Der 8. Mai 2016 war ein Muttertag wie aus dem Bilderbuch: sonnig, vielleicht etwas zu windig, aber frühsommerlich warm. Den Kraftwerkbetreibern ist der Tag allerdings nicht gerade in guter Erinnerung geblieben. Denn die Windkrafträder und Solarpanels produzierten derart viel Strom, dass der Preis an der Strombörse ins Minus fiel. Bis zu 130 Euro zahlten die Stromerzeuger pro Megawattstunde, damit ihnen die überschüssige Energie abgenommen wurde. Ein Einzelfall war das nicht. Nach Angaben von Niedersachsens Umweltminister Stefan Wenzel habe sich diese Situation im vergangenen Jahr viermal wiederholt. Und beinahe täglich müssen die Netzbetreiber Stromproduzenten anweisen, ihre Anlagen zeitweise herunterzufahren oder abzuschalten, damit das Netz nicht überlastet wird. Das trifft meist die Betreiber von erneuerbaren Energien, denn deren Anlagen sind leichter zu regulieren als Atom- und Kohlekraftwerke. Diese wiederum produzieren selbst bei negativen Strompreisen einfach weiter. Ein Unding, findet Wenzel. „Wir haben doch nicht die Energiewende gestartet, um dann erneuerbare Energien zugunsten von Atom- und Kohlekraftwerken abzuriegeln.“ Das Ministerium hat deshalb beim Energie-Forschungszentrum Niedersachsen eine Studie in Auftrag gegeben mit der Frage: Müssen konventionelle Kraftwerke dauerhaft rund 25 Gigawatt Strom produzieren, um die Versorgung zu sichern? Die Antwort der Wissenschaftler lautet schlicht: Nein, zehn Gigawatt würden reichen.

Lesen Sie auch:

 

Das europäische Stromnetz hat eine Netzfrequenz von 50 Hertz. Dieser Wert gilt als Richtlinie für Stromproduzenten und Abnehmer. Da ein Stromnetz ein Verbundnetz ist, kann überschüssiger Strom nicht gespeichert werden, sondern muss unter den Abnehmern verteilt werden. Die Produzenten müssen daher so viel Strom ins Netz speisen, dass die Frequenz 50 Hertz erreicht, es muss aber auch so viel Strom abgenommen werden, dass 50 Hertz nicht unterschritten werden. Weicht die Frequenz deutlich vom Normalwert ab, wird das Netz überlastet oder unterversorgt und es gibt einen Stromausfall. Die konventionellen Kraftwerke (Kohle, Atomenergie, Gas) haben momentan noch die Aufgabe, die Grundversorgung zu sichern. Denn der Ausbau der erneuerbaren Energien ist noch nicht weit genug fortgeschritten, um das Netz komplett versorgen zu können.

Etwa 25 Gigawatt Strom steuern die konventionellen Kraftwerke dauerhaft bei. Doch an einem Tag wie jenem Muttertag wirken sie blockierend. Denn die Kosten und der Aufwand, das Kraftwerk für einige Stunden herunterzufahren, übersteigt den finanziellen Verlust durch die Dauerproduktion. Da ihr Strom aber auch abgenommen werden muss, weist der Netzbetreiber die Betreiber von Wind- und Solarparks an, ihre Produktion herunterzufahren. Mit der Folge, dass die Möglichkeit für die Produktion von CO₂-losem Strom ungenutzt verstreicht. Obwohl die Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energien per Gesetz Vorrang hat. So stellt das Umweltministerium die Lage dar und fordert die Abriegelung von erneuerbaren Energiequellen nur in Ausnahmefällen. In der Energiewirtschaft weist man diese Vorwürfe allerdings zurück. Erneuerbare Energiequellen genössen bereits Vorrang, bei Überproduktion müssten die konventionellen Kraftwerke zuerst ihre Produktion herunterzufahren. Die häufige Abriegelung von erneuerbaren Energiequellen liegt nicht an einer Überproduktion, sondern in den meisten Fällen daran, dass der Strom nicht in die Transportnetze eingespeist werden kann. Abhilfe schaffen kann hier nur der Netzausbau.

Doch bis der Netzausbau mit der steigenden Stromproduktion mithalten kann, werden Experten zufolge noch mindestens fünf Jahre vergehen. Bis dahin will Wenzel den Druck auf die konventionellen Kraftwerkbetreiber erhöhen. Sie sollen sich zu mehr Flexibilität bereiterklären und ihre Kraftwerke dann herunterfahren oder abschalten, wenn die erneuerbaren Energiequellen genug Strom produzieren. Wenzel schwebt dafür eine Art Verursacherumlage vor. Denn bisher werden die Kosten für das Abriegeln auf die Verbraucher umgelegt. Die Bundesnetzagentur schätzt, dass dadurch im vergangenen Jahr etwa 360 Millionen Euro angefallen sind. Über eine Netzbelastungsumlage sollen sie künftig auf diejenigen Kraftwerkbetreiber umverteilt werden, die ihre Produktion auch in Engpasssituationen unverändert lassen. Diese Kosten müssten die Kraftwerkbetreiber dann auf den Verlust rechnen, der ihnen durch den Verkauf des Stroms am Markt entsteht. Der so entstehende Negativanreiz könnte nach Ansicht von Wenzel auch jene Betreiber zu mehr Flexibilität bewegen, die eine Veränderung ihrer Produktion sonst scheuen, etwa, weil ihre Kraftwerke lange Anlaufzeiten haben.

In der Industrie ist man allerdings skeptisch, ob diese Methode wirkt. Denn viele konventionelle Kraftwerkbetreiber bemühten sich schon um mehr Flexibilität angesichts der geringen Strompreise und der hohen Produktionskosten. Allerdings sei es einigen, vor allem älteren Kraftwerken aus technischen Gründen gar nicht möglich, in den kurzen Zeitspannen der Überproduktion flexibel reagieren zu können. Denn sie brauchen mitunter Stunden, um ihre Produktion wieder hochzufahren. Daran würden auch Strafzahlungen nichts ändern. Allerdings könnten sie ein Instrument sein, um Kraftwerksbetreiber vorzeitig zur Aufgabe ihrer konventionellen Werke zu bewegen. (isc)