22. Apr. 2024 · 
Wirtschaft

Weiterbildung: Firmen rufen Politik um Hilfe

Das Bewusstsein ist da, doch die Prioritäten liegen woanders: Obwohl die Revolution der Arbeitswelt durch Künstliche Intelligenz (KI) bereits begonnen hat, reagieren die deutschen Unternehmen nur zögerlich auf den Wandel. Nicht einmal jeder fünfte Betrieb hat seine Mitarbeiter bislang auf eine KI-Weiterbildung geschickt oder entsprechendes geplant. 71 Prozent der Unternehmen sagen sogar: Dafür besteht bei uns aktuell kein Bedarf. Das geht aus der jüngsten „TÜV-Weiterbildungsstudie“ hervor, für die Forsa im Auftrag des TÜV-Verbands bundesweit 500 Unternehmen mit mindestens 20 Mitarbeitern befragt hat. „Spätestens mit dem Einzug von Chat-GPT ist das Thema in aller Munde. Die Unternehmen sehen KI zwar als ein Zukunftsthema, mit dem man sich beschäftigen müsste, aber die Relevanz für die tägliche Praxis wird noch nicht unmittelbar erkannt. Die Erwartungshaltung steht im Missverhältnis zur Weiterbildungssituation“, kommentiert Joachim Bühler, Geschäftsführer beim TÜV-Verband.

Joachim Bühler vom TÜV-Verband e.V. | Foto: Tobias Koch (www.tobiaskoch.net)

Stattdessen konzentrieren sich die Unternehmen lieber auf die branchen- oder berufsspezifischen Kompetenzen ihrer Mitarbeiter. 63 Prozent sehen den größten Weiterbildungsbedarf dort, weil sie sich hier den größten Nutzen für ihre Wettbewerbsfähigkeit versprechen. Die Führungskompetenzen der Beschäftigten sind den Arbeitgebern fast genauso wichtig (62 Prozent). Im Vergleich zur vorangegangenen Weiterbildungsstudie 2022 zeigt sich, dass die Verbesserung von Soft Skills an Bedeutung gewinnt. „In einer digitalisierten, von Automatisierung geprägten 24/7-Arbeitswelt werden soziale Kompetenzen wie Teamfähigkeit, Kommunikation, Konfliktlösung und Resilienz immer wichtiger“, sagt Bühler (Foto unten). Weiterbildungen zur sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit werden von zwei von drei Unternehmen als „sehr“ oder „eher“ wichtig bezeichnet. Hier stehen das Energie- und Umweltmanagement (51 Prozent), nachhaltige Unternehmensführung (49 Prozent) sowie Abfallwirtschaft und Recycling (46 Prozent) im Fokus. „Unternehmen können mit einem effektiven Energie- und Abfallmanagement die Kosten senken und einen Beitrag zum Klimaschutz leisten“, so der 46-Jährige.

Grafik: TÜV-Verband


Komplexe gesetzliche Vorgaben wie Datenschutzverordnung oder Lieferkettengesetz würden den Schulungsbedarf erhöhen. „Wir sehen einen leichten Trend dahin, dass den Mitarbeitern mehr Zeit für Weiterbildung eingeräumt wird“, berichtet Bühler. 61 Prozent der Unternehmen fördern laut Umfrage Weiterbildungen von drei bis neun Tagen. Das Budget pro Mitarbeiter schwankt zwischen 500 und 5000 Euro. „Die Spannbreite bei den Investitionen in Weiterbildung ist enorm und hängt weniger von der Größe als von der Branche der Unternehmen ab“, sagt der studierte Politikwissenschaftler. Während der Dienstleistungssektor eher großzügig sei, halte sich der Handel tendenziell zurück. Obwohl sich fast alle Arbeitgeber (97 Prozent) als Hauptverantwortliche für die berufliche Weiterbildung sehen, ist die Unzufriedenheit mit der Politik groß: 94 Prozent der Befragten fordern mehr Unterstützung für kleine und mittlere Unternehmen (KMU). Den Unternehmen fehle es oft an Orientierung, berichtet Bühler. Sie wüssten gar nicht, an wen sie sich wenden müssen, um ihre Mitarbeiter weiter zu qualifizieren. Der TÜV-Verbandschef plädiert deswegen für einen Ausbau des Nationalen Onlineportals für berufliche Weiterbildung („mein NOW“) sowie für eine Stärkung der regionalen Verbünde.

Grafik: TÜV-Verband


Mit der finanziellen Förderung durch Bund und Länder sind zwei von drei Unternehmen weniger oder gar nicht zufrieden. Wunschlos glücklich sind gerade mal drei Prozent der Befragten. Finanzielle Anreize seien häufig unbekannt oder würden als zu kompliziert wahrgenommen, weiß Bühler. „Weiterbildung wird in Deutschland sehr stark in Verbindung mit Unternehmen gebracht, die sich im Strukturwandel und in Schwierigkeiten befinden“, kritisiert er. Förderungen für KMU müssten daher vereinfacht und von Transformationsbedingungen entkoppelt werden. Bühler fordert überhaupt ein Umdenken: „Wir brauchen einen Mindset-Wechsel. Wir müssen die Akzeptanz von Weiterbildung verbessern, damit sie zum allgemeinen Standard in Deutschland gehört.“ Von den selbst gesetzten Zielen der Nationalen Weiterbildungsstrategie (NWS) sei die Bundesrepublik noch weit entfernt und schneide im europäischen Vergleich nicht sehr gut ab. „Wir haben in Europa ein Nord-Süd-Gefälle und Deutschland reiht sich da im Mittelfeld ein. Die skandinavischen Länder sind beim Thema Bildung die ‚Frontrunner‘“, sagt er. Die Bundesregierung müsse nun schnellstens die im Koalitionsvertrag angekündigte Bildungsteilzeit einführen. Bühler: „Eine Bildungsteilzeit verschafft Arbeitnehmern mehr Zeit und finanzielle Sicherheit für berufliche Fortbildungen.“

Dieser Artikel erschien am 23.4.2024 in Ausgabe #075.
Christian Wilhelm Link
AutorChristian Wilhelm Link

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