12. Okt. 2016 · 
Kolumne

Wenn Computer die Lehrer ersetzen

In wenigen Tagen, am 1. November, wird Niedersachsen 70. Das Rentenalter ist lange erreicht. Was steht uns in 30 Jahren bevor, im Herbst 2046? Dann gehört das Land zu den Hundertjährigen. Der Rundblick wagt, in einer Fiktion, den Blick voraus. Hier der erste Teil.
Wohin mit den vielen leerstehenden Schulgebäuden? Die Landesregierung hat im Herbst 2043 ein Programm aufgelegt, das die Umwidmung erleichtern soll – und Zuschüsse dafür werden den Kommunen versprochen. Alten- und Pflegezentren könnten daraus beispielsweise entstehen, heißt es. Aber dazu wären Umbauten nötig, und die sind teuer. Der Bedarf an Schulräumen geht seit 2030 immer stärker zurück – und zwar nicht wegen der schrumpfenden Schülerzahlen. Die sind zwar bemerkbar, aber nicht dramatisch. Das Durchschnittsalter lag in Niedersachsen 2015 bei 44,3 Jahren, 1985 waren es noch 39,2 Jahre gewesen. Dieser Wert ist dann bis 2031 auf 47,7 Jahre gestiegen. In manchen Regionen allerdings ist die Überalterung drastisch: Osterode erreicht 2031 52,0 Jahre, Goslar sogar 53,3 und Lüchow-Dannenberg 53,9. Aber selbst in Gebieten, die noch 2016 als „weniger problematisch“ galten, ist die Überalterung bis 2031 so rasch vorangeschritten, dass jetzt das Durchschnittsalter über 50 liegt – Salzgitter, Wolfenbüttel, Hildesheim und Schaumburg, Cuxhaven, Uelzen und auch Friesland zählen dazu. [caption id="attachment_12437" align="aligncenter" width="780"]Ein Klassenzimmer mit Tafel? Sowas von 2016! Ein Klassenzimmer mit Tafel? Sowas von 2016![/caption] Der wesentliche Grund für die vielen Schulschließungen überall im Land ist die völlige Umstellung des Unterrichts, den der Kultusminister 2035 eingeleitet hatte: Die Schüler lernen weitgehend im Dialog mit ihrem Lerncomputer. Der 2032 landesweit abgeschlossene Breitbandausbau und das Computer-Zuschuss-Programm führten dazu, dass jetzt jeder Schüler zuhause einen Zugang zum leistungsfähigen Netz hat. In den Standorten der regionalen Schulbehörde in Hannover, Oldenburg, Braunschweig, Osnabrück und Göttingen betreuen und überwachen die Lehrer die Computerprogramme. Die Landesregierung wollte den direkten Kontakt zwischen Schülern und Lehrern nicht völlig abbrechen lassen, deshalb müssen die Schüler einmal wöchentlich – jede Klassenstufe hat ihren eigenen Tag – in die Schule kommen und über ihren individuellen Lernfortschritt berichten. Dieses System kommt nicht nur mit sehr viel weniger Lehrern aus, sondern auch mit weniger Schulgebäuden. Was geschah mit den vielen Pädagogen, die nun nicht mehr gebraucht wurden? Einige schulten um zu den „Kommunikatoren“, das sind Menschen, die denen helfen, die mit der Computertechnik nicht zurechtkommen. Die anderen gingen in die Forschung an die Universitäten – denn dort ist der Bedarf an guten Leuten gestiegen, der internationale Wettbewerb an der Weiterentwicklung und Vertiefung des Wissens, in allen Disziplinen, ist enorm gestiegen. Es gibt „Elitebildungszentren“, in denen schon früh getestet wird, welche begabten Schüler für die wissenschaftliche Karriere in Betracht kommen. Lesen Sie auch: Teil 2: Das Ende der Globalisierung Nicht nur an den Schulen hat die digitale Revolution eingesetzt, sondern auch in der Landesverwaltung. 95 Prozent der Menschen wickeln seit dem Jahr 2040 ihre Verwaltungsgeschäfte über den heimischen Computer ab. Gleichzeitig sind alle Verwaltungswege radikal vereinfacht worden, damit wurden tausende Stellen in den Behörden entbehrlich. Bürgerämter in den Rathäusern gibt es zwar noch, sie sind vorwiegend da für die weniger gebildeten, die im Umgang mit den Computern nicht geübt sind. Einmal in der Woche ist ein „Besuchertag“ im Bürgerbüro, da kann jeder kommen und sich bei allen seinen Vorgängen, die er zuhause nicht schaffen konnte, helfen lassen. In dem Maße, in dem weniger Mitarbeiter in den Behörden gebraucht wurden, wuchs der Bedarf an den „Kommunikatoren“ – das sind öffentliche Bedienstete, die Hilfen und Orientierung geben sollen, auch für die wachsende Zahl älterer Menschen, die sich von den Neuerungen überfordert fühlen und eine Abwehrhaltung gegenüber Computern einnehmen. Die Branche, die immer mehr wächst und auch einen immer größeren Anteil von den Steuereinnahmen beansprucht, ist die Gesundheitswirtschaft.  Im Jahr 1992 haben noch 1,38 Millionen Niedersachsen Krankenhäuser aufgesucht, 55.600 Betten standen bereit. Die ambulante Versorgung wurde immer wichtiger, 2010 waren es nur noch 41.900 Betten in den Kliniken – aber immer mehr Menschen mussten sich behandeln lassen, nämlich 1,59 Millionen. Im Jahr 2040 gelang es, die Krankenhäuser zu modernisieren, viele kleine und unwirtschaftliche Kliniken zu schließen und ambulanten Gesundheitsdienst auszubauen. Die Zahl derer, die jährlich ein Krankenhaus aufsuchen müssen, ist auf mehr als 2,5 Millionen Menschen gestiegen. Zwar werden viele ärztliche Dienste mittlerweile auch über den häuslichen Computer abgewickelt, doch man hat gemerkt, dass viele Menschen ohne direkten Kontakt zu einem Arzt oder einem Pfleger nicht gesund werden. (kw)
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #184.
Martin Brüning
AutorMartin Brüning

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