Wenn SPD und CDU sich wirklich zusammenraufen sollten und eine gemeinsame neue Landesregierung bilden – welche Partei hätte dann Anspruch auf wie viele Kabinettsposten? Die Frage beschäftigt die Strategen in den Parteizentralen. Aus der CDU heißt es, beide großen Parteien seien bei der Wahl annähernd gleich stark geworden (die SPD hat 36,9 Prozent erhalten, die CDU 33,6), also würden in einer „Regierung auf Augenhöhe“ beide Seiten gleich viele Regierungsmitglieder stellen. Aus der SPD ist zu vernehmen, dass die Sozialdemokraten ja etwas besser abgeschnitten hatten – also stehe ihnen unterm Strich ein Posten mehr zu als den Christdemokraten.

Wie ist das zu lösen? Gegenwärtig zählt die Landesregierung zehn Mitglieder – den Ministerpräsidenten und neun Minister. In einem Akt besonderer Großzügigkeit hatte die SPD den Grünen 2013 vier Ministerien zugestanden, sich selbst nur fünf. Und das, obwohl die Grünen bei der Landtagswahl 2013 mit 13,7 Prozent nicht einmal halb so stark waren wie die SPD mit 32,6. Dieses damalige Entgegenkommen der SPD nützt im aktuellen Postengeschacher vor allem der CDU. Sie kann sagen: Wenn schon die Grünen damals vier Ressorts erhalten hatten, dann hat der neue Partner der SPD, die im Vergleich zu den Grünen von 2013 nun ungleich stärker abgeschnittene CDU, doch wohl Anspruch auf fünf Positionen. Im Ergebnis hätte die SPD (samt Ministerpräsident) fünf Posten besetzt, ebenso viele stünden der CDU zu. Bei Stimmengleichheit im Kabinett würde die Stimme des Ministerpräsidenten den Ausschlag geben. Dies ist zwar so in der Geschäftsordnung der Landesregierung nicht geregelt, folgt aber aus der Landesverfassung, die dem Regierungschef die „Richtlinienkompetenz“ zuschreibt, ihn also aus dem Kreis der Regierungsmitglieder durchaus hervorhebt.

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Doch es hat in der Landesgeschichte schon dreimal ähnliche Situationen gegeben, nämlich Bündnisse der beiden großen politischen Lager. Das erste SPD/CDU-Bündnis war zwischen 1948 und 1950, stark von den Wirren des Aufbaus geprägt und soll daher hier vernachlässigt werden. Die zweite Große Koalition gab es 1957 bis 1959, die dritte zwischen 1965 und 1970 (mit Unterbrechung durch eine Landtagswahl). Im zweiten und dritten Fall hatte die Landesregierung jeweils eine ungerade Zahl von Mitgliedern, nämlich neun. Agrar- und Umweltministerium waren noch vereint, ebenso Kultus- und Wissenschaftsministerium. Dafür gab es erst ein Vertriebenenministerium, später nach dessen Wegfall dann ein Ministerium für Bundesangelegenheiten. Wie war das damals konkret? 1957 war die zwei Jahre zuvor gebildete bürgerliche Koalition unter Ministerpräsident Heinrich Hellwege (Deutsche Partei) zerbrochen, er holte die oppositionelle SPD mit deren Spitzenmann Hinrich-Wilhelm Kopf ins Kabinett. Zwar haben drei Parteien koaliert, die SPD links und auf der rechten Seite DP und CDU, die jedoch damals schon so eng verflochten waren, dass man sie schon als einen Block ansehen konnte. Bei der Landtagswahl 1955 hatte die SPD 35,2 Prozent erhalten, die DP 12,4 und die CDU 26,6 Prozent.

Dass mit Hellwege nun ein DP-Mann und kein CDU-Kandidat Ministerpräsident wurde, hat auch mit der Taktik des CDU-Chefs Konrad Adenauer zu tun – er brauchte damals die DP auf Bundesebene, und Hellwege war der Bundesvorsitzende. Zusammengerechnet brachten also DP und CDU 38 Prozent auf die Waage, die SPD blieb knapp drei Punkte dahinter. Im Kabinett hatten DP und CDU zusammen fünf Posten (einschließlich Ministerpräsident), die SPD vier. Kopf als starke Figur der SPD wurde Innenminister, zwei weitere Sozialdemokraten, die später noch Ministerpräsidenten werden sollten, waren Schwergewichte im Kabinett – Georg Diederichs als Sozial- und Alfred Kubel als Wirtschaftsminister. Als viertes Ressort besetzte die SPD das Vertriebenenministerium. Für DP und CDU blieben neben dem Regierungschef noch das Finanz-, Kultus-, Agrar- und Justizministerium.

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Keine zehn Jahre später, als eine Große Koalition unter dem Sozialdemokraten Diederichs gebildet wurde, waren die Mehrheitsverhältnisse und die Postenaufteilung ähnlich – nur unter umgekehrten Vorzeichen. Bei der Landtagswahl 1963 hatte die SPD mit 44,9 Prozent mehr als sieben Punkte vor der CDU (37,7) gelegen, die nächste Landtagswahl 1967 verringerte den Abstand auf 1,4 Punkte (SPD 43,1, CDU 41,7). Trotzdem blieb die 1965 gebildete Große Koalition auch nach der Wahl 1967 im Wesentlichen unverändert: Die SPD stellte samt Ministerpräsident fünf Plätze im Kabinett, die CDU vier. Drei starke Ressorts kamen in sozialdemokratische Hand – Finanzen, Inneres und Soziales. Als weniger wichtiges kam das Ministerium für Bundesangelegenheiten hinzu. Die CDU stellte den Kultus-, den Agrar-, den Wirtschafts- und den Justizminister.

Welche Lehren kann man daraus schließen? Die niedersächsische Tradition der Großen Koalitionen von 1957 und 1965 besagt, dass Ministerpräsident und Finanzminister immer einer Partei angehörten – vielleicht wegen der besonderen Rolle des Finanzministers, der ein Vetorecht hat und deshalb ein sehr gutes Vertrauensverhältnis zum Regierungschef haben muss? Umgekehrt gehörten Finanz- und Wirtschaftsminister immer unterschiedlichen Lagern an, womöglich weil diese Politikfelder korrespondieren und eine große Bandbreite abdecken. Allerdings: Das Finanzministerium ist im Laufe der Jahre, vor allem wegen der strukturpolitischen Rolle der Nord/LB, tendenziell immer mächtiger geworden, das Wirtschaftsministerium eher nicht. In allen bisherigen Großen Koalitionen beharrte die SPD auf dem Sozialressort (es gilt als Wesensbestandteil der Partei) und auch auf dem Innenministerium. Korrespondierend zum Innenressort fiel das Justizministerium stets an die CDU. CDU und zuvor CDU und DP legten ihre Schwerpunkte vor allem auf das Agrarministerium (wegen der Lobbyarbeit für die Bauern) und das Kultusressort (das früher weit stärker Religions- als Schulministerium war). Ob diese Schwerpunktsetzung auf CDU-Seite noch so gilt, ist doch fraglich – die Interessensvertretung der Landwirte ist, auch in der CDU, schwächer geworden, Verbraucherschutz wird immer wichtiger. Und die Religionsfragen spielen in der täglichen Kultuspolitik keine große Rolle mehr, vom Hin- und Her um den Islamvertrag mal abgesehen.

Wenn das historische Vorbild bei der nächsten Großen Koalition Pate stehen sollte, dann würde die SPD neben dem Ministerpräsidenten den Innen-, den Finanz- und die Sozialministerin stellen, zudem wohl den Umweltminister (als Pendant zur CDU-Agrarministerin). Die CDU würde sich auf Wirtschaft, Kultus, Agrar, Justiz und Wissenschaft stützen – wobei Wissenschaft eigentlich als Ausgleich für Kultus an die SPD fallen müsste. Aber anders würde die Rechnung nicht aufgehen, es sei denn, das Kabinett würde um ein Ressort auf elf (einschließlich Ministerpräsident) aufgestockt werden. Dann nämlich könnte die SPD die Wissenschaftsministerin stellen und die CDU ein neues Ressort erhalten, beispielsweise für Bundes- und Europaangelegenheiten. Auch ein solches Ministerium hatte es schon einmal gegeben – bis 1994. Große Namen wie Wilfried Hasselmann und Jürgen Trittin waren dort mal tätig gewesen. (kw)