Niedersachsen-Krimis aus der Ministerialverwaltung
„Gaußberg“ hat es geschafft! Als die Nachricht seiner Lektorin vom Gmeiner-Verlag kam, fiel Mario Bekeschus ein Stein vom Herzen. Die zurückliegenden Wochen waren eine nervenaufreibende Zeit des Wartens für den Hobby-Autor. Doch schließlich hat der Verlag nun entschieden, dass sein Werk auch den Namen tragen darf, den er dafür schon von Anfang an vorgesehen hatte: „Gaußberg“. Das ist wahrlich nicht immer so.
Und überhaupt: Dass er so schnell einen Verlag gefunden hat und sein Buch schon bald in den Regalen stehen wird, ist auch eher ungewöhnlich. Ein Grund für das große Interesse des Verlages an seinem Manuskript liegt in der besonderen Konstellation der Geschichte begründet. Denn sie spielt zugleich in Hannover und in Braunschweig – den beiden schon ewig rivalisierenden Städten Niedersachsens. Es ist auch diese städteüberspannende Handlung, die dem Buch seinen Untertitel verleiht: „Niedersachsenkrimi“.
Das Setting des Regionalkrimis ist eng verwoben mit Bekeschus‘ eigener Lebensgeschichte. In Braunschweig wuchs er auf, in Hannover lebt und arbeitet er nun schon seit langem – und zwar in des Landesverwaltung, genauer gesagt: im Ministerium für Wissenschaft und Kultur. Von seinem Büro aus hat Mario Bekeschus einen wunderbaren Blick über das, was man in Hannover die Altstadt nennen könnte, er sieht die Leine und die Marktkirche und den Landtag. Von solchen Orten, die jeder kennt, der dort wohnt, leben die Regionalkrimis. Doch der „Gaußberg“, das weiß zumindest jeder Braunschweiger, liegt definitiv nicht in Hannover, sondern ist eine beliebte Grünanlage in der Löwenstadt. Dass der Kriminalfall nun in beiden Städten spielt, ist für den Verlag so reizvoll, weil er damit sowohl für Leser aus der Landeshauptstadt als auch für Leser aus Braunschweig attraktiv ist – der doppelte Markt, sozusagen.
Bekeschus ist noch ganz neu in der Szene der niedersächsischen Krimiautoren, sein erstes Werk erscheint erst im kommenden Jahr. Die Idee zu „Gaußberg“ hatte er aber schon vor längerer Zeit. 2013 schrieb er die ersten Zeilen, dann lange gar nicht mehr. Im vergangenen Jahr hat der Corona-Lockdown aber neuen Schwung in seine Tastatur gebracht. Die Hälfte des Buches sei allein in einem Vierteljahr entstanden, berichtet er im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick. Mit seinem außergewöhnlichen Hobby befindet sich Bekeschus in guter Gesellschaft. In den Reihen der Landesverwaltung stößt man nämlich noch auf weitere Autoren dieser besonderen Gattung der Regional- oder auch Niedersachsen-Krimis.
Schreiben ist Handwerk, man wird nicht einfach von der Muse geküsst.
Eine von ihnen ist Natascha Manski. Im echten Leben ist sie Pressesprecherin von Landesagrarministerin Barbara Otte-Kinast, doch in ihrer Freizeit wird die gelernte Journalistin gerne auch zur Krimiautorin. Noch dazu leitet sie andere Hobby-Autoren dabei an, wie sie aus ihrer Idee ein fertiges Buch erschaffen können – auch Mario Bekeschus hat einmal einen Kurs bei ihr belegt. „Schreiben ist Handwerk, man wird nicht einfach von der Muse geküsst“, sagt sie im Rundblick-Gespräch. Den Grundstein für ihre handwerklichen Fähigkeiten legte ihre frühere Tätigkeit bei einer großen Lokalzeitung.
Damals fuhr sie in der Wesermarsch übers Land und erlebte so allerhand. „Ich habe Geschichten erfahren, die weit über das hinaus gingen, was ich in der Zeitung unterbringen konnte“, erzählt Natascha Manski. Deshalb habe sie damals angefangen, die kleinen Anekdoten und Erlebnisse zu sammeln, und veröffentlichte schließlich im Eigenverlag ihr erstes Buch: Marsch-Menschen. „Das Buch verkaufte sich ganz gut, die Nachfrage war da“, erinnert sich Manski. Kurz darauf suchte sie sich einen kleinen Verlag, bei dem die Fortsetzung erscheinen sollte: „Mörderische Marsch-Menschen“ erschien 2009 bei Schardt. Der Kriminalroman rückte damit schon allmählich näher.
Ging es zuvor nur um Kurzgeschichten, stieg bei Manski nun die Lust auf eine „Langstrecke“, wie sie sagt. Die Geschichte ihres ersten Kriminalromans ließ sie ebenfalls in der ihr wohlbekannten Wesermarsch spielen. „Das ist eine Region, die einfach viel bietet“, findet Manski. In „Fanggründe“ (2012 bei Rowohlt erschienen) entwickelt sich der Hauptkonflikt rund um eine Offshore-Windanlage. Das klingt schon auch ziemlich politisch – zeigt sich daran der Einfluss der niedersächsischen Landespolitik? Manch einem kommt bei schreibenden Verwaltungsmitarbeitern der Name Bettina Raddatz in den Sinn, die nach ihrer Tätigkeit in der niedersächsische Staatskanzlei mit den Romanen „Der Spitzenpolitiker“ und „Die Staatskanzlei“ für Aufsehen sorgte. Findet man auch Interna aus dem Agrarministerium in den Krimis von Natascha Manski?
Inspiration bekomme ich durch Menschen, Gespräche und Dinge. Außerdem macht mir die Recherche Spaß.
„Mein Schreiben hat keinen Einfluss auf meinen Beruf, und ich würde auch nie interne Sachverhalte verwenden“, versichert sie. Umgekehrt sei es aber indirekt schon so, dass ihr Beruf ihr Schreiben beeinflusst – durch die Erlebnisse, die Einflüsse und Kontakte. Ein Beispiel dafür hat mit ihrem nächsten Buch zu tun: „Seebestattung“. Darin geht es um eine Flavoristin – also eine Künstlerin, die auch Gerüche zusammenbraut. Im Agrarministerium habe es einmal eine Ausstellung einer Flavoristin gegeben, die Bilder und Gerüche verbunden hat. Zu dem Bild eines Fischkutters habe es dann einen Flakon mit dem Geruch von Fisch darin gegeben, erzählt Manski. „Ich fand den Beruf spannend. Inspiration bekomme ich durch Menschen, Gespräche und Dinge. Außerdem macht mir die Recherche Spaß.“ Mit der Zeit habe sie Kontakte zu Rechtsmedizinern, Polizisten und auch Feuerwehrleuten geknüpft, die ihr ganz besonders wertvolle Einblicke aus ihrem jeweiligen beruflichen Alltag gewähren konnten.
Die Sprechertätigkeit hat natürlich oberste Priorität. Wenn die Schweinepest ausbrechen würde, würde das nächste Buchprojekt eben pausieren.
Manchmal ist ihr die politische Situation in der Welt aber auch schon Herausforderung genug. Als es ihr zu bunt wurde da draußen, suchte Natascha Manski das Schöne und nicht das Schaurige im Kleinen vor Ort. Ihr neustes Buch ist deshalb kein Krimi geworden, sondern ein Reiseführer zu ihren Lieblingsplätzen in der Wesermarsch, den sie zusammen mit einer Freundin, Diana Mosler, verfasst hat. „Das sind reine Spaßprojekte, auf die ich Lust habe“, erzählt Manski. Beim Schreiben setzt sie sich deshalb nicht unter Druck. Bei den Lieblingsplätzen sei zwar klar gewesen, dass jede der beiden Frauen 40 Orte beisteuert. Aber ansonsten mache sie sich „Null Stress und Null Druck“. „Die Sprechertätigkeit hat natürlich oberste Priorität. Wenn die Schweinepest ausbrechen würde, würde das nächste Buchprojekt eben pausieren.“ Ihren Job als Pressesprecherin beschreibt die Hobby-Autorin als Torte – und das Geschichtenschreiben sei die Sahnehaube obendrauf. „Ansonsten schreibe ich, wenn Zeit ist.“
Die Macht des Autors: Wer muss dran glauben und wer darf leben?
Auch für Dominik Kimyon ist das Schreiben ein reiner Freizeitspaß. Die Idee dazu hatte der frühere Mitarbeiter in der Öffentlichkeitsabteilung des niedersächsischen Sozialministeriums schon lange. Es habe aber immer an der Zeit gefehlt, erzählt er im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick. Für sein erstes Buch „Stallgeruch“ (Gmeiner-Verlag 2017) habe er die Zeit genutzt, die er morgens und abends im Zug verbracht hatte, wenn er zwischen seinem Wohnort Göttingen und der Landeshauptstadt hin und her gependelt ist. Die Idee für die Geschichte, die auf einer Alpaka-Farm in der Nähe von Duderstadt spielt, sei ihm bei einer Fernseh-Reportage gekommen. Auch bei ihm habe das berufliche Umfeld die Handlung des Romans nicht beeinflusst, sagt er.
Bei seinem zweiten Krimi „Hainberg“, in dem es um die Göttinger Immobilienwirtschaft geht, könnte man einen solchen Einfluss aber schon eher vermuten. Schließlich ist Kimyon seit 2018 Pressesprecher der Stadtverwaltung der südniedersächsischen Studentenstadt. „Ich kann das ganz klar trennen“, beteuert er. „Natürlich weiß ich um die Situation vor Ort, aber ich plaudere in den Büchern keine Geheimnisse aus.“ Wer regelmäßig die Zeitung lese, wisse schließlich genau so gut wie er um die Schieflage der Wohnungswirtschaft. Was ihn viel mehr reize, sei es, die Charaktere zu entwickeln und über deren Schicksal zu entscheiden – wer muss dran glauben und wer darf leben? Das ist die Macht des Autors: „Wer ist gut, wer böse und wer macht was, und warum?“ Der Pressesprecher verkauft die reale Welt, der Buchautor erfindet eine ganz andere.
Von Niklas Kleinwächter