Darum geht es: Die beiden Fußballer Mesut Özil und Ilkay Gündoğan haben sich in dieser Woche mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan ablichten lassen – kurz vor den türkischen Wahlen. Durften sie das, wenn sie in Kürze in der Nationalmannschaft bei der Fußballweltmeisterschaft spielen sollen? Ein Kommentar von Isabel Christian.

Menschen in der Öffentlichkeit haben eine Vorbildfunktion

„Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust“, ließ der Dichter Johann Wolfgang von Goethe seinen „Faust“ in der berühmten Tragödie jammern. Der Figur ging es dabei um die innere Zerrissenheit zwischen weltlichen Vergnügen und geistigen Idealen. Goethe trifft mit diesem Zitat bis heute einen Nerv, denn er hat gut erkannt, dass in jedem Menschen ein „Faust“ steckt. Jeder ist mehr oder weniger hin- und hergerissen zwischen dem, wonach ihm gerade ist, und dem, was moralisch richtig ist. Bei den meisten Menschen ist es für die Gesellschaft nicht wichtig, für welche Seite der Einzelne sich entscheidet. Den Nachbarn von Max Mustermann interessiert und betrifft es nicht, ob Herr Mustermann sein Geld in der Kneipe vertrinkt oder an ein Kinderhilfswerk spendet. Bei Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, sieht das dagegen anders aus. Sie haben eine Vorbildfunktion.

Der Wert der Nationalmannschaft liegt darin, was sie symbolisiert

Die beiden Seelen, die jeweils in der Brust von Mesut Özil und Ilkay Gündoğan wohnen, heißen Deutschland und Türkei. Die beiden Fußballer sind türkischstämmig, leben aber in Deutschland und spielen für die deutsche Nationalmannschaft. Und hier liegt der Knackpunkt. Nüchtern betrachtet ist die Nationalelf nur eine Fußballmannschaft, in der elf Sportler 90 Minuten lang versuchen, einen Ball öfter in ein Tor zu schießen als ihre Gegner. Der Wert der Nationalmannschaft liegt aber in dem, was sie symbolisiert. Sie vertritt Deutschland – die Ideale, Wünsche und Ziele von 83 Millionen Menschen – in der berühmtesten Sportart der Welt. Und dass Fußball in der modernen Gesellschaft mehr als nur ein Spiel ist, dürfte jeder wissen, der schon mal in einem Stadion gesessen hat. Für eine Nationalelf zu spielen, ist keine Notwendigkeit, um sich den Lebensunterhalt zu verdienen. Es ist eine Ehre, nach der wohl jeder Profifußballer strebt. Wer für die Nationalelf nominiert wird, bekommt sozusagen die Eintrittskarte zum Olymp der Sportlerwelt. Man kann sie annehmen – oder auch nicht. Özil und Gündoğan haben sie angenommen und die damit verbundene Aufgabe als Botschafter Deutschlands akzeptiert.

„Für meinen Präsidenten“ – Ilkay Gündoğan  auf einem Trikot für den türkischen Machthaber Recep Tayyip Erdoğan

Nun haben Özil und Gündoğan vor einigen Tagen aber der anderen Seele in ihrer Brust nachgegeben und den Präsidenten ihres Heimatlandes, Recep Tayyip Erdoğan, mitten in dessen Wahlkampf öffentlichkeitswirksam getroffen. Gündoğan hat dem Politiker sogar ein Trikot mit seiner Spielernummer geschenkt und darauf geschrieben „Für meinen Präsidenten“. Selbst wenn Erdoğan sich nicht aufführen würde wie ein Despot und nicht alles infrage stellte, was für Demokratie steht, so haben sich Özil und Gündoğan in diesem Moment für die deutsche Nationalmannschaft nicht mehr als würdig erwiesen. Sie haben das getan, wonach ihnen war, und nicht das, was richtig gewesen wäre. Man kann als öffentliche Person nicht ein Staatsoberhaupt als „seinen Präsidenten“ bezeichnen, während man ein Land vertritt, das von ganz anderen Menschen geführt wird. Bei Max Mustermann wäre das egal gewesen. Bei zwei Männern, die sich dafür entschieden haben, Botschafter der Deutschen zu sein, ist das ein Beispiel für Versagen. Wenn es nicht nur ein dummer Ausrutscher war, sondern bewusstes Agieren, sollten sie nicht bei der Weltmeisterschaft im Juni in Russland für Deutschland auflaufen dürfen. Alles andere wäre Heuchelei.

Portman will nicht als Unterstützerin von Netanjahu gelten

Die amerikanische Schauspielerin Natalie Portman hat vor wenigen Wochen ebenfalls mit einer politisch brisanten Entscheidung für Aufsehen gesorgt – und ihre Vorbildfunktion für eigene Botschaften genutzt. Der in Israel als Neta-Lee Herschlag geborenen Schauspielerin sollte im Sommer der Genesis-Preis verliehen werden, eine Art jüdischer Nobelpreis. Portman lehnte ab, zur Preisverleihung nach Israel zu kommen, weil dort Premierminister Benjamin Netanjahu sprechen sollte. Sie wolle nicht als seine Unterstützerin auftreten. Doch Portman ging sogar noch weiter: „Die schlechte Behandlung jener, die heute leiden, deckt sich nicht mit meinen jüdischen Werten. Weil mir Israel so sehr am Herzen liegt, muss ich gegen Gewalt, Korruption, Ungerechtigkeit und Machtmissbrauch meine Stimme erheben“, schrieb sie im sozialen Netzwerk Instagram. Portman hat erkannt, dass die Vorbildfunktion es auch ermöglichen kann, eigenen Anliegen eine laute Stimme zu verleihen.

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