Man liebt ihn oder man hasst ihn, dazwischen gibt es meist nicht viel. Theoretisch kann man Mohn überall hineintun. In dem Ordner mit Lieblingsrezepten, den uns unsere Hochzeitsgäste zusammengestellt haben, findet sich zum Beispiel ein Rezept für Spargel in Orangen-Mohn-Soße. Das ist für Fortgeschrittene. Man kann aber auch einfach Mohnkuchen backen. Oder essen. Ich esse ihn oft und gerne. Wenn ich welchen mit nach Hause bringe, sage ich strahlend zu meinem Mann: „Weck‘ den Schlesier in dir!“
Denn was wir beide gemeinsam haben, ist nicht nur ein Herz für Kuchen, sondern auch, dass wir je ein schlesisches Elternteil haben – wie viele andere im schönsten Bundesland der Welt auch. „In Niedersachsen hatten besonders viele deutsche Schlesierinnen und Schlesier, die nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Heimat verlassen mussten, Aufnahme gefunden und wesentlich zum Wiederaufbau des Landes beigetragen“, schreibt das Innenministerium. Danke, liebe Pressestelle. Das Lob geht runter wie Öl, kann ich als Schlesierin der zweiten Generation sagen. Denn ja, sie waren wahnsinnig fleißig, unsere Eltern und Großeltern. Die Generation der Eltern ist jetzt in einem Alter, in dem man zunehmend in der Vergangenheit zu Hause ist. „Zu Hause“, sagte meine Mutter neulich, „ist in Schlesien“. Ich war überrascht. Schließlich war sie als kleines Kind zuletzt in ihrem Heimatort gewesen.

Wir machten uns zusammen auf den Weg zu den Spuren ihrer Flüchtlingskindheit in Braunschweig. In einer Ausstellung sahen wir Fotos von dem Bunker, in dem meine Oma mit zwei Kindern monatelang Unterschlupf fand. Wäscheleinen waren an den Betonwänden gespannt, drum herum spielten Kinder, im Hintergrund die zerstörte Stadt. Wir besuchten das Siedlungshaus, in das sie mit einem ganzen Schwung Vertriebener schließlich eingewiesen wurden. Jede Familie bekam ein Zimmer zugeteilt. Unter Polizeischutz, denn die Hausbesitzer waren alles andere als kooperativ. Meiner Familie ist es seitdem gut ergangen, dem Haus offenbar in letzter Zeit nicht. Ich spürte eine kleine, fiese Genugtuung. Meine Mutter beschäftigte etwas anderes. Sie wies auf die Nachbarhäuser: „Dort wohnte eine Frau, die hat uns einen Schlitten geliehen. Der Tischler hat mir eine alte Schultasche geschenkt. Bei der Nachbarin gab es Kompott. So viele Leute haben uns geholfen.“
Ohne diese Geschichte zu kennen (aber sicherlich viele ähnliche), „stiftete die Niedersächsische Landesregierung den ,Kulturpreis Schlesien‘ als Zeichen der Verbundenheit des Landes mit den in der Bundesrepublik lebenden Schlesierinnen und Schlesiern“ schreibt das Innenministerium: „Somit steht der Kulturpreis für eine gelebte Erinnerungskultur, für Versöhnung und für die Kraft der Kultur, Grenzen zu überwinden.“ Am Wochenende wurde der Preis zum 49. Mal verliehen: an den polnischen Theatermacher Jacek Głomb, die deutsche Schriftstellerin Ulrike Draesner (mit schlesisch-bayerischen Wurzeln) und die Berliner Gesellschaft für interregionalen Kulturaustausch e.V. Herzlichen Glückwunsch! Darauf ein Stück schlesischen Mohnkuchen!
Außerdem haben wir heute für Sie:
Ich wünsche Ihnen einen Dienstag mit dem Kuchen, den Sie mögen!
Ihre Anne Beelte-Altwig