunden um? 

Der Kriegsbeginn auf dem Territorium der Ukraine hat in einer bemerkenswerten Geschwindigkeit viele Entscheidungen auf politischen, diplomatischen, wirtschaftlichen als auch individuellen Ebenen gefordert. Und viele Fragen aufgeworfen: innerhalb der vergangenen zwölf Monate beschäftigten wir uns mit der Sicherstellung der Energieversorgung, mit bröckelnden Lieferketten für Rohstoffe, mit Versorgungsengpässen bei Lebensmitteln und nicht zuletzt daraus resultierend auch mir rasanten Preissteigerungen. Die Frage, die sich oftmals stellte: Waren wir zu abhängig von Russland? Die klare Antwort lautet: ja. 

Nordstream 1 machte Deutschland abhängig von Russland

Die rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder (mit dem damaligen Kanzleramtschef und dann späteren Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier) pflegte eine intensive Moskau-Politik. Prestige-Projekte wie die Erdgas-Pipeline Nordstream 1 sollten Deutschland günstigen Zugang zu russischen Gasvorkommen sichern. In Wirklichkeit entstand hierdurch eine Abhängigkeit, die vermutlich nur einer einzigen Person nutzen sollte: Gerhard Schröder, der gerade einmal zwei Wochen nach seiner Abwahl als Bundeskanzler auf den Aufsichtsratschefposten der Pipeline-Betreibergesellschaft wechselte und so ganz sichtbar auf Putins Gehaltsliste wanderte.   

„Die CDU/CSU, die unter Angela Merkel nach Schröder an die Macht kam, korrigierte den Kurs nicht wirklich. Sie setzte diese Moskau-Orientierung sogar fort.“

Freundschaften sind grundsätzlich etwas positives, sofern beide Seiten hiervon profitieren. Dass der sozialdemokratische Kuschelkurs mit Moskau bestenfalls eine vergiftete, einseitige Freundschaft war, zeigt sich heute besonders deutlich. Eine so starke Abhängigkeit kann und darf nicht im Interesse einer gesamten Volkswirtschaft sein. Zur Wahrheit gehört dann auch: Die CDU/CSU, die unter Angela Merkel nach Schröder an die Macht kam, korrigierte den Kurs nicht wirklich. Sie setzte diese Moskau-Orientierung sogar fort, gefördert lange Zeit vom Juniorpartner SPD. Warnungen oder Mahnungen aus den USA wurden übersehen, überhört oder nicht ernst genommen. Diversifikation und breit aufgestellte Handels- und Lieferwege für Rohstoffe und Waren hätten stets die höchste Priorität haben müssen, um Versorgungssicherheit einerseits und wettbewerbskonforme Preisgestaltungen andererseits zu gewährleisten. Das aber taten weder Schröder noch Merkel. Zu blauäugig wurde auf eine einzige Karte gesetzt – bis Russland die Gas-Pipelines vor einigen Monaten schließlich selbst sprengte und das einstige Großprojekt und Zeichen enger Verbundenheit mehr oder weniger sprichwörtlich im Wasser versank. 

Wichtigster Partner der Bundesregierung bleibt die USA

In einer Ausnahmesituation muss auch nach sinnvollen, finanzierbaren und zukunftsträchtigen Alternativen Ausschau gehalten werden. Viele mag die Nachricht, dass Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck einen Energiedeal mit Katar abgeschlossen hat, verwundert haben. Schließlich gilt Katar nicht gerade als „Vorzeigestaat“ im Umgang mit Menschenrechten, wie wir diese interpretieren. „In der Not frisst der Teufel Fliegen“, heißt es. Ein solcher Deal ist ein Zwischenschritt auf dem Weg sich von der Nabelschnur Moskaus zu lösen. Die Fehler vergangener Jahrzehnte können nicht auf Knopfdruck von jetzt auf gleich korrigiert werden, das hat auch ein grüner Energieminister einsehen müssen und dem Emirat freundschaftlich die Hand gereicht. Für die Zukunft des globalen Handels gilt es jetzt, Lehren zu ziehen und diese mit der notwendigen Ruhe und Sorgfalt bei der Auswahl der Partner umzusetzen. Dabei muss klar sein: Unser wichtigster Partner bleiben die USA.


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Sicher gilt daneben: Rohstoffvorkommen sind ungleichmäßig verteilt, sodass immer Abhängigkeiten entstehen können. Das entscheidende Kriterium für die globale Zusammenarbeit in der Zukunft muss eine Grundverständigung über einen gemeinsamen Wertekanon sein – und es muss daneben diplomatische Lösungen geben im Handel mit jenen, die nicht unsere Werte teilen. In einer globalisierten Welt gibt es kein Schwarz-Weiß-Denken, keine trennscharfe Einordnung in Gut und Böse – in jeder Partnerschaft gibt es Phasen der Komplikationen oder Verstimmungen – das ist jedoch gut für den Wettbewerb und die eigenen Interessen, weil jede Partnerschaft immer wieder auf den Prüfstand gestellt werden muss. Die lange Phase des Moskau-Kuschelkurses ist jetzt eindeutig vorbei, Deutschland darf nicht als Mitfinanzierer eines sinnlosen Angriffskrieges auftreten, vor dem US-Präsident Joe Biden bereits mehrere Wochen vor dem Angriff am 24. Februar warnte. Die Warnungen wurden zwar zur Kenntnis genommen, eine übermäßige Beunruhigung war jedoch nicht wahrnehmbar. Richtig war das trotzdem, denn gute Freunde sprechen nun mal auch unbequeme Dinge an und sollten auch das entsprechende Gehör finden.