Wer 35 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt hat und trotzdem mit seiner Rente bisher nur auf Grundsicherungsniveau liegt, soll künftig bis zu 447 Euro monatlich mehr bekommen. Das sehen die neuen Pläne von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) für eine „Grundrente“ vor. Eine Bedürftigkeitsprüfung sehen diese nicht vor. Ist das nun ein Schritt in die richtige Richtung – oder ist es die falsche Antwort auf die gegenwärtigen Herausforderungen des Sozialstaats? Die Rundblick-Redaktion bewertet den Vorschlag in einem Pro und Contra.

Isabel Christian (re.) und Martin Brüning - Foto: KW

Isabel Christian (re.) und Martin Brüning – Foto: KW

PRO: An der Umsetzung muss noch gefeilt werden, aber im Grundsatz ist die Idee einer Grundrente der richtige Weg, findet Isabel Christian.

Die Zeichen im Portemonnaie zukünftiger Rentner stehen auf Ebbe. Noch ist Altersarmut kein großes Problem, auch wenn es durch intensive Debatten oft so erscheint. Lediglich 3,2 Prozent der Niedersachsen über 65 Jahre müssen sich ihr Geld genau einteilen. Doch über einen längeren Zeitraum gesehen ist ihr Anteil schon gestiegen, wie ein Blick in die Statistik zeigt. Und das wird so weitergehen. Auch der letzte Nichtökonom dürfte mittlerweile begriffen haben, dass das Modell Generationenvertrag ein Relikt aus kinderreicheren Zeiten ist. Die Alten werden zahlreicher und sie werden immer älter. Die Generation der jetzt in Rente gehenden Babyboomer hat schon jetzt eine durchschnittliche Lebenserwartung von 80 Jahren. 2060, so haben Wissenschaftler errechnet, wird das Leben im Schnitt bei 85 Jahren liegen. Gibt es keine Anhebung des Renteneintrittsalters, bedeutet das 20 Jahre Rente. Kommt jetzt ein Rentner auf knapp drei Steuerzahler, werden 2060 drei Steuerzahler für zwei Rentner zahlen. Und das durchschnittlich 20 Jahre lang. Die Summe, die dann vom Staat monatlich auf dem Konto der Rentner eingeht, kann nicht mehr als ein Almosen sein. Mit dem Festhalten am Generationenvertrag wird ein gutes Leben im Alter für viele Menschen nicht mehr möglich sein.

Vor allem Frauen dürfen nicht mehr dafür bestraft werden, dass sie keine Karriere gemacht haben, sondern Kinder erzogen und Eltern gepflegt haben.

Gleichzeitig haben viele jetzige Arbeitnehmer nicht das Einkommen, um privat vorzusorgen. Vor allem die, die nur den Mindestlohn bekommen oder in Teilzeit arbeiten. Weil ihr Gehalt gerade so für ein gutes Leben im Hier und Jetzt reicht. Die Mieten explodieren, die Lebenshaltungskosten werden teurer und die Zinsen sind ohnehin so niedrig, dass eine Geldanlage sich gar nicht mehr lohnt. Doch auch diese Menschen werden irgendwann alt. Und als Solidargemeinschaft darf man nicht einfach mit den Schultern zucken und sagen: „Danke, dass ihr jahrzehntelang unser Brot gebacken habt, unsere Haare geschnitten habt und unsere Kinder gepflegt habt. Aber jetzt brauchen wir euch nicht mehr, seht zu, wie ihr über die Runden kommt.“ Menschen, die zu Berufszeiten finanziell wenig für ihre Rente tun können, müssen sich darauf verlassen können, dass zumindest ihre Leistung sich im Alter auszahlt. Und vor allem Frauen dürfen nicht mehr dafür bestraft werden, dass sie keine Karriere gemacht haben, sondern Kinder erzogen und Eltern gepflegt haben. Diese Garantie kann nur der Staat geben.

Deshalb ist der Ursprungsgedanke von Hubertus Heil, eine Grundrente zu schaffen, die Lebensleistung anerkennt, der richtige Weg. Doch an der Umsetzung gibt es noch Verbesserungsbedarf.

Erstens: Die Grundrente darf kein übers Knie gebrochenes Wählergeschenk sein. Wie bereits gesagt, ist das Problem Altersarmut noch nicht so groß, dass man es jetzt sofort anpacken muss. Noch ist die Grundsicherung im Alter ein Instrument, mit dem man die größte Altersarmut lindern kann. Statt also die Grundrente schon in diesem Sommer zu verabschieden, sollten die Regierung und der Bundestag sich Zeit nehmen und das Gesetz vernünftig ausgestalten. Ein Knackpunkt ist etwa die Finanzierung. Heil will die Grundrente über Steuern finanzieren, doch Finanzminister Olaf Scholz hat schon abgewinkt: Die Staatskasse sei dafür nicht gut genug gefüllt. Die Union dagegen schlägt die Finanzierung über die Rentenversicherung vor. Aber hier beißt sich die Katze in den Schwanz. Denn das bedeutet höhere Rentenbeiträge. Wie soll das langfristig gehen, wenn drei Steuerzahler schon die Rente für zwei Senioren nicht mehr aufbringen können? Pauschale Lösungen gibt es für dieses Problem nicht. Wenn die Grundrente keine Sternschnuppe am sozialpolitischen Himmel werden soll, muss man andere Wege zur Finanzierung diskutieren und durchrechnen. Und das braucht Zeit.

Zweitens: Nur die, die sie wirklich brauchen, sollen Grundrente bekommen. Es klingt auf den ersten Blick nach Gerechtigkeit. Jeder, der 35 Jahre gearbeitet hat, soll Grundrente bekommen. Egal, ob er nun alleinerziehend und teilzeitbeschäftigt ist oder drei Immobilien, vier Privatrentenverträge und einen gut verdienenden Partner hat. Stimmt, das ist nicht wirklich gerecht. Die Grundrente soll schließlich denen helfen, bei denen nicht nur die gesetzliche Rente mager ausfällt, sondern auch jegliche finanziellen Aufstockungsmöglichkeiten fehlen. Kurzum: Wer sonst altersarm würde. Deshalb ist eine Bedürftigkeitsprüfung für die Grundrente Pflicht.

Drittens: Die Altersgrenze darf nicht starr sein. 35 Jahre muss jemand gearbeitet haben, damit er die Grundrente erhält. Nicht 34,9 Jahre oder 33,5 Jahre. Auch das hat mit Gerechtigkeit nicht viel zu tun. Und es verkennt vollkommen die Realitäten der Arbeitswelt, die erst vor wenigen Jahren ihren Anfang genommen hat. Kaum jemand bleibt noch 35 Jahre beim gleichen Arbeitgeber und zahlt beständig in die Rentenkasse ein. Es werden Arbeitgeber gewechselt, aus Zwang und aus Bedürfnis, zu unterschiedlichen Konditionen. Es werden Erziehungszeiten genommen und Auszeiten für die Pflege von Angehörigen. Es wird sich selbstständig gemacht und wieder ins Angestelltenverhältnis gewechselt. Eine Grundrente mit starrer Eintrittsgrenze verkennt all diese Realitäten.

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CONTRA: Der schnelle Applaus zahlt sich auf lange Sicht häufig nicht aus. Die Grundrente mag auf den ersten Blick ein Akt der Fairness sein, auf den zweiten ist sie aber weder gerecht noch wird sie die breite Mehrheit im Land überzeugen, meint Martin Brüning.

Zunächst einmal muss man für die SPD eine Lanze brechen. Die kritischen Anmerkungen, die SPD könne ihre Sozialpläne doch ohnehin nicht umsetzen und diese wären glaubwürdiger, wenn sie in eine machtpolitische Perspektive eingebettet werden könnten, sind nicht nur an den Haaren herbeigezogen, sie stellen auch noch das Parteiensystem auf den Kopf. Getagt hat nicht die Große Koalition, sondern einer ihrer drei Partner. Und die sozialdemokratische Partei kann selbstverständlich beschließen, was immer sie möchte, ohne dass sie dabei Rücksicht auf CDU oder CSU nehmen müsste. Wer der SPD an dieser Stelle Vorwürfe macht, reduziert sie auf die Rolle einer Funktionspartei in einer Regierungskoalition und wird ihr damit nicht im Mindesten gerecht.

Wenig überraschend ist auch, dass die SPD für ihren Plan einer Grundrente gleich von mehreren Seiten Applaus bekommt. Denn es geht dabei auch um die grundsätzliche Frage, wie das Land mit seinen Rentnern umgeht, und es geht im Kern um das Gerechtigkeitsempfinden. Lebensleistung verdiene Respekt, sagt Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, und wer wollte ihm da widersprechen? Die SPD spricht selbst von einer „Respektrente“, Kommentatoren attestieren der Partei, mit dem Vorschlag für mehr Fairness einzutreten. Das alles ist vordergründig positiv und deshalb ist es wenig erstaunlich, dass die SPD in ersten Umfragen zumindest leicht profitieren kann. Allerdings zahlt sich der schnelle Applaus auf lange Sicht häufig nicht aus. Denn auch wenn eine breite Mehrheit natürlich nichts gegen Respekt und Fairness haben kann und der Idee einer Grundrente grundsätzlich positiv gegenüber steht, ist sich die Mehrheit natürlich auch bewusst, dass diese neue Form der Bonus-Rente nicht kostenlos zu haben ist, und dass es genau diese Mehrheit sein wird, die diese zu bezahlen hat. Und zu dieser Mehrheit zählt der Einkommensmillionär ebenso wie die alleinerziehende Mutter mit Teilzeit-Job. Hier beginnt das Argument der Gerechtigkeit bereits leicht zu bröckeln.

Die Mitte hat ein sehr feines Gespür für Fairness, aber eben auch für Leistung und Ausgabenverantwortung. Gut möglich, dass die SPD den Applaus aus falschen Motiven zum falschen Zeitpunkt bekommen hat.

Die Grundrente ist vorne und hinten nicht gerecht. Das beginnt bei den potenziellen Empfängern selbst, die nach dem Modell der Partei-Funktionäre nicht nur 34 Jahre gearbeitet haben oder kinderlos geblieben sein können. Es müssen schon 35 Jahre gewesen sein und Kinder muss man auch erzogen haben. Hinzu kommt: wer 35 Jahre lang ganztags gearbeitet hat, könnte dem Modell zufolge dieselbe Grundrente bekommen, wie derjenige, der 35 Jahre lang halbtags gearbeitet hat. Ob das der ehemalige Ganztags-Arbeitnehmer als gerecht empfinden wird? Auch die fehlende Bedürftigkeitsprüfung würde die Grundrente früher oder später in Misskredit bringen. Dabei spielt es keine Rolle, wie viele Fälle es überhaupt  geben würde, bei denen die Zahlung einer Grundrente fragwürdig wäre. Jeder einzelne Fall würde das System in Frage stellen. Und dann gibt es noch all diejenigen, die die neue Bonus-Rente der SPD finanzieren müssen. Es sind dieselben, die jahrzehntelang fleißig in die Rentenkasse einzahlen, um am Ende möglichst viel herauszubekommen. Wer aber anfängt, Rente per Steuergeld zu verschenken, und mag es auch aus den honorigsten Gründen sein, unterminiert das Vertrauen ins System. Auch wenn viele ad hoc möglicherweise nicht den Begriff Umlageverfahren haarklein erläutern können, ist ihnen natürlich klar, dass man nur mehr Rente bekommen kann, wenn man vorher entsprechend mehr eingezahlt hat.

Wer Altersarmut minimieren möchte wäre besser beraten, nach Österreich zu schauen, wo die Durchschnittsrente deutlich höher liegt als in Deutschland. Das liegt aber unter anderem daran, dass die Österreicher signifikant mehr in die Rentenkasse einzahlen, darunter auch Selbständige, und die Arbeitgeber noch einmal einen höheren Anteil übernehmen. Ginge es um eine solche Variante, müsste man eine deutlich mutigere und kontroversere Debatte führen, als sie die SPD mit dem Rentenmodell aus der Steuerkasse angestoßen hat. Auch wenn sich die SPD noch im kurzfristigen Lob für ihre Pläne sonnt, könnte die Grundrente für sie noch gefährlich werden. Finanzminister Olaf Scholz soll gesagt haben, dass die Partei in den Umfragen „Grundberührung“ hat. Auf die aktuellen Umfragewerte käme man bereits, wenn man die Parteimitglieder und die knallharten Stammwähler zusammenrechne. Mit Modellen wie der Grundrente könnte die SPD endgültig Schiffbruch erleiden, weil sie sich damit weiter aus der politischen Mitte entfernt und sich in eine etatistische und ausgabenverliebte Linke einreiht. Für die Wähler ist das keine gute Entwicklung. Es sollte der Parteispitze eigentlich verdächtig erscheinen, wenn sie Applaus vom Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert bekommt. Die Jusos sind – vorsichtig ausgedrückt – nicht unbedingt deckungsgleich mit der gesellschaftlichen Mitte. Diese hat ein sehr feines Gespür für Fairness, aber eben auch für Leistung und Ausgabenverantwortung. Gut möglich, dass die SPD den Applaus aus falschen Motiven zum falschen Zeitpunkt bekommen hat.

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