Was übrig bleibt von der Büroleiter-Affäre – und wie stark Stephan Weil dadurch belastet ist
Die Aussprache lässt an Deutlichkeit nichts vermissen. Schon als der Ausschussvorsitzende Dirk Toepffer (CDU) im Landtagsplenum seinen Bericht zum Ende des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses (PUA) vorträgt, erklingen sehr nachdenkliche Worte, verknüpft mit einer sehr scharfen, grundsätzlichen Kritik. Toepffer erwähnt, dass die Justiz eingeschaltet wurde wegen des Verdachts, Mitarbeiter der Staatskanzlei hätten an den geltenden Vorschriften vorbei Untreue begangen, indem die Büroleiterin des Ministerpräsidenten mit einer Sonder-Vergütung versehen wurde. Tatsächlich habe die Staatsanwaltschaft Hannover in diesem Fall aber „eher schlank ermittelt“ und die 16.500 Seiten Aktenmaterial, das dem PUA vorlag, nicht einmal angefordert. Dieses Verhalten könne man „höflich als Nachlässigkeit bezeichnen“, er aber, sagt Toepffer, sehe darin eine „ungeheuerliche Respektlosigkeit“. Die Staatsanwaltschaft Hannover halte den Untersuchungsausschuss „offensichtlich für nebensächlich“, und als leidenschaftlicher Parlamentarier werde er das nicht unwidersprochen hinnehmen.
Toepffer setzt mit diesen Worten zum Auftakt gleich ein Zeichen – der Ton wird sehr ernst. SPD-Sprecher Wiard Siebels sieht sich später genötigt, die CDU an „ihr Verhältnis zur Justiz“ zu erinnern. Es sei „ein Tiefpunkt“, wie die Christdemokraten „ihr Misstrauen gegen die Justiz“ pflegten. Dies, sagt Siebels, halte er für „grenzwertig“. In der Sache halte er Toepffers Kritik für unangebracht, da ja die Justizbehörde „nur die Strafbarkeit, nicht das Verwaltungshandeln“ habe beurteilen müssen – und dafür sei eine Vertiefung der Prüfung in der Sache nicht nötig gewesen. Aber der Christdemokrat Toepffer trägt noch andere Anmerkungen vor. Bei der Frage der Beförderung von Stephan Weils Büroleiterin Aynur C., die im Mittelpunkt des PUA stand, sei es zwar zunächst um die Nachwuchsförderung für den öffentlichen Dienst gegangen. Dies aber müsse stets nach Maßstäben der Gerechtigkeit passieren. „Niemand darf wegen seiner Herkunft oder seiner Mitgliedschaft in einer Partei bevorzugt oder benachteiligt werden“, hebt Toepffer hervor, man dürfe auch „anderen Gruppen nicht vor den Kopf stoßen“. Tatsächlich ist C., für deren Fall eine Neuregelung der AT-Vergütung geschaffen wurde, SPD-Funktionsträgerin – und mit der Neuregelung kann sie als Angestellte schneller aufsteigen als Beamte in vergleichbaren Positionen. Eine Ungleichbehandlung, sagt Toepffer, könne bei Benachteiligten „eine innerliche Kündigung nach sich ziehen“.
Nach Toepffer ist die CDU-Obfrau im PUA, Carina Hermann, an der Reihe. Sie betont, dass aus ihrer Sicht die Fakten klar auf dem Tisch liegen: Die rot-grüne Landesregierung habe „unter systematischer Missachtung rechtsstaatlicher Regeln“ die Vorschriften geändert, damit eine SPD-Parteifreundin ein hohes Gehalt als Büroleiterin des Ministerpräsidenten bekommen konnte. Niemand sonst in der Landesverwaltung habe nach bisherigen Erkenntnissen von dieser Neuregelung profitiert. Gerade die Grünen hätten in der Aufarbeitung dieser Affäre „blinde Gefolgschaft für den Ministerpräsidenten“ gezeigt und jegliche Kritik vermissen lassen. „Was hätten Sie getan, wenn der Fall in der vorherigen Wahlperiode geschehen wäre, als Sie noch in der Opposition waren?“ Hermann griff besonders auch Staatskanzleichef Jörg Mielke an, der vor allem für die Personalie verantwortlich sei und für Fehler nicht gerade gestanden, sondern Mitarbeiter vorgeschoben habe. „Herr Mielke, Sie hätten vorbildlich handeln müssen. Sie haben sich aber als vorderster Brecher der Regeln erwiesen, der selbst vor Unwahrheiten nicht zurückschreckt. Und genau deshalb sind Sie als Chef der Staatskanzlei nicht länger tragbar.“ Der Fall werde Ministerpräsident Stephan Weil nun „bis zum Ende seiner Amtszeit belasten“, da er nicht die Kraft gehabt habe, personelle Konsequenzen zu ziehen.
Die Vertreter von SPD und Grünen weisen das zurück. SPD-Sprecher Siebels erklärt, auch andere Büroleiter von Ministerpräsidenten seien nach B2 bezahlt worden – C. sei also nicht überbezahlt, sondern richtig eingestuft. Es sei darum gegangen, die Verdienstmöglichkeiten für Angestellte, die diese Position besetzen, anzupassen und eine bessere AT-Bezahlung für Angestellte zu ermöglichen. Diese Tatsachen seien alle auch bekannt gewesen, als der PUA im April seine Arbeit aufgenommen hatte. Siebels kritisiert, dass die CDU sogar Sachbearbeiterinnen als Zeugen vorgeladen hatte – dies sei „ein Tiefpunkt der parlamentarischen Arbeit“ gewesen. Hermann meint später, die Sachbearbeiterin habe nur deshalb aussagen müssen, weil Mielke zu einem bestimmten Punkt selbst keine klare Antwort gegeben habe. Der AfD-Sprecher Peer Lilienthal, der ansonsten die Position von SPD und Grünen teilt, äußert auch hier Vorbehalte – „man stellt sich eigentlich in solchen Fragen schützend vor den nachgeordneten Bereich“.
Für Aufsehen sorgt zum Ende der Aussprache im Landtag noch der Beitrag des Grünen-Sprechers Volker Bajus. Auch er meint, wie Siebels, dass die Arbeit des PUA „viel Geld gekostet, aber kein Ergebnis gebracht“ habe. Nach Ansicht von Bajus hat es „keinen Druck gegeben“ und es seien „keine Entscheidungen erzwungen“ worden. Bajus wagt eine Hochrechnung und meint, der Untersuchungsausschuss habe „rund eine halbe Million Euro gekostet“ und die Abgeordneten „40 Stunden netto“ gebunden – die Vorbesprechungen in den Reihen der Fraktionen sind dabei ausgeklammert. Bajus sagt, er habe sich „geschämt, wie die CDU über diese junge, engagierte Frau gesprochen“ hat – also über C. Dabei sei auch das Narrativ vom „mächtigen alten Mann und einer jungen Frau“ transportiert worden, fügt Bajus hinzu.
Unterm Strich bleiben – unabhängig von der Landtagsdebatte – die folgenden Erkenntnisse des PUA übrig:
- Zweifelhafte Bildungsvoraussetzungen: Bei der Einstellung von C. in den Landesdienst sind die fachlichen Voraussetzungen der Bewerberin nur grob und unzureichend in der Staatskanzlei geprüft worden. Die Zuordnung einer „Erfahrungsstufe IV“ ist höchst fragwürdig, aus Sicht der CDU sogar rechtswidrig. Denn die nötige Berufserfahrung habe C. nicht vorweisen können. SPD und Grüne sehen es anders.
- Fehlendes Ja-Wort des Finanzministeriums: Das Finanzministerium weigerte sich vehement gegen Druck der Staatskanzlei, eine Zustimmung für C.s Hochstufung zu geben. Als Mielke merkte, dass er nicht weiterkommt, wurde die Idee einer neuen Rechtsgrundlage geboren – und von Weil selbst gegenüber Finanzminister Gerald Heere angekündigt. Daraufhin lenkte die Spitze des Finanzministeriums ein. Gleichzeitig behauptete Mielke intern gegenüber zweifelnden Mitarbeitern der Staatskanzlei, das Finanzministerium habe sich mit der rückwirkenden Höherstufung von C. einverstanden erklärt. Daran gibt es nach verschiedenen Zeugenaussagen im Ausschuss erhebliche Zweifel.
- Höherstufung ohne Rechtsgrundlage: Die Landesregierung entschied am 21. November 2023, C. mit der AT-Zulage nach den neuen Regeln zu versehen. Ein paar Tage später erfuhr das Politikjournal Rundblick von dem Fall, und eine Verfügung mit der neuen Regel wurde dann erst am 1. Dezember an die obersten Landesbehörden verschickt. Das Finanzministerium behauptet, eine solche Verfügung sei nicht benötigt worden, es habe ein mündliches Einverständnis des Ministers gereicht – und dieses sei am 20. November geäußert worden. Tatsache ist aber, dass die neuen Rechtsgrundlagen erst in der Landesverwaltung bekannt wurden, nachdem C. schon höhergestuft worden war, nämlich am 1. Dezember 2023.
- Falschaussagen in der Öffentlichkeit: Vermutlich auf Flüchtigkeitsfehlern basierte die Aussage der Staatskanzlei gegenüber der „Deutschen Presse-Agentur“ und anderen Medien, neben C. hätten auch andere Angestellte von der Neuregelung der AT-Praxis profitiert. Dies war unrichtig, denn in den anderen Fällen war noch die alte Praxis angewandt worden. Erst in der Antwort auf eine Landtagsanfrage fiel der Lapsus auf. Eine öffentliche Berichtigung oder Entschuldigung unterblieb allerdings.
- Fragwürdiges Ermittlungsverfahren: Die Staatsanwaltschaft Hannover ermittelte „gegen Unbekannt“ wegen des Vorwurfs der Untreue. Dies wäre gegeben, wenn ein Mitarbeiter vom Staat besser bezahlt wird als ihm laut Rechtsgrundlage zusteht. Die Ermittlungen wurden eingestellt, da keinem Beteiligten ein vorsätzlicher Rechtsverstoß nachgewiesen werden konnte. Vielmehr behauptete die Staatskanzlei, die Rechtslage anders zu interpretieren. Fragwürdig ist die Rolle der Staatsanwaltschaft deswegen, weil man die Ermittlungen längst hätte konkret auf Staatskanzlei-Chef Mielke hätte zuschreiben müssen, der nach Zeugenaussagen und eigenen Bekenntnissen selbst die treibende Kraft in dem Fall war. Aber die Ermittlungsbehörde zog offenbar nicht einmal die Akten des PUA heran – und blieb bis zuletzt bei „Ermittlungen gegen Unbekannt“. Dabei hatte man anfangs sogar ein Verfahren auch gegen Mielke und Weil in Erwägung gezogen. Geschah dies, um Mielke vor unangenehmen Schlagzeilen zu schützen?
Dieser Artikel erschien am 11.12.2024 in der Ausgabe #220.
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