
Piel: Woche der Enttäuschungen
Zunächst sind im Landtag die Angriffe der Opposition zu hören, vor allem von Anja Piel (Grüne) und Stefan Birkner (FDP). Piel spricht von einer „Woche der Enttäuschungen“, meint damit vor allem das magere Ergebnis der Madrider Klimakonferenz und hält SPD und CDU in Niedersachsen vor, die Zeichen der Zeit nicht erkannt zu haben. „Mutig und beherzt“ müsse für mehr Klimaschutz investiert werden – und das müsse heißen, die Investitionen auch zu Lasten der „schwarzen Null“ hochzuschrauben, also notfalls neue Schulden zu machen. Birkner fokussiert seine Kritik zwar nicht auf den Klimaschutz, spricht aber ganz im Sinne von Piel über „ambitionslose Mittelmäßigkeit“ als Ausdruck der Regierungspolitik. Der Wolf gefährde die Weidetierhalter und verunsichere die Menschen, aber Umweltminister Olaf Lies verweigere weiterhin seine Aufnahme ins Jagdrecht. Bei Düngeverordnung und Grundwasserschutz leiste sich Rot-Schwarz eine Vielstimmigkeit, vor allem die Landwirte fühlten sich nicht ernst genommen. In der Gesundheitspolitik habe man sich in eine Enquetekommission geflüchtet, „gezaudert und gezögert“ werde bei Bürokratieabbau, Windkraftausbau und Schuldenbremse. https://www.youtube.com/watch?v=jbTvt3v_plE&t=6s Überall, wo Ministerpräsident Stephan Weil auftauche, meldeten sich Proteste, meint Birkner und gipfelt in dem Vorwurf: „Sie ignorieren selbstzufrieden die Spaltung der Gesellschaft.“ Dana Guth (AfD) fügt später an, die Koalition sei in vielen wichtigen Fragen auf dem völlig falschen Pfad. So sei es fatal, weiter auf Elektromobilität zu setzen, während die Chinesen sich davon längst schon wieder verabschiedet hätten.Sie ignorieren selbstzufrieden die Spaltung der Gesellschaft.
Die beiden Fraktionschefs von SPD und CDU, Johanne Modder und Dirk Toepffer, lassen das nicht unwidersprochen auf sich sitzen. Im ersten Schritt seziert Modder die Forderungen der Opposition, die in ihrer Masse unfinanzierbar seien. Mit Blick auf die Grünen spricht sie von „Wählertäuschung“. Die FDP tue so, als wenn man mit der Streichung eines Ministeriums einen größeren Geldbetrag erwirtschaften könne. Die AfD hingegen bleibe sich treu, wolle Ausgaben für die Integration von Zuwanderern kürzen und zeige so ihr wahres – nämlich intolerantes – Gesicht.
Topeffer sieht zunehmende Polarisierung
Finanzminister Hilbers bringt die hochtrabenden Pläne der Grünen so auf den Punkt: „Sie wollen die Taube auf dem Dach schon als Suppenhuhn in den Topf stecken.“ Der CDU-Fraktionsvorsitzende Dirk Toepffer leitet nach Modder seine Rede gesellschaftskritisch ein. In nahezu allen Bereichen erlebe man derzeit zunehmende Polarisierungen. Lagerbildung, mangelnder Austausch, moralische Überlegenheit und „das angenommene Recht auf Widerspruchsfreiheit“. Das sei der Ausdruck des aktuellen Individualismus. Überall zeige sich ein Alleinanspruch auf Wahrheit, überall sei es „schon fünf nach zwölf“ – ob es um Forderungen nach dem sofortigen Ende des Verbrennungsmotors oder auch um den Aufnahmestopp für Flüchtlinge gehe. Einfache Lösungen aber seien nicht möglich, und Grünen, FDP und AfD wirft Toepffer vor, dass sie nicht den Kompromiss ansteuerten, sondern mit radikalen Forderungen ihre Wählerklientel bedienen wollten. „Auto- gegen Fahrradfahrer. Verbraucher gegen Landwirte. Neue frische Luft für die Großstädter, aber Windkraftanlagen vor der Haustür für die Landbevölkerung – es geht ihnen eben nicht um den Interessenausgleich, sondern um die Durchsetzung partikularer Interessen.“ Die Grünen könnten mit ihrer thematischen Selbstbeschränkung auf den Klimaschutz gar nicht anders, als jeden darauf zielenden Beschluss – so ambitioniert er auch sein möge – als unzureichend abzukanzeln. Dabei verursache ein überstürzter Klimawandel eine soziale Spaltung zwischen Stadt und Land, zwischen Ballungsraum und abgeschiedenen Dörfern.Wenn Herr Töpfer hier stünde, Herr Toepffer, würde er ihnen einiges einschenken. Er sieht mit Sorge, wie unentschlossen die Klimaschutzpolitik betrieben wird.
Als der CDU-Fraktionschef dann auf die ökologischen Wurzeln seiner Partei eingeht und meint, die Umweltminister Werner Remmers und Klaus Töpfer hätten schon umweltpolitische Weichen gestellt, „als ihre Partei noch mit Turnschuhen den Parlamentsbetrieb in Hessen gestört hat“, reizt es den früheren Umweltminister Stefan Wenzel (Grüne) zum Widerspruch: „Wenn Herr Töpfer hier stünde, Herr Toepffer, würde er ihnen einiges einschenken. Er sieht mit Sorge, wie unentschlossen die Klimaschutzpolitik betrieben wird.“
So endet der Auftakt der Haushaltsdebatte in einer ziemlich klaren Frontstellung: Die Opposition hält der Regierungskoalition vor, nichts gegen die Spaltung im Lande zu tun und notwendige Schritte zu unterlassen. Die Koalition richtet eben diesen Vorwurf an die Adresse der Opposition. Außerdem fällt auf, wie harmonisch SPD und CDU zusammenstehen – das Bündnis ist offensichtlich gegenwärtig mehr als nur eine Zweckehe. Nur einmal wird das Bild der Geschlossenheit gestört: Als Minister Hilbers ausdrücklich die Schuldenbremse und die „schwarze Null“ lobt, kommt Applaus bei den Christdemokraten auf. Auf der Seite der SPD rührt sich in diesem Moment keine Hand. (kw)